Herbert Ihering: Auf der Suche nach Deutschland
Das Büchlein hat den Untertitel „Die Sendung des Theaters“, mancher schluckt da schon. Nach den ersten Seiten schluckte ich auch. Der große Theaterkritiker Ihering, geboren am 29. Februar 1888, versetzt in die Tage der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Ost-Berlin, die vom 5. bis 19. August 1951 zirka 26.000 Teilnehmer aus 104 Ländern zusammenführten. Er hebt an mit dem 18. August, es ist der Tag, an dem sieben Jahre zuvor im Konzentrationslager Buchenwald Ernst Thälmann erschossen wurde. Er hält fest, dass ein Mädchen am Mikrofon englische Freunde begrüßt, die erst an diesem Tag nach Berlin kamen, sie seien in Innsbruck festgehalten worden. Die FDJ war in der Bundesrepublik am 24. April 1951 als verfassungsfeindlich verboten worden. Das Verbot lieferte den juristischen Vorwand, mit gigantischem Polizeiaufgebot Reisen westdeutscher Jugendlicher zu verhindern, selbst Schweizer Teilnehmer wurden behindert und offenbar auch solche aus anderen Ländern. Ihering führt den Nachweis, wie weit schon knapp zwei Jahre nach der Gründung der beiden deutschen Staaten die Teilung in jeglicher Hinsicht fortgeschritten war, er griff sich sein ureigenes Terrain, das Theater, heraus und kam dabei zu nicht wenigen Aussagen, die nur aus diesen frühen Jahren zu verstehen sind, zu einigen aber auch mit solider Bestandskraft.
Es gab in den Ländern des entstehenden Sozialismus nach 1949 eine regelrechte China-Euphorie. Auch in der DDR erschienen China-Reportagen in dichter Folge, darunter von so unterschiedlichen Autoren wie Harry Thürk oder Stephan Hermlin, erst der Bruch zwischen Moskau und Peking nach 1956 beendete diese Phase und eine DDR-Sondermarke, die einen wie ein Chinese aussehenden NVA-Soldaten mit Helm zeigt, wurde zurückgezogen und galt zeitig als rares (und teures) Sammlerstück. Es wäre ein durchaus interessantes Forschungsthema, einmal frühe DDR-China-Bücher zu analysieren, die noch den Traum lebten, dass nach der großen Sowjetunion das noch viel größere China den entscheidenden Schritt darstellte in jenem Prozess, den die offizielle Ideologie den „weltweiten Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus“ nannte, dessen Periodisierung nun, dreißig Jahre nach der Oktoberrevolution, vermeintlich Sinn zu machen begann. Herbert Ihering begeistert sich an chinesischen Bühnenvorführungen während der Weltfestspiele, was bis zu dem Punkt nachvollziehbar bleibt, wo er auf zeitgenössische Werke zu sprechen kommt. Was hier und auch zu vergleichbaren Darbietungen aus Korea gesagt wird, scheint partiellen Verlust seiner Urteilskraft zu belegen, die revolutionären Fahnenkitsch mit legitimem Kampf-Pathos verwechselt.
Es würde jedoch auf Abwege führen, aus dieser Perspektive die generelle Fragwürdigkeit des Autors nach 1945 konstruieren zu wollen. Es gliche zu sehr den teilweise unfassbar stupiden Anwürfen, die es in den ersten Jahren des so genannten kalten Krieges gegen alles und jeden gab, der nur irgendwie keine Hasstiraden gegen die DDR modulierte. Viele heutige Literaturhistoriker hätten wenig zu tun, müssten sie nicht alberne Vorurteile, dumme Boykotte, lächerliche Verbote korrigieren. Große Namen der deutschen Exilliteratur sind mehr oder minder lange und mehr oder minder konsequent kleingeredet oder verschwiegen worden, nur weil sie DDR-Verlagen nicht die Herausgabe ihrer Bücher untersagten. Herbert Ihering hat in seinem knapp 80 Seiten umfassenden Querbeet-Abriss Namen genannt und Absurditäten beschrieben. Dass 1951/52 noch nicht absehbar war, dass vermeintliche Tugenden der neuen chinesischen oder koreanischen Kultur in dubiosen Kulturrevolutionen rückgängig gemacht, ad absurdum geführt wurden, in brutalster Konsequenz unter den Khmer Rouge sogar in einen Völkermord ausliefen, ist klar. Von heute her lässt es sich nicht ausklammern, der damaligen Begeisterung aber Echtheit abzusprechen, wäre dreist. Eine gewisse Basis-Euphorie am Exotischen erleben wir bis heute unabhängig von aller Parteibindung.
