Albrecht Goes: Unruhige Nacht

Es gibt Unterschiede. Man soll sie nicht kleinreden. Man soll sie nicht aufbauschen. Sie sind einfach da. Man liest etwa diese 1949 zuerst veröffentlichte Novelle des am 22. März 1908 geborenen Dichters und Pastors Albrecht Goes und ist erst einmal vom rein Faktischen getroffen. Da wird einer, weil ein Kollege aus Gründen, die er nicht kennt und auch dann nicht genauer mitgeteilt bekommt, nicht kann, aus seinem Dienst als Lazarettpfarrer im ukrainischen Winniza nach Proskurow gerufen, um dort einen zum Tod durch Erschießen verurteilten Soldaten auf seinem letzten Weg zu begleiten. Albrecht Goes erzählt von eigenem Erleben im Kriegsjahr 1942. Vierzig Jahre nach der ersten Idee hat er in einem Nachwort zu einer Stuttgarter Reclam-Ausgabe davon berichtet, wie eine ihm vom Sturm aus der Hand gerissene Tür ihm urplötzlich die Szenerie vor Augen rief: 1947 lag 1942 nur fünf Jahre zurück: „…ich hätte wohl gleich mit der Niederschrift der Erinnerung beginnen können.“ Er tat das aber nicht: „Der morgendliche Überfall musste ein wenig bewältigt, bewacht, beschwiegen werden.“ Goes behält für sich, was er mit „beschwiegen“ meint. 1958 erlebte im Berliner Ufa-Pavillon der Film „Unruhige Nacht“ seine deutsche Uraufführung. Der Regisseur ist Falk Harnack (2. März 1913 – 3. Dezember 1991), jüngerer Bruder von Arvid Harnack, der am 22. Dezember 1942 hingerichtet wurde. Den Militärpfarrer spielt Bernhard Wicki.
 
„Schluss mit Jubel“ war ein Beitrag im SPIEGEL überschrieben, am 22. Oktober 1958 veröffentlicht, acht Tage vor der genannten Uraufführung am 30. Oktober. Zu lesen darin, neben vielem, dass „der württembergische Dichter-Pastor Albrecht Goes, 50“ in seinen Jahren als Pastor an der Ostfront fünf Hinrichtungen zu begleiten hatte. Arvid Harnack war am 22. Dezember in Plötzensee der dritte in einer Reihe, die im Fünf-Minuten-Takt erhängt wurden: 19.00 Uhr der Diplomat Rudolf von Scheliha, 19.05 Harro Schulze-Boysen, 19.10 Uhr Arvid Harnack. „Harnack hat sich vom Gefängnisgeistlichen Harald Poelchau noch die Weihnachtsgeschichte vorlesen lassen und Goethes „Urworte, orphisch“. (Zitat aus ZEIT 51, 13. Dezember 2007, Autor Johannes Tuchel). Es gibt Unterschiede. Man soll sie nicht kleinreden. Man soll sie nicht aufbauschen. Sie sind einfach da. Harald Poelchau (5. Oktober 1903 – 29. April 1972) hat in Plötzensee und anderen Gefängnissen etwa tausend Menschen zur Hinrichtung begleitet. Tausend. Goes fünf. Das schmale Buch von Albrecht Goes ist in viele Sprachen übersetzt worden, von zwanzig las ich, andernorts: in siebzehn. Es wurde Mitte der 50er Jahre zur Schullektüre erklärt. Vor dem Film von 1958 gab es andere Verfilmungen. 1954 etwa vom Süddeutschen Rundfunk, Regie Franz Peter Wirth, den Pfarrer spielte Peter Lühr. Albrecht Goes wusste um die besondere Konstellation für sein Buch.
 
