Carl Sternheim 1878 - 1942

Zwei Dinge sollte vermeiden, wer sich dem Schriftsteller Carl Sternheim nähern will mit möglichst großer Unvoreingenommenheit: Er sollte nicht zuerst Prosa von ihm lesen und kein Urteil über ihn, das nicht seine Komödien und Novellen meint. Carl Sternheims Prosastil ist auf vielen Seiten so, dass er den Leser quält, den Leser schreckt und auch verschreckt. Und Carl Sternheims Leben war für Mitmenschen, nicht zuletzt Kollegen, so provokant, so irritierend irrational, dass sie mit manchmal geradezu wilder Wut von ihm sprachen, so Thomas Mann, und über ihn schrieben.

Man kann den am 1. April 1878 in der Lortzingstraße 17 in Leipzig geborenen Sternheim, Sohn eines Bankiers, der auch eine Zeitung besaß, nicht beschreiben, ohne sein schließliches Verdämmern im Wahn, das sich bereits relativ früh bei ihm ankündigte, zu berücksichtigen. Der ihm immer wieder bescheinigte Größenwahn, Ausdruck vor allem findend in Selbstvergleichen mit den größten Namen der Weltliteratur-Geschichte und vernichtenden Urteilen über andere, gerade auch Zeitgenossen, gehört hierhin.

Doch hat dieser Sternheim in erster Linie eines vollbracht: Er hat eine Reihe von Komödien für die Bühne geschrieben, die nicht nur Jahrzehnte nach ihren zunächst von Verboten und Behinderungen begleiteten Uraufführungen noch Theater-Ereignisse waren und sein können. Er hat auch Rollen geschaffen, Figuren auf die Bühne gestellt, die den bedeutendsten Schauspielern der Zeit von Albert Bassermann bis Gustav Gründgens und Boy Gobert Gelegenheit gaben zu brillieren. Er hat mit diesen Komödien zupackend die Wilhelminische Zeit hergenommen und sein Urteil über diese Zeit des Kaisers aus dem Hause Hohenzollern ist vernichtend gewesen. Das hat später, darunter auch in der DDR, zu manchem gewollten Missverständnis geführt. Vor allem aber hat es bei allen denkbaren Einschränkungen seine großspurige Selbsteinschätzung, er sei der deutsche Moliere, eher bestätigt als widerlegt.

Sternheim hat auch einige Novellen geschrieben. Sie stehen an der Seite der Komödien „Aus dem bürgerlichen Heldenleben“ wie „Die Hose“, „Bürger Schippel“, „1913“, „Der Kandidat“, „Die Kassette“ und sie führen Namen im Titel für Figuren, die man so schnell nicht vergisst. Obwohl die Sprache, in der sie vorgeführt werden, oft zu anstrengend ist für Leser in schnelllebigen Zeiten. Das galt einst als exemplarisch expressionistisch, diesen Stil haben ganz unterschiedliche Kollegen wie Kasimir Edschmid und Arnold Zweig mit Superlativen gelobt. „Meta“ oder „Napoleon“, „Ulrike“ oder „Schuhlin“, das sind Exemplare des bürgerlichen Menschen, wie sie vorher noch nicht in der Literatur vorkamen.

Carl Sternheim war einer der entschiedensten und frühesten Kriegsgegner in Deutschland, als der erste Weltkrieg kam und er hat bis in letzte Konsequenzen gezeigt, was Krieg aus Menschen, aus Bürgern, macht. Manches, etwa in „1913“, einem der Stücke aus dem Maske-Zyklus, liest sich heute, als hätte der Dramatiker sogar den Hitler in seiner Genesis schon vorhergesehen, als der noch ein völlig unbekannter Gefreiter des Weltkriegs war. Am 3. November 1942 ist Carl Sternheim vereinsamt in Brüssel gestorben, wo er lange Zeit lebte.

Er war einer der wenigen deutschsprachigen Autoren, die in mehr als nur gut gesicherten Verhältnissen leben und arbeiten konnten, er war in vieler Augen einfach reich, wenn auch vor allem deshalb, weil seine zweite Frau Thea sehr reich war. Seine dritte Frau Pamela (Jahrgang 1906) hat er übrigens Klaus Mann ausgespannt, dem ebenfalls 1906 geborenen Sohn Thomas Manns, sie war Tochter von Frank Wedekind, dem großen Dramatiker vor Sternheim. Nimmt man die Broschüren aus, die er in den zwanziger Jahren schrieb, die späte Autobiographie, die ihn fast allen Mitlebenden weiter entfremdete, bleibt von seinem Werk vor allem, was ihn am tiefsten und verstörendsten selbst bewegte.

Das war die Frage des Person-Seins, des Selbstwertes des bürgerlichen Menschen, des Menschen als Bürger neben dem Adligen, als Kleinbürger neben dem Großbürger, als Prolet neben dem Spießer. Sternheim hat vor allem und neben denen, die mit und nach ihm in der einen oder anderen Form das „Sei du!“ für sich entdeckten, bis in böseste Konsequenzen gezeigt, was das auch heißen kann. Sei das Tier nämlich, das der Krieg aus dir macht, das er braucht. Wie beiläufig aber und das wäre heute noch an ihm zu entdecken, wo er gut sechzig Jahre tot ist, hat er immer Frauen gezeigt als die stärkeren, als sie selbstverständlicher sie selbst seienden Menschen.

Der große Kritiker Alfred Kerr meinte, Sternheim habe seinen Stil bei ihm gestohlen. Franz Blei, der nicht ganz so große Kritiker und zeitweilige Freund Sternheims, meinte, dessen Stil sei gar keiner, weil Sternheim keine Bildung erfahren hatte. Es gibt ein recht einfaches Mittel, solche Urteile nachzuprüfen. Das ist der Griff nach Sternheims Werk, es muss ja nicht gleich die zehnbändige Gesamtausgabe sein. Die ersten Seiten der Novelle „Ulrike“ (1918) beispielsweise sind Perlen sondergleichen und wären eine gute Kostprobe.
Zuerst veröffentlicht in FREIES WORT, 1. April 2003, unter der Überschrift „Sei du!“ -
bis in die bösesten Konsequenzen“, nach dem Typoskript


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