Jean Paul 250
Ilmenau. Die Hauptperson heißt Karoline von Feuchtersleben, neben Johann Paul Friedrich Richter natürlich, der sich später Jean Paul nannte. Die 1774 geborene Karoline war Hofdame in Hildburghausen, Tochter des Generaladjutanten des dortigen Herzogs. Der 1763 geborene Richter, sein Pseudonym trug er seit Mai 1792, erklomm mit seinem dreibändigen, später auf vier Bände erweiterten Roman „Hesperus oder 45 Hundsposttage“ 1795 den ersten Gipfel seines literarischen Ruhms und konnte sich, heutig gesprochen, vor weiblicher Fan-Post kaum retten. Ihn verehrende Damen verfolgten jeden seiner Schritte, Gerüchte verbreiteten sich in Windeseile, man unterrichtete sich gegenseitig, wo er mit welcher adligen Dame, denn es waren durchweg adlige Damen, die ihn im wahrsten Sinne des Wortes anhimmelten, angeblich oder tatsächlich in Kontakt getreten sein sollte. Mit Karoline war er schon verlobt, bevor er mit ihr verlobt war.
Dass Jean Paul im Jubiläumsjahr 2013, das mit einer fast unübersehbaren Zahl von Veranstaltungen an den bedeutendsten Vergessenen der deutschen Literatur erinnert, auch mit Ilmenau in Verbindung gebracht werden kann, hat neben Karoline mit Goethes Urfreund Karl Ludwig von Knebel zu tun. Ihn kannte Jean Paul von Weimar her schon, Knebel mochte ihn sehr und wohnte in Ilmenau. Genau deshalb und wahrscheinlich nur deshalb wurde Ilmenau zu einem der Jean-Paul-Orte, die mit dem 21. März beginnend, bis zum Jahresende an exponierter Stelle eine Litfass-Säule stehen haben, die an den Bezug des Dichters zum jeweiligen Ort erinnert. Jean Paul verband, sehr modern und praktisch, Hin- und Rückreise nach und von Hildburghausen mit einem Aufenthalt in Ilmenau.
Eduard Berend (1883 – 1973), Pionier unter den Herausgebern von Jean-Paul-Werken, hat in seine berühmte Sammlung „Jean Pauls Persönlichkeit in Berichten der Zeitgenossen“ zwei Knebel-Briefe aus Ilmenau aufgenommen. Einer ist an Herder gerichtet und mit 23. Mai 1799 datiert, der andere an Karoline von Bose, Hofdame in Weimar und Jugendfreundin des Ehepaars Knebel, Datum 2. Juni. Beide Briefe singen das Lob Jean Pauls, der erste verrät außerdem, dass Jean Paul nur Herders wegen Weimar ertrage, also im Umkehrschluss nicht wegen Goethe oder Schiller oder auch Wieland. Wobei einzig Schiller aus seiner Distanz zu Jean Paul keinen Hehl machte, Goethe und Wieland waren deutlich wohlwollender.
Dieter Richter, dessen Buch „Jean Paul. Eine Reise-Biographie“ für Überblicke sehr hilfreich ist, hat im laufenden Text Ilmenau nicht für erwähnenswert gehalten, weist dafür aber in seiner Zeittafel die genauer Daten von Jean Pauls Ilmenau-Aufenthalten nach. Demnach war der erste Besuch bei Knebel am 19. und 20. Mau 1799, der zweite auf dem Rückweg nach Weimar am 28. und 29. Mai 1799. Am 1. Oktober 1799 reiste Jean Paul mit Herder nach Ilmenau, am folgenden Tag weiter nach Hildburghausen. Ob auf dem Rückweg erneut Ilmenau Zwischenstation war am 11. Oktober, lässt die Zeittafel nicht erkennen. Schließlich reiste Jean Paul zusammen mit dem Ehepaar Herder am 2. Mai 1800 nach Ilmenau, wo es statt der Klärung gemeinsamer Zukunft zum endgültigen Zerwürfnis mit der Verlobten Karoline von Feuchtersleben kam.
Erst zwei Wochen später hat Jean Paul verdruckst und wenig klärend Auskunft gegeben an einen Brieffreund. Während Karoline Herder rasch sich in die neue Situation fand, hatte Gatte Johann Gottfried seine liebe Not. Detailreich, wenn auch auf Dauer ermüdend, referiert Paul Nerrlich in „Jean Paul und seine Zeitgenossen“ (1876 zuerst erschienen, aktuell in zwei Reprints erhältlich) das Ilmenauer Ereignis. Nerrlich verurteilt Jean Pauls schnödes Verhalten und solidarisiert sich mit Karoline von Feuchtersleben, die ihren Ex-Verlobten um 17 Jahre überlebte.
