Peter Rühmkorf: Kleine Fleckenkunde

Wer wie Peter Rühmkorf Peter Rühmkorf heißt, mag in einer stillen Stunde auch auf den Gedanken verfallen, sein Name sei eine Aufforderung, Korf zu rühmen, den Erfinder der Tagnachtlampe aus dem Hause Christian Morgenstern. Und wer wie Peter Rühmkorf 1929 geboren ist, hatte auch noch das durchaus ambivalente Erlebnis des offenen Tintenfasses in der Schulbank, im Hinterkopf vielleicht zugleich den großen Nikolas und seine bösen Buben. Und schließlich folgt in jeder guten Tagesordnung der Punkt Sonstiges: Rühmkorf hat sich ein Klecksbuch geschrieben und gekleckst, er hat dem Zufall dabei energisch unter die Arme gegriffen, sogar ein Goethe ist ihm gelungen, sinnigerweise auf Seite 100, denn auf eine beliebige Seite paßt Goethe eben keinem deutschen Dichter. Wohl aber paßt dieses zauberhafte Büchlein in die gute alte Insel-Bücherei in ihrem sechsundsiebzigsten Jahre. Jüngere werden wissen, daß es eine solche grundnahrungsmittelhaft billige Buchreihe geben soll, Sammler behaupten hartnäckig, daß es sie gibt und ich bezeuge es hiermit gern.

Wir kannten von Rühmkorf erst seine Gedichte in Auswahl - „Phönix voran!“ hieß der dann doch etwas sparsame Querschnittband des „Weißen Reihe“ des Verlages Volk und Welt, Reclam Leipzig ließ die aufgeklärten Märchen „Dintemann und Schindemann“ folgen. Jetzt also dieses Buch mit den umwerfenden Reimen, den eindeutigen, den zweideutigen, den dreideutigen Faltklecksen: Psychotonika – Veronika, amorph – Willendorf. Wahrhaftig, es ist ihm eine Venus von Willendorf gelungen, neben Fledermäusen, Schmetterlingen, Krebsen, Fehlversuchen und Goethe. Rühmkorf ist zu Hause in der Tradition, er nimmt sie sich her, die Philosophie, die Literatur, die Wissenschaft, er schustert, schneidert, dreht und wendet. Und es gelingen ihm zwischendrin auch die ganz großen Würfe: „Es führt die Entwicklung der Arten // nicht immer zu Wesen, // die wir mit Spannung erwarten.“ Da versagt der Kommentar, die Hände des Kritikers streichen übers Papier, als könnte dies etwas von der Machart des reinen Vergnügens fühlbar machen. Natürlich ist überall Hintersinn, Doppelsinn und Unsinn. Klaus Pankow hat ein angenehm knappes Nachwort dazu geschrieben und wir haben einen bedeutenden Dichter der BRD von einer ganz anderen Seite kennengelernt.
 Zuerst veröffentlicht in TRIBÜNE 242, Seite 12, vom 9. Dezember 1988,
 nach dem Typoskript


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