„… und diesmal, nur diesmal war die Gunst der Stunde bei mir: Viele Leute wollten damals sogleich diese Rechenschaft lesen: einen Becher Wahrheit: ja, so war es! Eine Stimme Warnung: „Nie wieder“, einen Fingerhut voll Trost vielleicht.“ Das ist keine falsche Bescheidenheit, gar Koketterie, das ist eine verblüffend realistische Sicht auf das, was das Buch „Unruhige Nacht“ tatsächlich darstellt. Mehr ist es nicht, weniger ist es freilich auch nicht. Und immer bleibt, jenseits aller literarischen, ästhetischen, moralischen, auch ethischen Gesichtspunkte, die eine einfache Frage: Wie kann einer das? Wie kann einer in solchen Situationen das Wort Gottes vortragen, wie Trost geben, von einem Jenseits sprechen, an das man schon sehr, sehr tapfer glauben muss, um eine Rede darüber angesichts des eigenen unmittelbar bevorstehenden Todes zu ertragen. In der Novelle fragt der zum Tode verurteilte Fedor Baranowski den Pastor, schon an den Pfahl in der Kiesgrube gefesselt, ob er dessen Hand noch einmal nehmen dürfe. Dass ist der Punkt, an dem es echt ist über alles hinaus. Alles andere wäre Literatur, das hier ist Leben. Leider aber hat Albrecht Goes etwas getan, was seinem Buch von Anfang an schadet und es fällt stärker ins Auge dem heutigen Leser, mir zum Beispiel, der gesehen hat, wie haargenau die problematischen Partikel der Novelle, alles in allem sehr wenige Zeilen, übersehen wurden. Und was nur einfach ausgeklammert.
 
Es gibt, gar nicht so seltsam, wie es klingt, neben Wunschdenken auch Wunschlesen. Einer der engagiertesten Wunschleser war Günter Wirth (7. Dezember 1929 – 5. Dezember 2009). Man führt Wirth gern zuerst als Parteifunktionär, was er auch war und zwar in der DDR-CDU. Er hat in seinen sehr jungen Jahren für einen Vorläufer der Hauptabteilung HA V des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit gearbeitet, Westarbeit der FDJ geleistet. Er war aber auch Autor. Sein Buch über Heinrich Böll war das früheste in der DDR (1965), sein Buch über Albrecht Goes (gemeinsam mit Hans-Martin Pleßke) erschien, als die DDR sich gerade aus der aktiven Geschichte verabschiedete: 1989. Und beschloss damit eine erstaunliche lange Reihe von Büchern, mit denen Albrecht Goes, der heute vor genau 20 Jahren starb, seit Mitte der 50er Jahre präsent war. Auch „Unruhige Nacht“ wollte Goes gern in der DDR verbreitet sehen, und „als sich die Möglichkeit einer Publikation zeigte, 1955, hatte der Zensor einige wenige Streichungen – drei, fünf Zeilen – verlangt, ehe er sein Placet geben wollte: diesmal war ich, alles erwägend, zur Nachgiebigkeit bereit.“  Welche Zeilen es sind, die schließlich fehlten, und ob sie in allen DDR-Ausgabe fehlten, denn es gab mehrere im Laufe der Jahre, ist mir nicht bekannt: Textvergleiche gehören nicht zum Liebsten, was ich tue. Auf alle Fälle hat die französische Ausgabe deutlich mehr verloren: anderthalb Seiten insgesamt.
 
Darüber gibt Goes in seinem Nachwort von 1987 freimütig sogar selbst Auskunft. Der weithin als Hölderlin-Experte bekannte Pierre Bertaux hatte sich der Übersetzung angenommen und wollte den Schluss mit dem Heimflug des Pfarrers als für französische Leser ungeeignet nicht übernehmen. Goes gab Bertaux seinen Segen und so haben bis heute alle französischen Ausgaben weniger Text als alle anderen in allen anderen Sprachen inklusive der Originalsprache der Novelle. Günter Wirth nun, in seiner Eigenschaft als stellvertretender Präsident des Kulturbundes der DDR, der die Wochenzeitung „Sonntag“ herausgab, auch in publizistischer Verantwortung, erfuhr im „Freitag“, dem Nachfolgeblatt, Anfang 2010 diese posthume Würdigung: „Wirth war weder Blockflöte noch Wendehals. Sondern ein umtriebiger, gewitzter Mann enzyklopädischen Zuschnitts, nicht ohne Noblesse.“ In den von ihm verfassten Kapiteln über Albrecht Goes gewinnt die Umtriebigkeit eher seltsame Farben. Was für „Unruhige Nacht“ bisweilen dicht neben die Wahrheit führt. Wirth findet es zum Beispiel wichtig, darauf hinzuweisen, dass der Handlungsort Winniza einer ist, von dem aus die Deutschen Propaganda im Äther gegen die Sowjetunion trieben. Für die Novelle ist das ohne jede Bedeutung. Aus der Schlusssequenz, genau der, die der französischen Ausgabe fehlt, erweckt er dafür mit einem einfach absichtlich verkürzten Zitat ein falsches Bild des Autors Albrecht Goes.
 
