Tagebuch

31. August 2024

„Das Lächeln der Wochenpost“ ist ein nachwendliches Buch von Heinz Knobloch, das etwas den älteren Titel „Das Lächeln der Zeitung“ nachempfindet. Es ist ein Buch voller interessanter Informationen, aber es zerbröselt ein wenig. Es wirkt, als hätte der Autor unter starkem Zeitdruck beim Blättern in gebundenen alten Ausgaben Zufallstreffer erzielt und dann rasch drauflos geschrieben. Immerhin hat das Buch ein Register. Man kann also nachschauen, wo er etwas vom zu engen Pullover der Brigitte Reimann und wo etwas von Reiner Kunze schrieb. Ich trug das Buch als Nummer 43 diesen Jahres in mein Altregister ein. Werner Bergengruen füllte ungeplant den vorerst letzten Katzen-Vormittag. An Alexander Radistschew, der nur drei Tage nach Goethe auch seinen 275. Geburtstag hat, denkt vermutlich kein Mensch, der an der Seite der Ukraine steht. Er beging Selbstmord, was ihn nicht davon freispricht, Russe gewesen zu sein. Auch noch in Moskau geboren.

30. August 2024

Schon wieder Freitag, der Schritte-Plan ist für August erfüllt, die AOK hat ihre freundliche Mail versandt, derzufolge ich mich nun ausruhen darf, um im September neu anzugreifen. Die Rente erreicht das Konto wegen des Wochenendes vorzeitig, ich wickelte eine nötige Barabhebung für den anstehenden Urlaub ab mit größeren Scheinen als es sonst meine Gewohnheit ist, denn im Bus werden die fakultativen Ausflüge auf der Hinfahrt bar kassiert. Das Packen der Koffer ist bereits im Stadium der Frühvollendung. Für mich der vorletzte Vormittag an der Katze, sie fordert auf dem Balkon vollste Aufmerksamkeit, weil sie, respektive er, der Kater, keine Fliege, keine Wespe und natürlich auch kein Rotschwänzchen im Tiefflug aus dem Auge lassen kann. Und dabei bisweilen in den Sichtschutz hechtet, dass einem angst und bange werden kann. Am Ende geht natürlich alles gut. Allein das Geräusch der Kühlschranktür lässt den schönsten Brummer in Vergessenheit geraten.

29. August 2024

Es lebe die Katzen-Aufsicht. Gestern las ich von Marie Luise Kaschnitz „Florens. Eichendorffs Jugend“ zum zweiten Male, heute Joseph Conrads „Jugend“ ebenfalls zum zweiten Male, dabei kein Eichendorff. Vielleicht wird die geballte Ullrich-Forschung eines fernen Tages darauf stoßen, warum ich immer wieder auf Marie Luise Kaschnitz komme und auch stapelweise Bücher von ihr und über sie besitze, an einer tiefgründigen Frauenfeindlichkeit kann es nicht liegen. Bei Joseph Conrad liegt die Sache anders, ein bisschen wie bei Benno Pludra: es geht um die See und die Fahrt auf ihr bei Wetter und Wind. Allein der Gedanke an die schiere Winzigkeit der Schiffe dereinst, die um Kap Hoorn oder andere Kappen segelten und schipperten, nötigt mir Höchstachtung ab, gegen die Hochachtung eigentlich eine Beleidigung wäre. In „Jugend“ geht es außerdem noch um Jugend im Rückblick. Schiller hätte es nicht gemocht wegen der Träume der Jugend, die ihm heilig waren.

28. August 2024

Ganze Festwochen werden ausgerufen, weil heute Johann Wolfgang von Goethe, der Dichterfürst, wahlweise Fürstenknecht, 275 Jahre alt ist. Also sein Geburtstag liegt so lange zurück, er selbst ist natürlich bis auf weiteres der Inbegriff ewigen Lebens, also Nachlebens. Ich bin im Umgang mit ihm, der immer währet, auch wenn es so gar nicht aussieht, von der „Pandora“ zu „Die natürliche Tochter“ übergegangen, dabei auf das Phänomen der gescheiterten Trilogie-Pläne gekommen. Man könnte meinen, Goethe hätte eine Neigung gehabt, unterwegs kalte Füße zu bekommen, wenn sein Ehrgeiz ihn allzu sehr gestachelt hatte und wenn es auch bloß Freund Schiller war, dem es nicht missriet mit seiner Trilogie namens „Wallenstein“. Das Schrifttum redet gern von den gescheiterten Revolutionsschriften und schiebt sie beiseite auf die lange Bank. Die Plätze dort sind eigentlich besser als die auf kurzen Bänken, weil sie mehr Nachbarschaften ermöglichen: Kein Kommentar.

