Curt Goetz 100

Machen wir uns nichts vor: wir, die wir die deutsche Paukerschule nicht mehr erlebt haben, blättern verzweifelt in unserem alten Schulatlas, wenn Tante Friederike, über ihr Kreuzworträtsel gebeugt, uns fragt nach einem Nebenfluß des Po mit zwei „c“ in der Mitte. Womit die lang anhaltende Nützlichkeit des dramatischen Schaffens von Curt Goetz hinlänglich bewiesen wäre. Dort finden wir ihn nämlich, den Secchio, rechts gelegen wie auch Varaita, Maira, Tanaro, Senvia, Trebbia, Taro, Parma, Panaro und Reno. Dieser Curt Goetz war ein tückischer Schelm: er arbeitete mit Mitteln an seinem Nachruhm, gegen die kein Kraut gewachsen ist. Er schrieb lustige Stücke. Stücke, in denen, obwohl das Telefon längst erfunden war, nicht pausenlos das Telefon klingelte, auch nicht die Türglocke, die ebenfalls bereits erfunden. Vielleicht hätte er doch, wenn er für unser Fernsehtheater Moritzburg geschrieben hätte...

Sonst aber war er keineswegs gegen Dinge, die bereits vor ihm das Licht der Bühnenwelt erblickt hatten. Eher im Gegenteil. Er war ein geradezu besessener Nachnutzer, vorbildlich also in jeder Hinsicht. Zum Beispiel nutzte er, weil er sie bestens kannte, die große Kriminalliteratur seiner Zeit. Oder steckt nicht hinter dem großen Ganoven, der im Einakter „Lohengrin“ eine pleite gegangene Kleinfirma rettet, der gute alte Flambeau des guten alten Chesterton? Sherlock Holmes und Dr. Watson hat Goetz gleich selbst auf die Bühne gestellt, ohne ihnen erst umständlich ein gewendetes Mäntelchen umzuhängen, im Vor- und Nachspiel seines erfolgreichsten Abendfüllers „Dr. med. Hiob Prätorius“ und er hat diese Gelegenheit nicht verstreichen lassen ohne einen Seitenhieb auf Mr. Edgar Wallace. In der nicht unberechtigten Annahme nämlich, daß Stücke bisweilen auch gelesen werden, nutzte Goetz auch die Regietexte für kleine bis mittlere Bübereien: „Seine Pfeife ist kürzer als die von Edgar Wallace, aber wir wissen, daß seine Gedanken länger sind.“ So steht's da schon, ehe das Stück losgegangen ist!

Mit den Vor- und den Nachspielen hatte er's überhaupt: war ja auch günstig, da konnte er seinen ehemaligen Theaterdirektor Barnowsky aufleben lassen, da konnte er den Alfred Kerr parodieren in Gestalt des Kritikers Knorr. Und manches andere mehr. Den Dr. Dummrian zum Beispiel erfinden, der sich hinter dem weltberühmten Autorennamen Lugemal Miramteller versteckt und rein zufällig Curt-Goetz-Einakter schreibt. Curt Goetz hatte keine Hemmungen, auch alte eigene Ideen wiederzuverwenden, auf den Effekt schließlich allein kommt es an. Und diesen hatte er, fast immer, sagen wir mal, wenn er nicht zu hoch langte. Immerhin hat ihm Alfred Döblin, der mißmutig durch das Berliner Theaterleben der zwanziger Jahre stiefelte, Lobendes nachgesagt: „Das Stück, das sich wenig um Charakter und Seelennovität kümmert, ist blendend, prächtig und lustig durch seine fast Wildeschen Witze. Es witzelt an manchen Stellen Zug um Zug und ist nur selten bloße Geistreichelei. Und ist nie plump, immer leuchten die Späße und Pointen.“ Von „Ingeborg“ war hier die Rede, dem gewinnbringendsten Stück Goetzens. Ihm verdankte er die Bekanntschaft mit seiner späteren Frau Valerie von Martens.

Curt Goetz hat ein eindeutiges Bekenntnis abgegeben: für das Unterhaltungstheater. Er hat ihm keine überzogenen Ambitionen unterschoben, da war er Realist. Mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, hat er spielbare und lesbare Bühnentexte hergestellt. Manches Mittel liebte er besonders: die Dialekte zum Beispiel, es ist nachgerade erstaunlich, wie souverän er beinahe jeden deutschen Dialekt einmal benutzt hat in seinen Einaktern und Abendfüllern, immer komisch, nie vordergründig. Daß einem Thatermann aus Passion wie ihm vor allem das Theater selbst immer wieder zum Gegenstand wurde, wen wundert's. Damals zählte die Kritik noch nicht mit, wie oft solches geschah, man hatte es noch nicht so mit den Tendenzen der ...ziger Jahre. Wie er es meinte, er hat es immer seinen Figuren in den Mund gelegt: „Schreiben Sie den Schauspielern Rollen zum Spielen und nicht Kreuzworträtsel zum Aufsagen!“ Oder: „Rollenschreiben ist natürlich schwerer als Geniekotzen!“ Oder: „Es lebe der Kitsch, der aus dem Handgelenk geschlenkerte! Es lebe der Schmarren, der gemeisterte! Es lebe der Reißer, der gekonnte!“ In den Mund des Kritikers Knorr hat er letzteres gelegt und Alfred Kerr somit die Arbeit abgenommen.

Jawohl, Schmarren und Reißer, Kitsch und Schmachtfetzen, mit diesen Formen hat Curt Goetz souverän gespielt. Wohl auch mit einem weinenden Auge, aber er hat sich getröstet: seinen Dichter Rex Rexon, der, das nebenbei, eine noch heute Buchstabe für Buchstabe gültige Kritik an der Filmindustrie Hollywoods übt, läßt er seine Seele für zweihunderttausend Dollar verkaufen: „Aber mehr als 200.000 Dollars ist sie, glaube ich, wirklich nicht wert.“ Die Bitterkeit ist nicht zu überhören. Und im Nachspiel zum Zyklus „Seifenblasen“ ist es wieder ein Kritiker, der formuliert, was man durchaus als einen Generalnenner des Schaffens von Curt Goetz bezeichnen kann: „Würde der Autor keinen Humor haben, sondern sich ernst nehmen, würde man ihn teils anbeten als Genie, teils verlachen als Idioten. So aber macht er sich selber über sich lustig und nimmt uns damit die Möglichkeit, uns über ihn lustig zu machen, weshalb wir ihn ernst nehmen müssen.“ Curt Goetz lebte vom 17. November 1888 bis zum 12. September 1960.
  Zuerst veröffentlicht in SONNTAG 48/1988, Seite 5, 27. November 1988
  nach dem Typoskript


Joomla 2.5 Templates von SiteGround