Denn es gibt in der Erzählung eine Figur namens Kartuschke, einen Major, im Film spielt ihn der ewige Bösewicht, der ewige Unsympath Werner Peters. Der beordert ausgerechnet einen Pastor, den Oberleutnant Ernst (im Film Werner Hinz), an die Spitze des Erschießungskommandos, was auch rein innermilitärisch seltsam ist, denn dieser Oberleutnant gehört zu den Bautruppen. Aber, und das offenbart die Novelle natürlich bald, dieser Major und dieser Oberleutnant kennen sich von früher aus einem Theologiestudium her, der eine wurde tatsächlich Pastor, der andere auf Umwegen schließlich der schlimme Offizier, als den ihm Albrecht Goes vorführt. Und just auf dem Rückflug vom Hinrichtungsort Proskurow nach Winniza reflektiert der Pfarrer, der alles selbst erzählt, zwischen Traum und Wachen: „Ehe der Knabe lernt, Gutes und Böses zu unterscheiden, wird diese Widermacht vernichtet sein? Aber da ist noch Kartuschke. Und ich weiß, es ist ein weiter Weg, bis auch die Hasserfüllten verwandelt sind.“ Wirth hört hinter dem Namen auf und schreibt statt der wichtigen Fortsetzung, die den Glauben bezeugt, dass sogar die Hasserfüllten gewandelt werden können: „Der Hinweis auf ihn als auf das Synonym alles Unmenschlichen – wie nun verträgt er sich mit den Schlusssätzen der Novelle?“ Obwohl er kurz zuvor vollkommen zutreffend gesehen hatte, dass Goes nicht als „ästhetisierender Essayist“ schrieb, sondern „als Prediger im Schriftsteller“.  
 
Dies führt uns mitten hinein in die ärgerlichen Seiten von „Unruhige Nacht“. Denn Albrecht Goes hat sich nicht nur 1947 fünf Jahre zurückversetzt und eigenes Erleben in Literatur verwandelt, er hat die Sicht von 1947 einfließen lassen und das ist an einigen Stellen  (für mich) unglaubwürdig. Was meine ich? Sein Pfarrer, über weite Strecken also er selbst, steht in stiller Opposition zu den Verhältnissen. Er leistet sich kleine Ausbrüche, die nichts und niemanden erschüttern, aber sehr wohl sein Selbstwertgefühl stützen und fördern. Nun kommt die Marschorder, der er vollkommen selbstverständlich Folge leistet, es ist schlicht und einfach sein Job, den er macht und das innerhalb einer militärischen Hierarchie. Er selbst sagt, es handle sich etwas um eine einem Major ungefähr vergleichbare Position. Das ist schon relativ viel, ich hatte in meiner NVA-Zeit zeitweise einen Major als Regimentskommandeur mangels vorhandener höherer Dienstgrade. Der Pfarrer dient in der Ukraine. Dennoch stellt er sich, als ihm die dumpfe Atmosphäre im Wehrmachtsheim bewusst wird, in dem er übernachten muss, die seltsame Frage, ob es in einem amerikanischen Heim wohl auch so zugehen könnte. Später, als er mit dem als Kommandeur der Erschießung befohlenen Oberleutnant Ernst über dessen schwere innere Konflikte redet, fällt die Frage, wie wohl ein englischer Chaplain sich verhalten würde. USA und England als Bezugsgröße in Russland 1942?
 