In der Darstellung der ersten dreißig Jahre seines Lebens unter dem Titel „Begegnungen mit Zeit und Menschen“ (Aufbau-Verlag Berlin 1963) hat Herbert Ihering ganz unaufdringlich beschrieben, wie ihn das Theater gewann. Geboren in Springe bei Hannover, nach kurzen Abschnitten in Carlshafen und Leck in Aurich gelandet, von wo aus zu Ostern 1901 der zunächst verhasste Umzug nach Hannover erfolgte, sah er die erste Theatervorstellung seines Lebens in Aurich nach einer Wohltätigkeitsvorstellung, in der er selbst als Glühwürmchen in einem Insektenchor auftrat. Es muss ein wildes Stück gewesen sein, das die Theatertruppe Müller da bot, mit einem tobenden Mexikaner und einer Frau unter einem Tisch. Als eine richtige Theatertruppe nach Aurich kommt, hört er zwar, was gespielt wird, darf selbst aber keine Aufführung sehen. Iherings Vater schwärmt von einer Hoftheateraufführung in Hannover, wo „Robert und Bertram“ gespielt wurde, eine Posse von Gustav Raeder, die 1939 die Vorlage für einen antisemitischen Propaganda-Film liefert, 1961 dann erneut verfilmt wurde. Zu sehen gab es in Aurich auch „Mein Leopold“ und „Doktor Klaus“ von Adolph L'Arronge. In Hannover dann geht der Vater mit seinen beiden Söhnen tatsächlich in „Robert und Bertram“. Die Überwältigung durch das Theater kommt mit dem zweiten Stück.
Dieses zweite Stück heißt „Die Hermannsschlacht“ und ist von Heinrich von Kleist. Herbert Ihering sieht es von einem unnummerierten Galerieplatz aus, den er sich durch sehr zeitiges Erscheinen erkämpfen muss. „Dieser Abend entschied über mein Schicksal.“ Das klingt sehr pathetisch und das ist ihm auch bewusst, dennoch schränkt er seine Behauptung nicht ein und ergänzt wenig später: „Und noch eine Folge hatte diese Aufführung: eine schwärmerische, nie nachlassende Liebe zu Heinrich von Kleist und bald schon einen fast kindischen Hass auf Schiller.“ Das erklärt er später sehr schlüssig und verrät, dass erst die Berliner Schiller-Aufführungen von Max Reinhardt, der Hamburger „Don Carlos“ von Jürgen Fehling ihn endgültig von diesem Hass abbrachten: „Nach der Hermannsschlacht verfiel ich dem Theater.“ Und dann ein hochinteressanter Satz: „Das Theater wurde der Durchgang zu allen Erlebnissen.“ Wenn man diesen Satz kennt, erschließt sich die streckenweise fast eifernde Polemik von „Auf der Suche nach Deutschland“ deutlich leichter. Ihering will und kann nicht akzeptieren, dass der geographische Standort plötzlich eine Wertigkeit bekommen soll, die der seiner Kenntnis nach nie hatte und eben auch keineswegs verdient. Ihering besteht auf Deutschland, als dessen Einheit in der DDR eher als in der BRD beschworen wurde.