Zuerst veröffentlicht in: Thüringer Allgemeine am 8. März 2013 unter der
Überschrift: Mit einer Litfass-Säule wird an den Dichter Jean Paul erinnert
1788, als Friedrich Schiller aus Materialnot für seine „Thalia“ den „Geisterseher“ schrieb, war Johann Paul Friedrich Richter, der sich später Jean Paul nannte, 25 Jahre alt. Wenn Gert Ueding also in seiner Jean-Paul-Biographie behauptet, der junge Richter habe während seiner Schulzeit bei Rektor Werner in Schwarzenbach an der Saale unter anderem den „Geisterseher“ gelesen, dann ist das eine nicht leicht verzeihliche Falschbehauptung, zumal Professor Ueding in gleicher Reihe des Verlags C. H. Beck ja auch einen lesenswerten Band zu Schiller edierte und sich also im Detail auskennen dürfte.
1970, als der 1891 in Ilmenau geborene Friedrich Michael für den Westdeutschen Rundfunk ein Skript erarbeitete, Titel „Frauen der Dichter“, Sendung war am 7. Juni, kam er ebenfalls auf Jean Paul zu sprechen. Michael schrieb: „Dessen Beziehung zu Frauen entbehrt für uns nicht der Komik. Ihre Liste läßt an das Register Leporellos denken, nur daß Jean Paul, der Frauenliebling bei den schönen Leserinnen jener Zeit, kein Don Juan war – ein „Simultan-Liebhaber“ wie der Albano in seinem „Titan“. Zu seinem Leben gehören Charlotte von Kalb, Julia von Krüdener, Emilie von Berlepsch, Karoline von Feuchtersleben, Josephine von Sydow, Frau von Bechtolsheim, Henriette von Schlabrendorff, Helmine von Klenke, und dann heiratet er – Karoline Mayer.“
Warum Friedrich Michael ausgerechnet Juliane von Bechtolsheim den Vornamen verweigerte, den alle anderen adligen Damen, die er aufzählt, selbstverständlich tragen, wissen wir nicht. Warum es ihm als geborenem Ilmenauer allerdings nicht in den Sinn kam, bei Karoline von Feuchtersleben an seine Geburtsstadt zu denken, würde uns deutlich mehr interessieren. Kann es sein, dass der belesene Mann, der langjährige Verlagsleiter, nicht wusste, dass sein Ilmenau im Leben Jean Pauls eine Rolle spielte, wenn auch nur eine kleine, und das eben jene Karoline dazu den Schlüssel liefert? Natürlich kann es sein. Niemand ist verpflichtet, alle Details zu kennen, selbst wenn es die Details aus dem Privatleben eines der größten deutschen Dichter sind.
So ist es denn auch ganz sicher für die absolut meisten Ilmenauer eine Überraschung, dass Jean Pauls 250. Geburtstag am 21. März ihre Stadt für kurze Zeit zu einer Jean-Paul-Stadt macht. Punkt 12 Uhr wird an diesem Tag eine Litfass-Säule enthüllt am Ende der Fußgängerzone in Höhe der Sparkasse. Es wird eine kleine Rede geben von zirka zwanzig Minuten, die ein wenig Licht in die allerdings kaum geheimnisvolle Beziehung zwischen Jean Paul und Ilmenau bringt. Der Dichter war in den Jahren 1799 und 1800 mehrfach hier zu Gast, sein Gastgeber hieß Karl Ludwig von Knebel, in der Tat: Goethes „Urfreund“. Knebel schrieb der Weimarer Hofdame Karoline von Bose am 2. Juni 1799: „Es ist ein lieber Mensch, ausgestattet mit den reichsten Kenntnissen und einem Witz, der seinesgleichen nicht hat, bei dem geradesten, einfältigsten Herzen. Alle Herzen sind sein...“. Karoline von Bose wurde übrigens 1805 in Weimar Hausgenossin von Charlotte von Stein.
Der biografisch bedeutsamste Tag Jean Pauls in Ilmenau war ziemlich sicher der zweite Mai 1800. An diesem Tag endete in unmittelbarer Zeugenschaft Johann Gottfried Herders und dessen Gattin Karoline, geborenen Flachsland, die eine große Verehrerin Jean Pauls war, das Verlöbnis des Dichters mit jener schon genannten Karoline von Feuchtersleben. Es war für Jean Paul bereits die dritte gelöste Verlobung, die vierte vom November 1800 führte schließlich zu seiner Ehe mit der rein bürgerlichen Karoline Mayer. Für Ilmenau ist es durchaus eine Ehre, 2013 in die deutschlandweit groß angelegte Jean-Paul-Würdigung einbezogen zu sein.
Zuerst veröffentlicht in: der NEUE Geheimrat, Ausgabe 49, 2013, S. 15,
Titel: Die Liebe endet in Ilmenau