Dass einer mitten in Russland, noch relativ weit vor der vorentscheidenden Niederlage in der Schlacht um Stalingrad, die westlichen Mächte der Anti-Hitler-Koalition in die Darstellung einbezieht, hat nur eine mögliche Erklärung: das wache Auge der Besatzungsmächte in ihren Zonen. Und selbst die Schlacht um Stalingrad spielt in der Erzählung eine Rolle, die eher als Rückprojektion Sinn macht: der Autor, um das Ende wissend, nur eben nicht 1942, lässt den nach Stalingrad kommandierten Hauptmann Brentano sein Kommando als Flug in den Tod sehen. Das aber war zum Zeitpunkt der Handlung von „Unruhige Nacht“, wie immer man ihn genauer datieren mag, noch nicht so abzusehen. Und nun lässt sich die Formulierung von Günther Wirth positiv aufgreifen: was Goes als seine und seinesgleichen große Nachkriegsaufgabe sah, hat er als „Prediger im Schriftsteller“ in eine novellistische Handlung gezogen, gewissermaßen vordatiert. Als er, und es ist die meistzitierte Stelle diesbezüglich, hinschrieb, es gehe um das innere Bild des Krieges nach dem Krieg, dann schrieb er das 1947/48, als es tatsächlich um dieses innere Bild ging. Die Formulierung: „Krieg, so muss man es ausdrücken, das ist Fußschweiß, Eiter und Urin.“ greift natürlich haarsträubend kurz in der Beschreibung dessen, was vor allem dieser Krieg war. Und es gibt erschütternd viele solcher viel, viel zu kurzen Griffe, manche wie glatte Verharmlosungen.
 
Man durchdenke etwa dies: „Was im Vordergrund des Bewusstseins der Allgemeinheit stand, das waren die unnötigen Quälereien des Soldatenalltags, die langanhaltenden Urlaubssperren, die Ungerechtigkeiten der Liebedienerei, Durchstechereien, und da und dort auch das Rinnsal böser Botschaft von daheim. Der Mord an den Geisteskranken war trotz aller Geheimhaltung nicht verborgen geblieben, und von den Judenpogromen wusste über den Kreis der Beteiligten hinaus dieser und jener mehr, als er ertragen konnte.“ Es wäre zu fragen, warum Sicht und Wissen des Jahres 1947 ausgerechnet hier, vor den grässlichsten Verbrechen des Regimes, nicht zur Anwendung kommen: die mit der Wannsee-Konferenz 1942 in die tägliche Praxis übergehende industrielle Ausrottung von Millionen Juden lässt sich nicht mit „Judenpogromen“ beschreiben, auch ein sehr gut meinender Pastor aus Württemberg darf das 1947/1948 nicht schreiben. Auf seltsame Weise gesellt sich dem Vorgriff auf die westlichen Besatzungsmächte im Text auch ein Vorgriff auf östliche Entwicklungen: „Die Sowjets werden diese Länder und Städte wieder besitzen, und kein Kreuz wird mehr auf diesem Friedhof stehen, Kreuze sind gutes Brennholz für die Kasernen der Roten Armee.“ Hätten die Kreuze nicht wenigstens Brennholz für Behausungen einfacher ukrainischer oder weißrussischer oder russischen Menschen sein können, der wahren Opfer?
 
Albrecht Goes ist, hier müsste man der kleingeistigsten Kritik vom Standpunkt des üblichen DDR-Literaturverständnisses zustimmen, mangels auch der allergeringsten Einsicht in tatsächliche Kriegsursachen, darauf angewiesen, den Krieg ästhetisch, moralisch, schöngeistig zu verurteilen. So nimmt es keineswegs Wunder, wenn der erzählenden Pastor fast ununterbrochen von Assoziationen zu Literatur, Kunst und Musik heimgesucht wird: der Name Fedor (Vorname des zum Todes Verurteilten) lässt ihn an Dostojewski denken, der Name des Hauptmanns Brentano lässt ihn Züge von Clemens und/oder Bettine in dessen Gesicht suchen. Das ist, so komisch es klingt, immer wieder zu viel des Guten. „Und zuweilen denke ich dann: wenn wir je diesen Krieg überstehen sollten, wie kriegen wir diesen Dreckssinn, diese Bordellphantasie aus unserer Oberstube hinaus?“ Das ist tatsächlich eine Frage, aber wie wichtig ist sie im Angesicht viel wichtigerer Fragen? „Man muss es dem Bewusstsein der Menschen eintränken, wie banal, wie schmutzig dieses Handwerk ist. Die Ilias mag die Ilias bleiben, und das Nibelungenlied bleibe, was es war, aber wir müssen wissen, dass der Dienst mit Schaufel und Hacke ehrenwerter ist als die Jagd nach dem Ritterkreuz.“ Das liest sich fast wie aus einem Handbuch für westdeutsche Kriegsdienstverweigerer. Dennoch hat Goes natürlich mit fast allem Recht, Recht als Nebenkläger, nicht aber als Hauptkläger.
 
