Georg Trakl 100
„Wie ich auch lächle heut und besser weiß, / daß es ein Spielen war. Zutiefst war's mehr. / Geheimes war und gab sich preis / und war die Brücke zwischen Tag und Traum.“ So bezog sich Louis Fürnberg in seinem „Bruder Namenlos“ auf Georg Trakl. Und ein anderer Dichter, Fürnberg einst sehr nahe stehend, nämlich Walter Werner, so: „Manche Wortendungen, bewußt wiederholt im Reimschema, schafften sich ein eigenes Gedächtnis. Doch es sollte sich als untauglich erweisen, aus seinen Dunkelheiten Licht und aus Sprachlosigkeiten Rat zu holen.“ Nähe und zugleich Distanz sind angesprochen zu einem Werk, das in der deutschsprachigen Dichtung dieses Jahrhunderts einen frühen Höhepunkt markiert.
Vom 3. Februar 1887 bis in die ersten Stunden des 4. November 1914 währte das Leben des Georg Trakl. „Es war von Hölderlins Art, aber er durchlief rascher die Bahn“, schrieb Albert Ehrenstein über dies Leben. Im Ansatz ist sie schon in diesen Worten enthalten, die Verklärung zu unausweichlicher Schicksalhaftigkeit, die aus den Dunkelheiten Trakls abgezogene Mystifikation exemplarischen Dichterdaseins, aus der sich später eine regelrechte „Trakl-Kirche“ bildete. Zu Lebzeiten erkannten nur wenige Trakls Bedeutung, unter ihnen allerdings Karl Kraus. Der warb 1912 in seiner „Fackel“ Subskribenten für den Band, der dann 1913 unter dem Titel „Gedichte“ im Kurt Wolff Verlag Leipzig erschien. Wohl keiner konnte damals voraussehen, daß der Band 7/8 der Reihe „Der jüngste Tag“ einmal zu den gesuchten Raritäten der Antiquariate gehören würde.
In Trakls Briefen finden wir den zähen Prozeß der Subskription widergespiegelt: Nach einem halben Jahr Einschreibzeit avisierte der Dichter seinem Verlag etwa 120 Kaufwillige. Der Sprung in eine gesicherte Existenz war davon nicht zu erwarten. Und dabei konnte sich auch Georg Trakl ausgelassen freuen, wenn Geldsorgen ihn einmal nicht plagten. „Ach, was bedeutet ferner noch des Leibes Not. Ich sage nur eines: Honorar! O süßes himmlisches Wort!“ schrieb er an Erhard Buschbeck am 3. Oktober 1911. Freilich sind solche Töne selten in seinen Briefen und beinahe noch seltener in den Gedichten. Immer wieder hat er sich diese vorgenommen. Besonders wenn sie in Druck gehen sollten: Mehrere Fassungen entstanden, einzelne Zeilen, einzelne Worte wurden immer wieder getauscht. Langmütig muß der Verleger gewesen sein.
Das Endgültige war offenbar seine Sache nicht oder doch gerade das Endgültige, aber als eine ihm unerreichbare Vollendung. Anders als bei manch anderem Dichter sind die verschiedenen Fassungen bei Georg Trakl oft nicht lediglich verworfene Stufen, sie können nahezu gleichberechtigt neben der letztlich autorisierten Fassung bestehen. Herausgeber, die eine Auswahl aus seinem Werk vornehmen wollen, werden beinahe zwangsläufig in die Richtung einer historisch-kritischen Ausgabe getrieben. Franz Fühmann hat das nach seinem zweiten Versuch bekannt. (Fühmann's Verdienst um Trakl in unserer Republik, gipfelnd in seinem Buch „Vor Feuerschlünden“, diesem grandiosen Buch, kann nicht nebenbei gewürdigt werden, weshalb es hier unterbleibt.)
Es geht ein Sog aus von den Gedichten Georg Trakls: sich auf sie einlassen heißt, mit ihnen ringen. Die unausrottbare Frage nach dem, was uns der Dichter sagen wollte, verwandelt sich rasch in die Frage: Was sagt mir der Dichter? Jener Zug an Trakl, aus dem heraus ihn die einen zum Fixstern der „poesie pure“, die anderen zum Stifter „ontischer Dichtung“ machen wollen – es gibt dafür auch den Begriff des Hermetismus – zwingt unausweichlich den Leser auf den Plan und zwar nicht den Leser, der wie ein sportlich interessierter Code-Spezialist ans „Dechiffrieren“ gehen will, sondern den, der in sich selbst hineinhorchen möchte.
Es ist nicht wirklich wichtig, ob die „weißen Schwestern“ in Trakls Gedichten von einer inzestuösen Liebe verschlüsselt künden, es ist nicht wirklich erheblich, aus wieviel Alkohol und Drogen manche seiner Visionen gespeist wurden. Trakl selbst empfand die Austilgung von Persönlichem in seinem Werk als Gewinn. Natürlich ist daran die Problematik spätbürgerlichen Dichtens abzulesen, letztlich die Kunstfeindlichkeit des Kapitalismus. Aber wollen wir aus den Gedichten eines jungen österreichischen Pharmazie-Absolventen, der an seiner Welt und an sich selbst litt, dem das Erlebnis des ersten Weltkriegs, das Erlebnis „Grodek“, für immer den Lebenswillen nahm, denn das erfahren, was in unübertroffener Weise von Marx und Lenin längst gesagt war? Hier sind Gedichte voll unerhörter Bilder zu lesen, hier sind Erschütterungen zu empfangen und - hier ist Schönheit. Albert Ehrenstein war sicher, „daß keiner in Österreich je schönere Verse schrieb als Georg Trakl“ und Max Frisch trug 1949 in sein Tagebuch ein: „Dann aber, und das ist das Erlösende der wirklichen Bewunderung, gibt es solche, die uns von jedem Vergleiche befreien; der Unterschied ist unerbittlich klar: wir gehen - er fliegt... (Trakl zum Beispiel.)“
In Anthologien war Trakl auch bei uns immer vorhanden, sogar in einer „Gedichtsammlung für die Oberstufe“, die 1947 im Verlag Volk und Wissen herausgegeben wurde. Dennoch war nicht seine Art zu dichten, viel weniger noch seine Art, die Welt zu sehen, einfach als vorbildlich auszustellen. Auch ein selektives Herangehen, die Suche nach den Punkten größter Nähe beispielsweise, verbot sich als dem Dichter unangemessen. Jener Reifeprozeß unserer Gesellschaft, von dem Brecht erwartete, daß er mit einem hohen politischen Bewußtsein auch die Fähigkeit hervorbringen werde, „asoziale Kunstwerke“ zu genießen, hat unsere Rezeptionskultur verändert. Das „zwischen Tag und Traum“ ist auch uns wichtig geworden, noch der fast verzweifelte, an seiner Ohnmacht irr gewordene Dichter interessiert uns ob seiner Menschlichkeit. Wir sind keine Besserwisser, weil wir es besser wissen. Und so können wir, mit Else Lasker-Schüler, auch sagen: „Georg Trakl erlag im Krieg von eigener Hand gefällt. / So einsam war es in der Welt. Ich hatt ihn lieb.“
Zuerst veröffentlicht: Sonntag Nr. 6 1987, Seite 12, nach dem Typoskript