Ödön von Horvath: Figaro lässt sich scheiden
Den WIKIPEDIA-Text zu Ödön von Horvaths dreiaktiger Komödie in neun Bildern scheint ein Schüler geschrieben zu haben, der sich im letzten Moment dagegen entschied, das Fach Deutsch abzuwählen und nun hofft, dass Mitstreiter im Netz ihm vielleicht helfen, die holprig-stolprigen Sätze irgendwie zu glätten und mit jener Substanz aufzufüllen, die anzeigt, dass verstehendes Lesen eine nicht ganz zu vernachlässigende Kernkompetenz für Menschen darstellt, die meinen, anderen Menschen den Inhalt von etwas vermitteln zu sollen und das auch noch unentgeltlich. „Horvath beschreibt das Schicksal des Einzelmenschen und seine Anpassung an die Gesellschaft und warnt dabei vor dem Aufgeben menschlicher Werte.“ Mal abgesehen davon, dass ich mir nicht sicher bin, ob es andere als Einzelmenschen überhaupt gibt, wäre die Frage zu klären, was die Gesellschaft sein müsste, damit der Mensch sich an sie anzupassen hätte. Diese Gesellschaft müsste etwas außer dem Menschen sein, denn sonst würde er sich an sich selbst anpassen. Bliebe die Frage, wie schlimm es schlimmstenfalls wäre, wenn sich der Mensch an die Gesellschaft anpasst oder was geschähe, wenn er dies nicht tut. Auf einer Bühne ist das alles freilich nahezu kaum vorstellbar.
Ich höre den milden Hohn voraus, der mich fragt, warum ich denn überhaupt ausgerechnet WIKIPEDIA zu Rate ziehe, wenn ich mich mit einem Bühnenwerk befassen möchte, dessen Uraufführung rein zufällig genau achtzig Jahre her ist, also am 2. April 1937 am Deutschen Theater in Prag zu erleben war. Der Grund ist nicht sehr unterschieden von dem, der mich mit einem erst einmal unvoreingenommenen Interesse die Besprechung einer Schüler-Aufführung des Stücks in Cloppenburg lesen lässt, obwohl ich ahne, dass ich dort keine Konkurrenz zu Luc Bondys Wiener Inszenierung von 1998 erwarten darf, die nicht nur zu den Berliner Theatertagen eingeladen wurde, sondern dort auch einen Preis erhielt. Ins Theater selbst gehen bekanntlich deutlich weniger Menschen, die die jeweils neue Ausgabe, diesen falls inzwischen die Wiener Ausgabe des Gesamtwerks, erst studieren, ehe sie sich im Parkett links niederlassen, als Menschen, die nicht einmal bei WIKIPEDIA nachgeschaut haben, was es eigentlich an diesem Abend im Detail zu sehen gibt. So glauben einige, dieser Horvath schreibe Mozart fort, einige kennen sogar den Namen Beaumarchais, sind sich aber keineswegs sicher, ob das nun der Autor war oder nur der Librettist.
Das wiederum lässt sich tatsächlich im Netz klären, man muss keine Romanistik-Professorin konsultieren. Von Beaumarchais (24. Januar 1732 – 18. Mai 1799) stammt die Komödie, aus der Lorenzo da Ponte (10. März 1749 – 17. August 1838) das Libretto für Mozart entwickelte. Nun könnte daraus folgen, dass, wer sich mit Ödön von Horvaths Stück befassen will, dessen Idee bis ins Jahr 1933 zurückreicht, nachzuprüfen hätte, wie sich das übernommene Personal aus Komödie und Oper in seinen Händen verhält, verändert, entwickelt. Gewonnen hätten wir damit wenig. Denn ob etwa der Ursprungs-Figaro ein kleinerer Verführer, ein größerer Spaßvogel, ein hellerer Ironiker oder schlechterer Frisör war, ist letztlich für Lese- oder Theatererlebnis heute arg unerheblich. Noch das Wissen, dass auch Horvath seine Susanne ursprünglich Zerline nennen wollte, fällt in den Ordner „Herr Lehrer, ich weiß was“. Man muss sich ohnehin auf die jeweils greifbare Text-Ausgabe kaprizieren, denn gespielt wird diese Komödie sehr selten. Und war doch nach dem Krieg in Wien so ziemlich das erste, was wieder von Horvath gespielt wurde. Anlässlich einer Inszenierung von Hans von Chlumbergs „Wunder um Verdun“ beschrieb Hans Weigel 1957 die Situation prägnant.