Natürlich kann man schreiben: „Dieser Krieg, der eine einzige Hassexplosion war gegen alles, was eines guten, heiter beweglichen Geistes sein mochte“, natürlich auch: „Und ich denke wieder wie schon oft: böser Krieg, satanischer Krieg.“ Und ganz wichtig war 1949 natürlich dies: „Ich sehe es schon im Geist, Herr Bruder, das ganze Heer der Beteuerer, die Händewäscher der Unschuld.“ Der Oberleutnant Ernst darf es sagen. Wie problematisch aber klingt sofort wieder das: „Hier wurde sichtbar, dass der gleiche Krieg, dem ich soeben die bösen Namen gegeben hatte – und ich gedachte, keinen davon zurückzunehmen – doch auch dem ritterlichen Glanz Raum gewährte, einem achilleischen Licht.“ Wenn man Albrecht Goes mit seiner Novelle mit nicht ganz schlechtem Gewissen ein Plädoyer gegen den berühmtesten Satz aus Theodor W. Adornos „Minima Moralia“ halten sieht, es gebe kein richtiges Leben im falschen, darf man vielleicht auch sagen, dass es falsche Sätze im richtigen Buch geben kann. Andere Sätze gewinnen überraschenden Pointenwert: „Eine vorzügliche Einrichtung, das Rauchen. Es geschieht etwas dort, wo es unerträglich sein würde, wenn nichts geschähe.“ Das ist keine Polemik gegen das Rauchverbot in öffentlichen Räumen, es beschreibt, was ist, wenn Sprachlosigkeit im Angesicht nahen Todes das einzig mögliche scheint. „Unruhige Nacht“ scheint heute eher ein Dokument und ist immer noch Literatur.
 
Vielleicht hätte Goes doch auf seinen ersten Lektor hören sollen, der glaubte, alles „hätte nach Art eines Kleistschen Textes ganz knapp erzählt werden müssen“. Über die Enkelgeneration und seine Novelle schrieb Goes 1987: „Mir will scheinen, als käme es für sie darauf an, mit einem neugeschliffenen Buschmesser durch das Gestrüpp aller Schuldzuweisungen hindurch zu stoßen. Der schöpferische Geist sieht neue Zusammenhänge, und alle Lebensaugenblicke sind reichsunmittelbar.“ So sind sie, bleibt am Ende festzustellen, die Dichter, auch die Dichter-Pastoren oder Pastoren-Dichter, sie schreiben solche Sätze: Alle Lebensaugenblicke sind reichsunmittelbar. Der letzte Satz der Novelle lautet: „Ich war einverstanden mit allem, auch mit dem wilden Aufruhr der Lüfte.“ Günther Wirth glaubte, man müsse Goes gegen missverständliche Deutungen dieses Satzes in Schutz nehmen. Andere glaubten, den Schluss gegen ihn wenden zu können. Natürlich war Albrecht Goes nicht mit allem einverstanden, natürlich nimmt der Schluss nichts zurück von dem, was in den zehn kleinen Kapiteln von „Unruhige Nacht“ erzählt ist. Da ist ja auch die Geschichte mit dem Hauptmann Brentano, die außerhalb der Literatur den juristischen Tatbestand der Kuppelei erfüllen würde, hier aber eben einen Pastor von einer sehr unpastoralen Seite zeigt: als Menschen, der es ernst meint mit der Liebe, die eben nicht nur Sache von Sonntagspredigten ist.


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