Und Flensburg an die Dänen

Die Rechtschreibreform macht aus Hansgeorg Stengel auf seine nicht mehr ganz jungen Tage nicht nur einen wandelnden orthographischen Fehler, sie wirft auch die Frage nach seinem Geschlecht neu auf. Für einen Mann, der am 30. Juli seinen 77. Geburtstag feiern und diesem dann noch weitere folgen lassen will, ist das ein hartes Brot. Wäre Stengel beispielsweise ein altgedienter Busfahrer oder, sagen wir, ein Postbote im Ruhestand, dann könnte er sein Problem nur am Biertisch oder mit der werten Gattin auf dem Fernsehsofa erörtern. Da Stengel aber, neben allem anderen, was er auch ist, ein tingelnder Alleinunterhalter oder, um ein ihm ganz und gar widerliches Wort zu nutzen, Entertainer ist, steht ihm die Kleinkunstbühne zur Verfügung, von der herab er seine Botschaften vermitteln, seine Fragen in die Publikumshirne pflanzen kann.

Die Rechtschreibreform geht ihm an die Substanz. Denn die morphologische Logik, die in ihr nach unbestätigten Meldungen walten soll, leitet den „Stengel“ von der „Stange“ her, macht ihn mithin zum „Stängel“ und wirft damit zugleich die Folgefrage auf. Denn „Stängel“ ist, konsequent gedacht, ein Diminutiv von „Stange“, und damit, immer noch konsequent gedacht „das“ Stängel und nicht etwa „der“ Stengel. Für Hansgeorg ist das verständlicherweise eine Geschichte, auf die hin er einen ganzen Theaterabend aufbaut. Spontan, wie er behauptet, also nicht wissend, was am Ende „hinten raus“ kommt, auch diese Formulierung seines Lieblingskanzlers Helmut wird bei Stengel einer von vielen Gegenständen und Ereignissen, an die heran und um die herum er plaudert.

Für kleine Theater wie das Arnstädter, die in der dritten Spielzeit wissen, dass alles, was Kabarett genannt werden kann, eine ziemlich sichere Bank ist, ist Stengel der richtige Mann. Er braucht nur einen Tisch auf der Bühne, auf dem er später jene Bücher signiert, die vorher in der Pause vom Publikum in doch erstaunlicher Zahl zu Nutz und Frommen auch des Arnstädter Buchhändlers Andreas Abendroth erworben wurden, einen Stuhl, den er sich zu Beginn gleich erst einmal an den Bühnenrand zerrt, damit er näher dran ist an seinem Publikum. Auf dem Tisch wartet ein Thüringer Waldquell, dem Stengel in der Pause mittels mineralhaltiger Fruchtbrausetablette den rechten Pep beifügt, während die offenbar als Seelennahrung während des Autogrammschreibens gedachte Banane am Ende noch unverzehrt den Schlussapplaus erlebt.

Stengel plaudert einfach vor sich hin. Er kommt nicht unbedingt vom Hundertsten ins Tausendste, den oberen dreistelligen Bereich aber hat er fest im Visier. Und das in jeder Hinsicht. Im Wettstreit um die Publikumsgunst, um die sich das Entree rankt, will er sich nur mit zwei weiteren Bewerbern messen. Es sind Michael Jackson, der bekannte weiße singende Zappelphilipp, den im Laufe der Jahre ganz doppelsinnig die Farbe verlassen hat, und André Rieu, Mann der Geige, für den Frauen in der Mitte des Lebens, wie sie sich in den einschlägigen Selbsthilfegruppen nennen, glatt 30 Jahre Ehe in den Sack hauen würden. Da steht Stengel, wie er sagt zur Freude seines Arnstädter Publikums, das wiederum kräftig mit Ilmenauer Publikum durchmischt ist, wenigstens immer auf dem Treppchen.

Stengel unterhält die freudig registrierte dreistellige Besucherzahl bis kurz vor zehn Uhr, am Ende kommt er sogar noch mit einigen seiner seit Urzeiten berühmten Epigramme. Vorher warnt er vor Wörtern wie „umsonst“ und „verschieden“. Erklärt über den Kalauer auf, jene dem Wortwitz entwachsende Humorform, die auch unfreiwillige Elemente hat und dann gleich doppelt lustig wird. Er plaudert von Marzahn, der Wende und seinem ersten Lehrgang danach in Solingen, als er den Umgang mit Messer und Gabel erlernte. Er lädt seinen Frust über Flensburg ab, Stadt der Sünderkartei, und schlägt dem gerade in Übung befindlichen Verteidigungsminister Scharping vor, Krieg gegen Dänemark zu führen, ihn dann zu verlieren, und Flensburg an die Dänen abzutreten. Vorher aber möchte er im Sinne der großen Politik mit einem Wessi zusammenwachsen. Der Wessi könnte Leo Kirch heißen und dann halbe-halbe mit Stengel machen. An solchen Stellen seiner Rede lacht er auf der Bühne auch selbst. Möge er noch lange tingeln zwischen Olbernhau und sonstwo, denn er macht das gut.
 Zuerst veröffentlicht in Freies Wort, Suhl, 13. April 1999,
 Unterzeile: Im Wettstreit mit Michael Jackson und André Rieu auf dem dritten Platz


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