„Sie alle wären heute sechzig geworden und voraussichtlich endlich geehrt und anerkannt worden; da sie aber starben, kennt man kaum ihren Namen.“ In der Tat bewirkte die Aufführung im Kleinen Haus der Josefstadt 1947, Regie Alfred Ibach, mit Harry Fuss als Figaro und Maria Andergast als Susanne, so gut wie nichts. Volle dreizehn weitere Jahre vergingen, ehe „Figaro lässt sich scheiden“ im Deutschen Theater Göttingen auf die Bühne gebracht wurde. Regisseur der deutschen Erstaufführung war dort Eberhard Müller-Elmau, Jörg Liebenfels spielte den Figaro, Lizzi Reisenberger die Susanne. Da war es dann schon nicht mehr so weit bis zur Horvath-Renaissance, die allerdings auf die späte Komödie keinen Wert legte, war doch mit den „Geschichten aus dem Wiener Wald“, mit „Kasimir und Karoline“, mit „Glaube, Liebe Hoffnung“ mehr herzumachen. Hinzu kam, dass in Göttingen 1960, ich berufe mich auf Karl Kahl, „der betonte Ruf nach Menschlichkeit für viele Theaterbesucher peinlich und unangenehm (war). Allerdings wurde bei dieser deutschen Erstaufführung im Jahr 1960 die Urfassung mit vierzehn Bildern gespielt – der ausführlichere Text erwies sich als weniger spielbar.“ Das würde man gern genauer wissen.
Doch wird man glaubhafte Zeugen kaum noch finden. Ich vermute, dass es mit 14 oder 9 Bildern wenig zu tun hat. Eher war die deutsche Unmenschlichkeit noch zu gut in fast allen Gedächtnissen, als dass man sich besonders gern mit der Nase hätte auf Menschlichkeit stoßen lassen, vor allem dort, wo das Wunder der Wirtschaft blühte, das noch nicht unter einer Metapher von blühenden Landschaften versteckt werden musste. „Figaro lässt sich scheiden“ erzählt von Revolution, von Emigration, Liebe und Ehe sind auch dabei sowie Verwirrung. Verwirrung ist stets etwas, was entweder sein Ziel erreicht oder nicht, falls es eine absichtlich gestiftete war. Alle die, die einen Figaro sehen wollten, der nach der Hinrichtung des Königs Ludwig XVI. vielleicht so etwas wie den nach 1792 in Deutschland rasch um sich greifenden Revolutionskater zu durchleben hatte, mussten zwangsläufig enttäuscht sein. Dieser Horváth-Figaro, der mit Graf, Gräfin und Ehefrau Susanne nächtens die Grenze überwindet, wobei es schon schwierig wird, genau zu sagen, aus welchem Land in welches Land diese Flucht denn tatsächlich geht, macht sich im Aufnahmeland selbständig als Friseur, der Ort heißt Großhadersdorf und auch Susanne schwingt das Rasiermesser.
Als Friseur verwandelt sich Figaro in einen Spießer und mit diesem Spießer will dann Susanne nichts mehr zu tun haben. In der Hauptsache spielt dabei eine Rolle, dass Figaro seine Gattin nicht zur Mutter machen möchte. Die mir bekannten Kommentatoren der Komödie haben tiefstes Verständnis dafür, das eine Friseurgattin nicht mit einem Spießer verheiratet sein möchte. Ich vermute dahinter die irrige Annahme, die 68er Spießerphobie, also die Pflege eines ungefährlichen Feindbildes zum Zwecke der Selbsterhebung, sei kein zeitgebundenes Phänomen, sondern ein von Gott gegebenes Strukturprinzip für die Menschengattung: die bösen Spießer und die guten Spontis.Schon der Genuss, mit dem einst der Sponti seine dreckigen Jesuslatschen nicht auszog, wenn er die Gelegenheit erwischte, einen Spießerteppich betreten zu können, erfüllte ganze Menschengruppen dreißig Jahre nach Horváths Tod in Paris mit Glück. Susanne aber mit ihrem Kinderwunsch passt gerade gar nicht in das antibürgerliche Wunschbild einer Spießergegnerin. „Ich werd nie das Wort „Mutter“ hören und du nie das Wort „Vater“. Es wird sinnlos geworden sein, dass wir überhaupt gelebt haben.“ Sagt sie. Allein das disqualifiziert sie in vielen Augen hinreichend und grundlegend.
