Johann Gottfried Seume 225
Unter den zahlreichen Wortmeldungen, die die Französische Revolution auch im zersplitterten Deutschland herausforderte, gehören die von Johann Gottfried Seume zu den am tiefsten blickenden. Die großen Ideale des bürgerlichen Aufbruchs – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – hatten Seume auch dann noch auf ihrer Seite, als klar war, daß die Revolution selbst immer mehr von ihnen abwich. Seine unverwechselbare Position unter den Zeitgenossen, er war bekannt mit Goethe und Schiller, ein guter Freund von Wieland, wird am deutlichsten vielleicht in seinem wiederholten Bekenntnis zu – Spartakus. Johann Gottfried Seume sah in Spartakus, in dem Führer des großen Sklavenaufstandes im ersten Jahrhundert v.u.Z., den Helden der griechisch-römischen Antike, nicht in Brutus, dem Mörder Cäsars, den gerade die deutsche Aufklärung so gern als „Tyrannen-Mörder“ idealisierte und das war keineswegs eine skurrile Unabhängigkeitserklärung eines deutschen Schriftstellers in klassischer Zeit, sondern Frucht einer höchst folgerichtigen geistigen Entwicklung.
Seume ist unmittelbar nach Beendigung des verheerenden siebenjährigen Krieges geboren, am 29. Januar 1763, und hat von Kindheit an prägende Erfahrungen mit feudaler Willkür, Unterdrückung und Ausbeutung gerade der Bauern gemacht. Seine eigene Familie war davon betroffen. Die Privilegien der herrschenden Klasse und ihrer engsten Verbündeten in der Kirche erkannte Seume frühzeitig als die entscheidenden Hindernisse auf dem Weg zu Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Später hinzukommende Erfahrungen – er wurde einer von tausenden junger Männer, die der hessische Landesherr an England verkaufte als Söldner gegen die um ihre Unabhängigkeit ringenden Nordamerikaner, er sah die Leibeigenschaft im Machtbereich der russichen Zaren, die bittere Armut der Bauern in Italien – festigten diese Einsicht immer mehr.
So wurde er ein politischer Schriftsteller, der erklärte: „... ich glaube, jedes gute Buch müsse näher oder entfernter politisch sein. Ein Buch, das dieses nicht ist, ist sehr überflüssig oder gar schlecht.“ Weil er dies für sich selbst mit Konsequenz wahrmachte, erlebte er Verbote seiner Bücher, manches konnte zu seinen Lebzeiten gar nicht erscheinen. Und so wurde er für viele Leser der Mann, der einen „Spaziergang nach Syrakus“ beschrieben hatte und seinen „Sommer 1805“ - ein Reiseschriftsteller, obwohl auch diese Bücher eine deutliche Sprache redeten. Noch am 7. August 1929 konnte Erich Mühsam im „Berliner Tageblatt“ fragen: „Wer kennt Seume, dessen ganzes Leben Revolution, Trotz und Abenteuer war?“ Und Mühsam empfahl Johann Gotfried Seume allen, die ihr Leben dem sozialen Fortschritt widmen wollten, als unverzichtbares Erbe. Diese Empfehlung gilt noch immer.
Zuerst veröffentlicht in: Freies Wort, Wochenendbeilage Nr. 6/1988
unter der Überschrift: Verfechter fortschrittlichen Denkens