Vor 100 Jahren starb Alfred Lichtenstein

„Der einzige Trost ist: traurig sein. Wenn die Traurigkeit in Verzweiflung ausartet, soll man grotesk werden. Man soll spaßeshalber weiterleben, soll versuchen, in der Erkenntnis, daß das Dasein aus lauter brutalen hundsgemeinen Scherzen besteht, Erhebung zu finden.“ Der das schrieb, hatte mit dem Weiterleben „spaßeshalber“ wenig Glück. Bei Vermandovillers in der Nähe von Reims (Frankreich) fiel er am 25. September 1914, fast auf den Tag einen Monat nach seinem 25. Geburtstag. Alfred Lichtenstein, der nun 75 Jahre tot ist und vor 100 jahren geboren wurde, hat es in seinem kurzen Leben nicht zu der spektakulären Berühmtheit gebracht wie etwa die zwei Jahre älteren Georg Heym, Georg Trakl, Jakob van Hoddis. Sein Gedicht „Die Dämmerung“ wird wohl immer genannt, wenn von exemplarischen Gedichten des deutschen Expressionismus die Rede ist, aber schon mit der Einschränkung, daß es ohne das „Weltende“ des Jakob van Hoddis nicht denkbar wäre.

Ausgewählte Gedichte von ihm gab es 1977 im Aufbau-Verlag, seine herrliche Groteske „Café Klößchen“ lieferte den Titel für eine Grotesken-Anthologie des Eulenspiegel-Verlags im Jahre 1980. Der Berliner Lichtenstein, der nur vier Jahre nach seinem Abitur mit einer Arbeit zum Theaterrecht promovierte, obwohl die Hochschulen damals noch keine Wettbewerbskennziffer Promotionszeit hatten, erfand sich den buckligen Dichter Kuno Kohn als Figur seiner Rollengedichte wie auch der Prosa-Groteske. An und mit ihm exerzierte er, was in der deutschen Literaturgeschichte selten ist: schwarzen Humor. Der ihn nicht rettete an der Somme, wohin er gezogen war mit seinem 2. bayerischen Infanterieregiment Kronprinz, illusionslos: „Am Himmel brennt das brave Abendrot. Vielleicht bin ich in dreizehn Tagen tot.“
 Zuerst veröffentlicht in NEUE HOCHSCHULE, 32. Jahrgang Nummer 15, Seite 6,
 15.September 1989, Überschrift: Weiterleben: spaßeshalber


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