Bei Horváth ist das mit dem verweigerten Kinderwunsch durchaus kein vereinzeltes Motiv. In dem Hörspiel „Stunde der Liebe“, das mit einer radiotechnischen Erfindung operiert, die es angeblich ermöglicht, anderen Menschen zu lauschen, ohne dass die merken, dass sie belauscht werden, geht einer der sieben belauschten Dialoge auch genau darum, dass ein Mann nicht Vater werden möchte und sich mit vermeintlich zeitkritischen Argumenten wappnet, warum er sich so entscheidet. Im wirklichen Leben entscheiden sich mit solchen Argumenten meist Menschen gegen Kinder, denen es zu gut geht. Eher könnte man annehmen, dass Horváths Susanne mit der sexuellen Dienstleistung des Friseurs im Ehebett unzufrieden ist und sich das zeitentsprechend nicht zu sagen traut, denn das hieß ja immer noch eheliche Pflicht und keineswegs eheliche Kür. Horvath hat sich für diesen Konflikt eine Hebamme ausgedacht, die Susanne rät, so zu tun, als sei sie schwanger und wenn dann der Gatte nicht mehr aufpasst, wie man das früher nannte, dann werde sie vielleicht tatsächlich schwanger. Plan schlau, misslingt aber. Denn die ehrliche Susanne bringt es letztlich nicht fertig, den Mann, den sie ja dennoch liebt, so gnadenlos zu belügen. Immerhin betrügt sie ihn probehalber.
Horváth hat die Handlung seiner Komödie auf einen recht langen Zeitraum verteilt. Zwischen dem ersten und dem zweiten Bild liegen vier Stunden, zwischen dem dritten und dem zweiten Bild drei Monate. Der zweite Akt beginnt im fiktiven Großhadersdorf wiederum ein volles Jahr später. In ihm wechselt nur der Ort des Geschehens von Bild zu Bild, eher dann der dritte und letzte Akt abermals ein volles Jahr später anhebt. Dass die Revolution auf keinen Fall die in Frankreich 1789 gewesen sein kann, erkennt der Leser spätestens, wenn von einer Spritze die Rede ist, die die Gräfin bekam, nachdem sie in Ohnmacht fiel. Und dann gibt es Detail um Detail, welche eben das zusätzlich anzeigen. Nur eines zeigen sie nicht, eine genau zu fixierende Handlungszeit. Nach welcher Revolution man sich also in welches Land in die Emigration begeben hat, bleibt unklar und das ist die Absicht des Autors. Man darf bei einem Stück, das zwischen 1933 und 1936 geschrieben wurde von einem Mann, der nach Österreich und später nach Frankreich emigrierte, in der Emigration aber nicht die Rolle spielen wollte, die andere ihm gern zugeordnet hätten, durchaus die Idee bekommen, es könnte auch jene Revolution gemeint sein, die die Hitler und Co. glaubten, vollzogen zu haben.
Was auf Zuschauer, Kritiker und Leser irritierend wirkte, wenn man den existierenden Zeugnissen glauben will, muss längst jeder Theatergänger mehrmals pro Spielzeit hinnehmen: Theatermacher erzeugen Zeitlosigkeit oder Überzeitlichkeit mit Kostümen und Requisiten: Der Wallenstein-Soldat hat ein Koppel aus dem II. Weltkrieg um, der mittelalterliche Schwertkampf wird mit Pistolen ausgetragen. Man muss das nicht einfallsreich finden. Horvath aber hatte offenbar das Bedürfnis, nicht eine spezielle Revolution, eine spezielle Emigration auf die Bühne zu bringen, sondern die Revolution als solche, die Emigration als solche. Das Recht auf solchen Versuch darf ihm niemand absprechen, das Recht auf die Frage, ob es ihm gelang, darf allerdings ebenfalls niemandem bestritten werden. Jener Schluss, der immer zitiert wird, wenn jemand über „Figaro lässt sich scheiden“ schreibt, ist nicht nur der stärkste Satz der gesamten Komödie, er bekräftigt auch final noch einmal das Anliegen: „Jetzt erst hat die Revolution gesiegt, indem sie es nicht mehr nötig hat, Menschen in den Keller zu sperren, die nichts dafür können, ihre Feinde zu sein.“ In der Logik dieses Satzes hat noch nie irgendwo eine Revolution gesiegt. Hoffnungsfroh stimmt das nicht.
