Sean O'Casey: Drei Einakter

Arnstadt. Wer heutzutage in Brüssel eine Postkarte kauft, die den perfekten Europäer vorstellen will, liest dort über den Iren: „Sober as the Irish“. Wer sich das Programm des Theaters Erfurt zu „Das Ende vom Anfang“ von Sean O'Casey mitnimmt, findet dort unter anderem das Zitat von Brendan Behan: „Da Whiskey unserer einzige Erfindung von historischer Bedeutung ist, betrachten wir Iren es bis heute als patriotische Pflicht, unseren Whiskey nach der altkeltischen Maxime zu trinken: ZUVIEL IST NICHT GENUG.“ Womit eines der geläufigsten Vorurteile über die Iren bestätigt wäre: sie sind Säufer.

Die Inszenierung von Monica Querndt, die in Erfurt am 15. November Premiere hatte und am Pfingstmontag nach Arnstadt kam, schnappt sich gleich das nächste Klischee über die grüne Insel und bringt die beiden männlichen Hauptdarsteller Marco Schiedt und Karsten Kramer mit fuchsroten Perücken auf die Bühne. Wobei wieder das Programm darauf hinweist, daß im wirklichen Irland nur jeder Zwanzigste rothaarig und sommersprossig ist. Das aber macht nichts. Arnstadt ist im Feiern des St. Patricks Day derart erfahren, daß es sich zusätzliche Einblicke in irisches Wesen etwa durch Besuch eines irischen Stückes im ortseigenen Theater vornehm versagt.
So folgten dem Klamauk auf der Bühne reichlich drei Dutzend Zuschauer, die freilich das Ihre zum Gelingen des Abends beitrugen.

Der deutschen Fassung von Maik Hamburger und Adolf Dresen vertraute die Inszenierung nicht reinen Herzens. Vielleicht wäre der Einakter auch nicht gut auf abendfüllende Länge zu spielen gewesen, so wurde einiges dazuerfunden. Manchmal, wenn es nur wortloses Bühnenspiel war wie der erste Einsatz des mandolinenbewaffneten Besuchers Barry Derrill in der Kuchenherstellung, machte sich das ganz gut. Manchmal wenn Text dazukam wie rund um das freilich nicht einfach zu spielende Lied von den Bienen und den wilden Blumen, dann verselbständigte sich das.

Alles in allem ist die Vorlage des Iren O'Casey (1880 – 1964) natürlich kein Werk, das in die tiefsten Tiefen der irischen Seele vordringen will. Die Erfurter haben es so gespielt, daß es durchaus dem Komödienstadel entwachsen sein könnte. Wer noch aus seiner Schulzeit weiß, wie die DDR den Iren als sozialistischen Realisten aus dem Westen behandelte, darf sich wundern über ein Stück, das eher die Einsicht vermittelt, daß besonders finstere Varianten archaischer Familien-Rollenspiele in den unteren Klassen zu finden sind. Wobei die alte Weisheit mitinszeniert ist, daß Frauen wohl Männerarbeit verrichten können, Männer sich umgekehrt aber geradezu gnadenlos dämlich anstellen, wenn die Rollen getauscht werden. Die Hausfrauen unter den Zuschauern litten angesichs der Katastrophen auf der Bühne, und als das Bühnenblut troff, gab es eine leise Ahnung, wie es wäre, wenn da mal richtig geschweinst würde. Darauf wäre Arnstadt nicht vorbereitet.
 Zuerst veröffentlicht in FREIES WORT Ilmenau, 21. Mai 1997, Überschrift: Ein
 Rollentausch für irische Männer, Unterzeile: Erfurter Inszenierung dehnte die 
 Einakter-Vorlage auf abendfüllende Länge

Arnstadt. So vollkommen leer war der Zuschauerraum des Theaters im Schloßgarten bisher nur an spielfreien Tagen, und dennoch war der „Irische Abend“ gut besucht. Der theater-spiel-laden rudolstadt hatte die nicht mehr ganz taufrische Idee, die Zuschauer auf die Bühne zu holen. Dort saßen sie dann etwas härter plaziert als auf den roten Polstern sonst und harrten der Dinge, die da kommen sollten. „Es könnte schlimmer sein“ hatten die fast durchweg sehr jungen Theatermacher den Abend betitelt, der zwei Einakter von Sean O'Casey vereinte, „Ein Pfund abheben“ heißt der eine, „Halle der Heilung“ der andere.

Das sagten sich dann wohl auch die Mitglieder des Lions Club, die in überwiegend sehr feinem Zwirn gekommen waren, um sich einen Theaterabend zu gönnen. Sie ließen sich den kollektiven Theaterbesuch per Quittung bestätigen und kündigten weitere derartige Aktivitäten zum Wohle des Hauses an. Doch schon an den Reaktionen während des mit Spielfreude auf die Bühne gebrachten Geschehens und an den Bemerkungen in der Pause war zu erkennen, daß ein Säuferschwank und eine Elendsdrama in Kombination vielleicht doch nicht ganz den Erwartungen entsprachen. Und die eine Frage müssen sich die Macher des Abends natürlich von jedem Publikum gefallen lassen: Warum diese und nicht andere Einakter, warum von diesem und nicht von einem anderen Autor?

Schon als in der vorigen Spielzeit „Das Ende vom Anfang“ des irischen Dramatikers nach Arnstadt kam, es kam aus Erfurt am Pfingstmontag, stellte sich die Frage nach der Stückauswahl. Zumindest jeder, der vom Theater erwartet, daß auf die Bühne etwas kommt, das ihn wenigstens irgendwie angeht, darf vor der Rudolstädter Darbietung die Achseln zucken. Randalierende Säufer gibt es ohne jeden Eintritt in jeder kleineren Stadt bei ähnlichen Unternehmungen zu besichtigen wie dem altirischen Versuch, ein Pfund abzuheben. Die Szene realistisch durchgespielt, hatte bestenfalls einen leichten Unterhaltungswert. Vielleicht wäre bei wildester Übertreibung aller Gestik und Mimik mehr herausgekommen.

Der Übergang zu einem weiland wohl bitter anklägerischen Sozialdrama im Vorzimmer eines dem Alkoholismus verfallenen Arztes kam als harter Schnitt. Beim roten Schal des die Anklage formulierenden jungen Vaters, dessen Kind stirbt, weil der Arzt keinen Hausbesuch macht, fiel meinem Vordermann „Super-Mompi“ ein, Westberlins einstiger regierender Bürgermeister Walter Momper. Das dürfte wohl kaum die Absicht der Spielleute gewesen sein. Die haben vermutlich sich selbst einen Abend gebaut, bei dem sie spielen und singen durften, was sie denn auch mit sichtbarer Beteiligung taten. Ob das am Ende reicht für ein ohnehin dem Zuhausebleiben stark zugeneigtes Publikum, darf bezweifelt werden.
 Zuerst veröffentlicht in FREIES WORT Ilmenau, 30. September 1997, Überschrift: Wenn
 der Arzt ein Kind sterben läßt. Unterzeile: Zwei irische Einakter im Theater im  Schloßgarten


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