Der Name Stalin fällt kein einziges Mal im Buch. Die Formalismus-Debatte sehr wohl. Und es wird deutlich, dass Ihering alles andere als ein unkritischer Beobachter oder gar ein Propagandist ist. Schon im Zusammenhang mit China: „Volkstümlichkeit und Tradition sind in China nicht Genügsamkeit, nicht Bequemlichkeit, nicht Entschuldigung, wie oft bei uns.“ Selbst wenn er sich über China täuscht, über die junge DDR täuscht er sich nicht. Ihm fällt auf, dass „die politische Leidenschaft und Aufrichtigkeit der chinesischen Künstler nie an die Stelle des Könnens treten ...“. Verklärt er gar China absichtlich zum Kontrastbild? „Die Weltjugendfestspiele in Berlin waren die größte Entdeckungsfahrt der Kunst seit langem.“ Ihering kritisiert die Westberliner, die sich die Gelegenheiten entgehen ließen. Und geht zu den Westberliner Festspielen über, also zu den offiziell „Berliner Festwochen“ genannten Spielen, die 1951 erstmals veranstaltet wurden und einen ihrer Höhepunkte in der Eröffnung des Schiller-Theaters mit „Wilhelm Tell“ in der Regie von Boleslav Barlog hatte, Bühne Caspar Neher. Gespielt wurde auch Zuckmayers „Der Gesang im Feuerofen“, auf beides geht der Kritiker Ihering natürlich ein. Zunächst aber auf das skandalöse Besuchsverbot, das der Anfang 1951 zum Senator für Volksbildung im Rathaus Schöneberg gewählte Professor Joachim Tiburtius für Wolfgang Langhoff, Walter Felsenstein und auch Ihering aussprach.
„Tiburtius gilt als der beste Gelegenheitsredner des Berliner Senats“, wusste die ZEIT im April 1955. Tiburtius ist in Lichterfelde eine Berliner Gedenktafel gewidmet, er hat dort auch sein Ehrengrab. In der „BZ am Abend“ verkündete dieser Mann (11. August 1889 – 27. Mai 1967) 1954 für das Westberliner Musikleben, er werde „nie mehr zulassen, dass Kommunisten bei uns dirigieren“. Herbert Ihering hielt 1952 lediglich fest, dass mit Tiburtius (Vorname ungenannt) „ein unbedeutender Schwätzer sich in die Theatergeschichte gestohlen“ habe. Das Gegenbeispiel lieferten ihm die Franzosen, die zum Gastspiel ins Schillertheater kamen, sie luden ein ebenso wie Marcel Marceau ins Hebbeltheater. Kurios wird alles noch zusätzlich dadurch, dass Ihering seinen Wohnsitz in Zehlendorf trotz seines Arbeitsortes in Ostberlin nicht aufgab. Am Gastspiel der Comédie Francaise, die „Der Bürger als Edelmann“ von Moliere bot, kritisierte er das konservativ-repräsentative Element, lobte aber die Sprachbehandlung als ausgesprochen vorbildlich: „Denn wir wissen, wie schludrig es um unser Sprachgewissen bestellt ist, welches Genuschel, Gebrummel und Gesäusel wir uns oft von unseren Schauspielern gefallen lassen müssen ...“. Er nennt es „teildeutsch denken“, wenn ein Journalist gegen das DEFA-Märchen „Das kalte Herz“ hetzt.
Was Ihering dann an Beispielen vorbringt, ist heute kaum vorstellbar: ein Konzertmeister wird gemaßregelt, weil er mit Dresdner Philharmonikern in Westdeutschland gastierte, in Heidelberg wollte man die Aufführung des Wolfgang-Staudte-Films „Der Untertan“ nach Heinrich Mann verhindern, Staudte selbst sollte vor Dreharbeiten in Hamburg sich verpflichten, nie mehr mit der DEFA zusammenzuarbeiten. Ihering singt ein fast überschwengliches Loblied auf den französischen Pantomimen Marcel Marceau, sieht ein Gastspiel des Neuen Düsseldorfer Schauspielhauses mit der Gustav-Gründgens-Inszenierung der „Cocktail Party“ von T. S. Eliot sehr kritisch. Immer steht ihm seine reiche Theatererfahrung mit Belegen und für Vergleiche zur Verfügung, durfte doch schon der kaum mehr als zwanzig Jahre alte Ihering ab 1909 für Siegfried Jacobsohns „Schaubühne“ schreiben. Drei sehr ansehnliche Bände füllen die gesammelten Ihering-Kritiken unter dem Titel „Von Reinhardt bis Brecht“ (Aufbau-Verlag Berlin 1961), eine Auswahl daraus wiederum legte 1986 der Berliner Henschel-Verlag vor, Titel „Theater in Aktion“. Der heute flächendeckend alle vier Thüringer Tageszeitungen mit Theaterkritiken versorgende Henryk Goldberg nannte ihn im September 1987 in JUNGE WELT einen der „großen Barden unserer Zunft“. Sehr zu Recht.