Irgendwas in einer Komödie sollte auch ein wenig komisch sein. Bei Horváth steckt das Komische fast ausschließlich in den Dialog-Wendungen. Das überrascht allerdings nur den, der nicht irgendwann irgendwo las, dass Horváth mit seinen Bühnenwerken weniger auf Handlung, mehr auf Dialog Wert legt. Wenn sein Figaro sein Leben resümiert, dann ist das komisch: „Wenn ich an Hand diverser wichtiger Daten meines Lebens mein Alter rekonstruieren würde, dann müsst ich den Trugschluss ziehen, dass ich zirka dreihundert Jahr alt bin – so viel Diverses hab ich nämlich bereits hinter mir. …war Journalist, Kellner, Politiker, Spieler, Vertreter, Barbier, bald Herr und bald Diener, wie es der Zufall beliebte … Schönredner bei Gelegenheit, Dichter zur Erholung“. Man hört: der Barbier war unter vielen Beschäftigungen nur eine, man glaubt, dass das Handwerkliche bei der Ausübung eben dieser Profession in Großhadersdorf nicht unangefochten auf Platz eins seiner Hausphilosophie stand und dass er vielleicht vor allem deshalb den allgemeineren Umgang mit dem Kunden so hoch hält, deshalb die eigene Gattin belehrt wie eine Anfängerin im Geschäft. Figaros frühere Tätigkeiten reichen für eine handfeste Lyriker-Biografie. Man wüsste gern mehr.
Den Wachmännern an der Grenze teilt Figaro mit: „Meine Herren, ich war der erste Diener, der seiner Herrschaft die Wahrheit gesagt hat.“ Das würde heute überall im bürgerlichen Rechtsstaat für eine fristlose Kündigung ausreichen. Man kann hier zwar Systemen ordentlich die Meinung geigen, Kanzlerinnen, Parteien, der Lügenpresse, seiner Herrschaft die Wahrheit sagen, das ging nur gegen Ende des Ancien Regime halbwegs glimpflich aus. Figaro versteht Revolutionäre durchaus: „Was die treiben, das wird bei jeder Revolution getrieben und ist nur logisch, denn vom Standpunkt der Revolution aus haben die Leute auch recht.“ Im teuersten Winterkurort der Welt sind Figaro und Susanne noch bei ihren Herrschaften, Susanne: „Es ist uns noch nie so gut gegangen wie in dieser Emigration.“ Die dauert dummerweise länger als der kurzsichtige Graf annahm, nun nennt Susanne ihren Figaro feige. Er hält dagegen: „Ich bin nicht feig, ich hab nur Respekt vor der Zukunft.“ Der Graf: „Ein Mensch, der heute zu meiner täglichen Umgebung gezählt werden will, der soll mir nicht immer seine Ansicht sagen, selbst wenn sie richtig ist, er soll mich lieber durch bedingungslose Zustimmung belügen, denn eine Wahrheit in solcher Zeit ist häufig nur heimliche Kritik.“ Ja, doch.
Die listenreiche Hebamme lässt sich bei Figaro ondulieren und klärt dessen Gattin auf: „Bei den Herren der Schöpfung spielen die Sterne überhaupt keine solche Rolle, Mannsbilder verändern sich leicht und bleiben trotzdem immer Gauner, manchmal möcht man schon meinen, ein Mannsbild hätt überhaupt keinen Stern.“ Susanne bekennt ihren Spießerhass und Figaro erinnert daran, dass sie von eben diesen Spießern leben. Die Rede ist von Marktwirtschaft, nicht von Verworfenheit, es sei, man setze beides in eines. Figaro will nicht aus dem Himmel ansehen müssen, wie sein Kind im nächsten Krieg fällt, jedenfalls sagt er das so. „Sie werden aber auch das Wertlose zerstören und die Erdbeben werdens vollenden. Wir leben in einer Völkerwanderung, Susanne, und nie noch haben Menschen mit mehr Recht wie du und ich sagen dürfen: nach uns die Sintflut!“ Es wird Leute geben, die solche Sätze brandaktuell finden. Am Ende des zweiten Aktes ist Figaro wieder beim Schloss des Grafen, das Schloss ist von der Revolution in ein Heim für Findelkinder umgewandelt worden, ehemalige Bedienstete führen jetzt das große, das revolutionäre Wort. Zugleich und als wäre das normal, wirtschaften sie stramm in die eigene Tasche. Sie melden falsche Fallzahlen.
