Bernd-Dieter Hüge: Beichte vor dem Hund

Vorbemerkung: Bernd-Dieter Hüge, Jahrgangsgenosse von Christoph Hein, geboren am 9. Mai 1944, gestorben schon am 24. Januar 2000, könnte heute seinen siebzigsten Geburtstag feiern. Sein zweites Buch, „Beichte vor dem Hund“, war 1987 Gegenstand meiner dritten Arbeit für die Kulturbund-Wochenzeitung SONNTAG. Details seines Lebenssschicksals erfuhr ich erst später.

Man kann vor die Hunde gehen, man kann auf den Hund kommen. „Der Hund ist Sinnbild des Lebens und zugleich des Todes“, verrät ein Brief, den Bernd-Dieter Hüge seinem neuen Band „Beichte vor dem Hund“ nachgestellt hat. Zugleich war der Hund auch ein höchst lebendiges Tier, Nachtgefährte des Parkplatzwächters H. mit der unersetzlichen Eigenschaft zuhören zu können, ein Wesen auch, dessen geduldige Aufmerksamkeit sichtbare Zeichen zu setzen imstande ist: Hunde spitzen ihre Ohren. Und Beichten setzen auf die Schweigepflicht – die Rede geht vom Beichtgeheimnis als entscheidender Bedingung für Offenbarungen des Innersten, des Eigensten. Vergessen sei nicht: die Beichte ist auch ein Sündengeständnis, weil sie es war.

„Besser gewesen wär / mir die Gestalt eines Tieres, / zum Beispiel eines Hundes“ hieß es in der „Aktennotiz zur Kaderakte“, die Hüges ersten eigenen Band „Kaderakte eines Zugvogels“ (1984 Aufbau-Verlag) eröffnete. Hund also ist auch ein alter Ego des Dichters, der nun unter dem Titel „In einer Nacht“ sagt: „Es schleichen hin in Straßen unbescholten / des Riesenkrieges Tritte unter Blinden“ und in „Reisen“: „Mit mir zu fahrn ist wundenschwer.“ 1983 ist der Zyklus entstanden, der Titel und Zentrum des neuen Buches bildet: „Der Vormensch, so sage ich dir, hütete noch die Glut für sein Feuerchen mit seiner hohlen Hand. ... Jetzt ist alles anders. Eine einzige Hand vermag nun nichts mehr, wie ein Land allein nichts vermag.“

Der Hund hält den Ton der Verkündigung aus: hier gilt der Prophet etwas in seinem eigenen Lande. Unbedachter Optimismus ist Hüge's Sache da nicht, vor allem ist es ein Wunsch: „Aber ich will diese Erde nicht verlassen ohne die Gewißheit, daß alles weitergeht, hörst du?“ und ein trotziges Widerwissen: „Es gäbe nimmermehr Aussicht. Und allein das verträgt die Menschheit nicht.“ Bernd-Dieter Hüge schreibt nicht von der Gefahr, indem er sich von außen ihrer Existenz nahe bringt, Krieg ist ihm nicht, was die Einbildungskraft als faßliches Schreckbild der rationalen Einsicht verstärkend beigesellt. Vielfach reden seine Gedichte von Erinnerung an realen Krieg (Hüge ist 1944 im damaligen Königsberg geboren): Gewitternacht vor allem assoziiert, was dem Kind sich brandmalgleich aufprägte.

„Denn / so begann meine Kindzeit / auch zu Angst geflochten / und war um mein Herz / als Finsternetz gelegt, das / zog der Krieg der Träume / durch die Augen mir.“ „Auch Sirenengeheul. Das Dämmerlicht im Keller, Plantage vierundzwanzig. Und etwas bleibt davon für später. Es bleibt wie ein Traum im Traum.“ Über die erste Gedichtauswahl Hüge's schrieb eine Kritikerin: „Welt wird nicht widergespiegelt, sondern in künstlerischer Phantasie umgearbeitet.“ und: „Ich halte ihn für einen politischen Dichter reinsten Wassers, fern von propagandistischen Absichten und tagespolitischen Erwägungen.“ Sie fand bei ihm Geschöpfe, „sehbar, hörbar und damit konkret beherrschbar“. Mit der „Beichte vor dem Hund“ hat sich Bernd-Dieter Hüge solchen Mißverständnissen beeindruckend entzogen, politisch ist er in dem Sinne jetzt in höherem Maße, als der „Grad der Stoffvernichtung“ in seinen Gedichten, von dem Karl Mickel seinerzeit sprach, geringer geworden ist.

In erheblichem Grade originell ist sein poetisches Bild der Welt, weil es ein Bild der Welt ist, seine subjektive Widerspiegelung (was sonst) weckt gerade nicht die verheerende Illusion, Sichtbarkeit bedeute Beherrschbarkeit (im Gegenteil ist höchst tagespolitisch erwogen „daß Millionen auf die Straßen gehen, um die Zukunft zu halten.“) Bei aller Zentriertheit um diesen einen ideellen Mittelpunkt gibt es doch keinerlei Enge im Buch, Reichtum, der nicht immer sofort  sich zu erkennen gibt, liegt beinahe auf jeder Seite. Spruchhaftes: „Wer seine Zähne verloren, / wartet auf keine Wunder.“, Bildüberraschungen: „Es flieht, der Gleise Silberhaar, / des Rauches längst verdorrte Witwenmähne“, jene Verknüpfungen von Anfangs- und Endzeilen, die schon aus dem ersten Bande vertraut immer wieder unerwartete Sinnzuwächse anbieten: „WISCHE DIE ALPHABETE DER ZWEIFEL, ... DOCH SINGE IM SCHLAF DICH NICHT AUS.“ Wer Eindeutigkeiten im Gedicht liebt, wird Hüge kaum näher kommen, Karl Mickels nobler Glaubenssatz: „Vielleicht haust, was mir verschlossen ist, in einer Kunstsphäre, die sich erst bildet: will ich denken.“ darf Geltung behalten. Nun soll Bernd-Dieter Hüge weitermachen, denn: „Der lange, lange Tag könnt sein, wo auch / der Tod aufs Sterbelager klimmen könnte“.
 Zuerst veröffentlicht in SONNTAG, Nr. 34, Seite 4, am 23. August 1987, unter
 dem Titel: Beichte vor dem Hund, nach dem Typoskript


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