Herbert Ihering ist immer in der Lage und Willens, Leistungen anzuerkennen und auch dann noch zu loben, wenn ihr Vollbringer ihre Höhen einmal oder gar für immer verlässt. So verfährt er mit T. S. Eliot, dessen „Mord im Dom“ er so anerkennt wie den „Familientag“, dessen „Cocktail Party“ er aber ablehnt. Was er einst lobte, kann sich unter veränderten Bedingungen für ihn als nicht mehr lobenswert erweisen: „Die große Form, der strenge Stil, der in der Hitlerzeit eine notwendige Verteidigung gegen die Banalisierung und Trivialisierung der Sprache war, hat längst diese Funktion verloren und wirkt heute nicht als Abwehr gegen die Wortbarbarei, sondern im Gegenteil fast wie Denkmalsstarre und Konservierung der Vergangenheit.“ Ihrering glaubt: „Heute muss die hochgenommene Pathetik des Ausdrucks auf die Erde gesetzt und aufgelockert werden.“ Da stellt er auch schon mal Marianne Hoppe gegen Gustav Gründgens. Mit zahlreichen Beispielen versucht er – erfolglos, wie wir wissen – den Irrtum zu beseitigen, „als ob Realismus eine bestimmte Stilart wäre.“ Er zählt Reihen von Stücken und Inszenierungen auf, die er alle realistisch nennt und die unterschiedlicher kaum sein können. Und versucht gar eine Art von Definition: „Realistisch ist die zielende Auseinandersetzung mit einer gesellschaftlichen, politischen, geistigen Wirklichkeit.“
Als Gegenbegriff zu realistisch hat er sich den hübschen Begriff „inhaltsflüchtig“ erfunden. Ein und dieselbe Inszenierung kann ihm zu einer Zeit realistisch sein, in einer anderen würde sie als rein experimentell wirken. Missverständnisse sind dabei keineswegs nur im Westen vorhanden und auszuschalten: „Im Osten, weil die Begriffe von manchen, ohne dass sie zu Ende diskutiert sind, schematisch angewandt werden.“ Die Schussrichtung ist hier sehr klar, denn kurz vorher hatte er noch mit dem Wort Formalismus operiert. Der Schematismus dieser Debatte mit eben höchst praktischen, Kunst be- und verhindernden Folgen war ein Wesenszug frühester DDR-Kulturpolitik im blinden Nachvollzug sowjetischer Verfahren und Abläufe. Sehr kritisch sieht Ihering den in den Jahren nach 1945 sehr häufig inszenierten Christopher Fry, der heute vollkommen vergessen ist, was er in diesem radikalen Maß dann wohl doch nicht verdient hat. Es scheint aber die Rache der Nachwelt an Moden zu sein: das Pendel schlägt zum Gegenextrem aus. Das Berliner Publikum, glaubt Ihering, steht schon in respektvoller Distanz zu Eliot und Fry: „Auf Respekt und Distanz hin kann man jedoch nicht Theater spielen und vor allem kein Theater entwickeln, keine Schauspielkunst verjüngen. Genau darum aber ging es ihm. Aber nicht um jeden Preis und allein.