Pedrillo drischt die Phrasen: „Wo früher geschminkte Vergangenheit frivole Scherze trieb, wächst nun ein starkes Geschlecht der Zukunft heran, froh, frei und gestählt.“ Antonio sieht alles deutlich pragmatischer und vor allem realistisch: „Ich glaub, wenn wir zwei Grafen gewesen wären, dann hätten wir auch gefrönt“, das freilich hört niemand gern. Die Findelkinder sind schon im Sinne der Revolution erzogen und wollen, dass es Grafen an den Kragen geht. Da fragt Figaro: „Warst du schon mal ein Graf?“ Seine Erkenntnis aus diesen Zeiten lautet: „Wir leben in Zeitläuften, wo die Läufte wichtiger sind, als die Menschen, leider!“ Susanne kellnert in einem Emigrantenlokal derweil, dessen Chef einen Gassenhauer mit dem Titel „Susanne“ dichtet, der sogar den Weg über die Grenze findet. Abermals sieht Figaro die postrevolutionäre Welt nüchtern: „Mir scheint, Gassenhauer sind ansteckender als revolutionäre Lyrik.“ Und der revolutionäre Pedrillo sah alles ohnehin in seinem Sinne: „Ein lebender Mensch ist mir mehr wert als alle tote Kunst der Welt.“ Am Ende steuert alles auf ein Happy End zu. Figaro ruft Susanne zu sich, Susanne folgt dem Ruf, die Gräfin ist zwischenzeitlich verstorben und der Graf darf ein paar Zimmer im Schloss beziehen.
Kurt Kahl befand 1966: „Die Komödie hat Geist und Farbe, dem Happy-End haftet nichts Satirisches an, eher Wunschtraumhaftes, ein Anflug naiven Märchendenkens.“ Andere mochten das nicht so sehen. Dieter Hildebrandt (nicht der Kabarettist, der andere) glaubt, das Ende „hat einen etwas süßlichen Operetteneffekt, der die Dialektik des Heimkehrens eher beschwichtigt als aufhebt“. Dennoch findet Hildebrandt „Figaro lässt sich scheiden“ faszinierend. Dennoch lief das Stück nach dem 2. April 1937 in Prag nur noch fünfmal. Dennoch läuft es heute fast gar nicht mehr. Immerhin gab es 1947 in Wien den Anstoß für zwei der schönsten Sätze über Ödön von Horvath, die ich kenne: „Jeder neue Blick auf diesen genialen und seltsam dämonischen Autor erneuert den Schmerz über sein tragisches Ende. Es ist, als habe er gefühlt, dass er um Jahrzehnte zu früh werde aufhören müssen, und habe darum schon in den dreißiger Jahren gewusst und gesagt, was eigentlich erst heute zu sagen und zu wissen wäre.“ (Hans Weigel) Der heimgekehrte Graf ist bescheiden geworden. „Ja, die Bänke stehen noch unter den Bäumen und die Bäume haben ihre Plätze nicht verlassen, auch die Wiesen sind zuhaus geblieben - Figaro!“ Man muss das nicht wenig nennen.
Den Kindern rät Figaro dringend ab, sich mit Politik zu befassen, sie mögen lieber Fensterscheiben einschmeißen. „Gebt acht, vielleicht wenn ihr alt werdet, wirds heißen, ein jedes Findelkind ist ein Verbrecher, und es wird nur Grafen geben, und die Grafen werden die Findelkinder einsperren und erschießen“. Dieser Humor ist dann schon sehr schwarz. Das letzte, was nach dem Willen des Autors zu hören sein soll, wenn der dritte Akt zu Ende ist, ist das Klirren von Fensterscheiben. Dass es später sich selbst ernst nehmende Menschen gab, denen nichts Dümmeres einfallen wollte, als im vermeintlichen Verdikt der Komödie gegen die kinderlose Ehe Vorstellungen zu erkennen, „die nationalsozialistischem Denken nicht ganz fremd sind“, sei erwähnt. Roland Koberg, der vor fast 20 Jahren Luc Bondys „Figaro lässt sich scheiden“ für die BERLINER ZEITUNG besprach, fand es merkwürdig, „dass die Parolen, die Horvath sein Personal brüllen oder lallen lässt, den Sozialismus stärker als den Nationalsozialismus verspotten.“ In meinem Horvath werden keine Parolen gebrüllt. Koberg aber beendete seine Kritik mit dem Traumfazit: „Das Publikum jubelte. Es wäre aber, bei einem packenderen Abend, zu mehr bereit gewesen.“ Seither rätsle ich: Was wäre mehr gewesen?