27. August 2024

In meinem Kalender ist heute der Jahrestag einer Hinrichtung vermerkt. Am 27. August 1824 erlebten mehr als 1000 Bürger Leipzigs die letzte öffentliche Hinrichtung auf dem Marktplatz. Es starb auf dem Schafott Johann Christian Woyzeck, geboren am 3. Januar 1780 ebenfalls in Leipzig. Unsterblich hat ihn Georg Büchner gemacht. Kein Regisseur, der auf sich hält, der nicht mindestens einmal einen „Woyzeck“ oder ein „Wozzek“ auf die Bühne bringen will. Das Unvollendete des Stückes ist ideal für Regie-Ehrgeiz. Ich sah ihn in Coburg, Eisenach und Dresden und ein fröhlicher Unterstufenlehrer versuchte mich vor Jahren davon zu überzeugen, dass seine Lesart des Fragments einen neuen Abschnitt in der Weltgeschichte einleitet. Vor zehn Jahren starb Benno Pludra, dessen „Bootsmann auf der Scholle“ mich schon einmal beschäftigte. Jetzt las ich „Sundus und der hafergelbe Hund“, ohne zu einer auch nur kurzen Arbeit darüber zu kommen. Der Grund: ein Kater.

26. August 2024

Der Vorteil eines kleinen Katers: er schläft fest und ausdauernd, wenn er sich müde getobt hat und satt ist. Ich habe am Morgen noch Konditionsprobleme nach dem Weg, außerdem funktioniert die innerbetriebliche Kommunikation nicht, wenn beide Handys auf „Nicht stören“ gestellt sind. Das wird morgen schon ganz anders laufen. Bis zum Monatsende fehlen mir noch drei Tage mit den 10.000 Schritten. Den zweiten Heinz Knobloch des Monats schloss ich gestern ab, der zweite und letzte mit einem Nachwort von Reiner Kunze. Mich stören mehr, als ich erwartete, überdeutliche Pointen, wobei Knobloch offenbar seiner eigenen Feuilleton-Theorie sehr brav und konsequent folgt. Ich bedauere ein wenig, dass ich ihn lange nicht ernst genug nahm, ohne Arthur Eloesser wäre er vermutlich nicht in mein Blickfeld geraten, besser: dort verblieben. Und dann las ich Ende Juli sein „Marienbader Feuilleton“, wo mir nunmehr jeder Halbsatz eigene Bilder vor Augen ruft.

25. August 2024

Pferde und Surfer verstellten mir gestrigen Samstags den Kurzblick auf zwei Geburtstagskinder: Jorge Luis Borges und Ruth Schaumann wären 125 Jahre alt geworden. Beide haben den Nobelpreis nicht bekommen, bei Ruth Schaumann hält sich die Verwunderung darob in Grenzen. Unsere Enkel haben heute schon wieder Abreisetag, so schnell hüpfen die Wochen, sagt das Phrasenschwein und es liegt wie meistens richtig. Auch Adele Schopenhauer und ihr 175. Todestag müssen heute außer Sichtweite bleiben, denn wir wechseln nahtlos aus dem Enkel-Modus in den Katzen-Modus. Eben winken wir noch den einen, als sie unsere verkehrsberuhigte Straße gen Berlin verlassen, schon regeln wir die Ablöse-Modalitäten für Aufsicht und Fütterung des Jungkaters Leo, was zunächst auf die Abwicklung des Nachtschlafes Auswirkungen hat. Wir sind bestens geschult und eingewiesen, wissen, aus welcher Packung es wann etwas zu füttern gilt, wie es mit der Katzenstreu aussieht.

24. August 2024

In Oberpörlitz ist heute Pferdetag. 10 Uhr geht es los und 14 Uhr beginnt ein Schauprogramm. Was zwischen dem Beginn und dem Beginn des Schauprogramms passiert, ist der Einladung leider nicht zu entnehmen. Als wir 14 Uhr kommen, gibt es kein Schauprogramm, weil sich alles verschoben hat. Es ist höllisch heiß und Ahnungslose wie wir haben keine Ahnung, nach welchen Kriterien bei der Vorstellung der Fohlen etwas entschieden wird. Immerhin, die Fohlen sind schön anzusehen und die Besitzer völlig begeistert, wenn sie eine Schleife verliehen bekommen. Wir entfernen uns dezent, weil Pferde Mädchensache sind, wie wir eigentlich schon wissen, hier aber noch einmal vor Augen geführt bekommen. Wir wechseln den Ortsteil, fahren zum Stausee Heyda, wo Bürger aus allen Landesteilen Thüringens mit und ohne Surfbrett angereist sind. Ein Bürger mit Fotoapparat wird kurz sichtbar, dessen Vorgesetzter ich einst war. Die Enkel baden fröhlich an der Staumauer.