Er fragt sich sofort: „Aber ist es nicht ein alter deutscher Fehler, die Dinge des Theaters zu überschätzen und sich in Zeiten politischer Hochspannung wie heute auf Fragen der Schauspielkunst zurückzuziehen?“ Und meint: „Was wir spielen und wie wir spielen, was wir schreiben und wie wir urteilen, fällt in die Waagschale, ob Frieden oder Krieg, ob ein einiges oder zerrissenes Deutschland.“ Und wieder verteilt er die Gewichte nicht platt ideologisch, wie ihm unterstellt wurde: „Wir wollen nicht Banalität für Volkstümlichkeit ausgeben und mit Phrasen die Wahrheit zudecken.“ Das aber erlebte er im Osten, nicht im Westen. Vernichtend fällt das Urteil über die Komödie „Baller contra Baller“ aus, mit der Karl Veken (22. Juli 1904 – 21. Juli 1971) 1951 Fragen der Gleichberechtigung der Frau behandeln wollte. Ausführlich zitiert Herbert Ihering den österreichischen Kommunisten Ernst Fischer (3. Juli 1899 – 31. Juli 1972), der schon wenige Jahre später als Unperson behandelt wurde. Mit Fischer plädiert Ihering für handwerklich saubere, wie er sie nennt, Unterhaltungsstücke. „Welt im Werden“ bedeutet ihm Erreichtes und nicht Erreichtes gleichermaßen zu zeigen. „Aber es muss unterhalten, die Neugier wecken, das Wissen bereichern, den Mut stärken – durch Wahrheit, nicht durch Schönfärberei.“ Klar, wohin er zielt.
Und dabei versagt er sich das Gegenteil von Schönfärberei: „Diese kritische Unterhaltungsdramatik war allerdings auch früher eine Schwäche unseres Theaters.“ Er stellt damit das junge DDR-Theater in eine Tradition, die dessen politisches Aufsichtspersonal sicher nur ungern sehen wollte. „Wir hatten früher keinen Moliere, keinen Gogol, keinen Ostrowskij, wir hatten gestern keinen Shaw. Wenn aber unser nationales Theater Bestand haben soll, dann muss es sich diese Basis schaffen.“ Österreich habe es früher besser gehabt, weiß er, der selbst 1924 als Dramaturg nach Wien gerufen wurde. „Produktive Begriffe bedeuten, wenn sie zu Schlagworten verhärtest sind, nicht nur eine Einengung des Theaters … sie bedeuten auch eine Einengung jeder kulturellen Entwicklung in Deutschland überhaupt, weil sie schon die Sprache eintrocknen, die Wortphantasie abschnüren ...“. Um es auch den Begriffsstutzigsten klar zu sagen, schreibt er dann: „Aber wenn wir den Formalismus ablehnen, so sind wir auch stark genug, die Grenze zu erkennen, wo die Hinwendung zum Inhalt in Inhaltismus umschlägt ...“. Noch deutlicher konnte man 1952 in der DDR wohl kaum werden. „Niemals wurde ein Dichter angegriffen, nur weil er in einem anderen Lande Deutschlands lebte und arbeitete.“ Genau das aber sieht er im Westen blühen: und zwar in Nazi-Tradition.
„Es geht um Deutschland, wie es noch niemals in der Geschichte der Menschheit um ein Vaterland gegangen ist.“ Im Osten wollte das bald auch niemand mehr hören, im Westen sofort allein deshalb nicht, weil es aus dem Osten gesagt wurde. Er zeigt auf Hermann Kasack als Mitunterzeichner eines Pamphlets, in dem behauptet wurde, die neuen Lehrer im Osten brauchten nichts mehr von Goethe und Schiller zu wissen. Er zeigt auch auf Rudolf Alexander Schröder, will aber gerade keine unüberwindbaren Barrieren aufbauen: „ Denn natürlich wäre Sturheit hier genau so schädlich wie Oberflächlichkeit dort.“ Ihering verteidigt den Schauspieler gegen den Vorwurf, keine Kritik zu vertragen. Er verteidigt die Theater in den mittleren Städten gegen den Vorwurf, nichts als „Provinz“ zu sein. „Wenn wir die deutschen Theater beschwören, beschwören wir das ganze Deutschland … Wir beschwören Deutschland. Wir beschwören seine Einigkeit. Wir beschwören den Frieden. … Das Theater hat heute eine ungeheure Aufgabe. Möge es sich seiner Sendung wieder bewusst werden!“ Die Beschwörung hat nichts genützt. In der DDR gab Ihering, als Peter Huchel den Posten als Chefredakteur von SINN UND FORM räumen musste, sein Theater- und Film-Referat dort auf. Ursula Krechel widmete ihm 1972 ihre Dissertation „Information und Wertung. Untersuchungen zum theater- und filmkritischen Werk Herbert Iherings.“ Eine Pioniertat.