23. August 2024

Das Schöne am Ilmenauer Freibad im Hammergrund ist, dass man Platz hat, wenn die Thüringer Kinder schon wieder in die Schule gehen müssen, während die Berliner Kinder noch Ferien haben. Man sieht dann wohl eine oder zwei Schulklassen bei verschiedenen Übungen unter Anleitung, eine andere Gruppe geht auch schon wieder, als wir uns auf unserer Bank eingerichtet haben. Der fette Knabe vom Dienstag, der mit seiner fetten Schwester, seiner fetten Mutter und fetten Großmutter und drei Fresseimern gekommen war, um nach je zwei Rutschpartien neue Nahrung in sich zu schieben, der fehlt heute. Das Wasser scheint kalt zu sein. Heute erleben wir die ersten Sprünge vom 5-Meter-Turm in unserer Familie. Ich sprang als Brillenträger nicht einmal in die Badewanne in meinen jungen Jahren. Vor 100 Jahren wurde Ephraim Kishon geboren, vor 75 Jahren starb Paul Wiegler, von dem ich kürzlich das Buch „Tageslauf der Unsterblichen“ las, durchaus mit Gewinn.

22. August 2024

In Goldisthal sorgt nicht nur Vattenfall für volle Gemeindekassen, es gibt auch ein „Haus der Natur“. Von außen sieht es aus wie ein Haus, das nicht auffallen will, weil es geschiefert ist, von innen und in der Außenanlage ist es eine Entdeckung für Kinder und Großeltern. Man kann dort sogar Goldsucher spielen, also Pyrit suchen. Mehr Freundlichkeit ist uns seit längerem in einem öffentlichen Tourismusziel nicht begegnet. Am Ende gab es Urkunden, die Kindern in aller Regel immer Freude bereiten, weil sie ihnen Fähigkeiten bescheinigen. Soweit Kinder noch Ehrgeiz entfalten. Kann sein, dass Ehrgeiz bald als diskriminierend gilt, weil er die laschen Säcke und Säckinnen diskriminiert, die nichts entfalten wollen außer Hunger auf Chips und zuckerhaltige Kaltgetränke. Vor 150 Jahren wurde Max Scheler geboren, von dem „Schriften zur Anthropologie“ bei mir stehen und ein Buch von Wolfhart Henckmann in der Beck'schen Reihe „Denker“ über ihn.

21. August 2024

Vor 25 Jahren ließen uns unsere Kinder allein von Gotland aus die nördlich sehr nahe Insel Fårö besuchen, ihr Bedarf nach immer neuen Kirchen im Zustand vor der Eroberung Gotlands durch Waldemar, den wilden Dänen, war komplett gedeckt, ich entfaltete Sammlerehrgeiz und wollte alle gesehen  haben, was mir natürlich nicht gelang. Auf Fårö starb knapp acht Jahre später Ingmar Bergman, der seit 1965 dort gewohnt hatte. Sein Grab sahen wir nicht, weil wir, rückblickend sehr ärgerlich, nicht danach suchten. Dafür sahen wir Raukare und Schafe. Die lieben Enkel heute in Erfurt unter den Fittichen von Großvater Nummer 2, wir am Vormittag in Pennewitz, wo wir die Füße, auf denen wir den aufrechten Gang pflegen, pflegen ließen. Ich las auf der Bank am Spielplatz, statt große Runden zu drehen. Stilles Lesen ist in Zeiten mit übervoller Wohnung nicht in der gewohnten Weise zu realisieren. Abends Rommé am Esstisch, kinderfreundlich mit Klopfen.

20. August 2024

Vor dreißig Jahren brachen wir, ich nur auf dem Beifahrersitz, auf der Rückbank fünfzig Prozent unserer Kinder, erstmals gen Dänemark auf. Das Ziel hieß Bork Havn. Es war für die Fahrerin sehr anstrengend, weil hinter der deutsch-dänischen Grenze noch eine erstaunliche Menge Dänemark kam, ehe der Ferienhaus uns alle aufnahm. Uns war in diesem Falle eine weitere dreiköpfige Familie aus dem Kreis der Brüder und Schwestern aus Gera. Heute brachen wir, ich auf dem Beifahrersitz, gen Hammergrund auf, auf der Rückbank hundert Prozent unserer männlichen Enkel. Weibliche Enkel fallen nicht in unseren Besitz. Die männlichen Enkel sind im Besitz von in Ilmenau erworbenen Urkunden über ihre Schwimmfähigkeiten, denn in Ilmenau sind Freibad und Hallenbad, wie soll ich es sagen, noch keine gefährdeten Zonen wie etwa in der Hauptstadt, in der Nancy Faeser immer viel will und nie etwas tut. Familienkarte in Ilmenau läppische 14 Euro nur.


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