Walter Hasenclever: Ehen werden im Himmel geschlossen
Man könnte Theatergeschichte leicht auch als eine Abfolge von Theaterskandalen erzählen und es würden, die Prognose wage ich, weit weniger große Namen fehlen, als man vorschnell bereit wäre, anzunehmen. Umgekehrt: es sieht fast so aus, als wäre der Skandal etwas wie eine Eintrittskarte in den Betrieb und so fände man bei nur etwas näherem Hinsehen sehr illustre Namensketten, deren Laufbahn zu Erfolg oder auch nur Nachruhm mit einem Skandal begann. Man denke probehalber an „Die Räuber“ vor sehr langer Zeit und an die „Publikumsbeschimpfung“ vor auch schon wieder sehr langer Zeit. Der eine Schiller schaffte es zum Klassiker, der andere Handke schaffte es zum Nobelpreis. Der Rest wäre Fleißaufgabe. Ein Skandal ist auf immer auch mit dem Namen Walter Hasenclever verbunden, dessen heutiger 130. Geburtstag kein Grund zu Unruhe sein muss. „Ehen werden im Himmel geschlossen“, Uraufführung in Berlin an den Kammerspielen des Deutschen Theaters am 13. Oktober 1928, führte zu Tumulten im Parkett, zu Klagen wegen Gotteslästerung, in Wien wurden sogar die Darsteller angeklagt. Wo immer man über diese Komödie liest, liest man über den Skandal, den die Tatsache auslöste, dass der liebe Gott in Knickerbockern auf der Bühne stand, bei der heiligen Magdalena Mokka schlürfte und gar keine Lust mehr hatte, Gott zu sein.
In einem Gespräch mit seinem Freund Kurth Pinthus sagte Hasenclever 1930: „Wenn in Deutschland ein Stück aufgeführt wird, in dem sich die Leute nicht langweilen, entsteht sofort der Verdacht, mit dem Autor müsse etwas nicht stimmen. Ein richtiger Dramatiker hat problematische Stücke zu schreiben. Das Problem muss so problematisch sein, dass die Zuschauer vor lauter Problematik gar nicht zur Besinnung kommen.“ Da hatte der Autor seine Klageerfahrungen schon hinter sich, die Wiener Darsteller, die sich dann sehr wacker und schlagfertig hielten vor Gericht, die ihren noch vor sich. Und wir Späteren lesen mild erstaunt, wie andere Spätere versuchen, die Komödie in vier Akten vorzustellen, so nämlich, als hätte Hasenclever doch ein problematisches Stück geschrieben. Für Barbara Schomers-Kretschmer und Marlene Wruck etwa „ist der Glaube an die Unabänderlichkeit des Schicksals zentrales Thema.“ Für Christoph Bauer illustriert das Stück „die fatalistische These von der Unabänderlichkeit des Schicksals, gegen das selbst der liebe Gott persönlich machtlos bleibt.“ Es enthalte „nicht wenige Seitenhiebe gegen das revolutionäre Theater der 20er Jahre, von dem sich Hasenclever distanzierte.“ Man könnte vorsorglich behaupten, dass Komödien, die Derartiges unternehmen, schon halb verloren haben. Glaube und Illustration?
Immerhin lässt sich der Autor selbst in Anspruch nehmen. Kurth Pinthus zitierte als erster, soweit ich sehe, einen Brief an den Anwalt und Dramatiker Max Alsberg (1877 – 1933) mit der Selbstdeutung: „Der Sinn meiner Komödie ist, … man kann an das Schicksal nicht rühren. Sogar Gott kann nichts dagegen machen, dass ihn die Menschen nach ihrem Bild erschaffen haben. Deshalb lässt er es lächelnd geschehen.“ In diesem Brief steht auch eine These, die man nur eine sehr steile nennen kann: „Wenn also der Gottesbegriff im Laufe der Jahrhunderte sich wandelte, so ist es die Aufgabe des Dichters, ihn für unsere Zeit neu zu formulieren“. Die Begründung bleibt Hasenclever natürlich schuldig: man könnte aus dem Stand andere Berufsgruppen als ausgerechnet Dichter benennen, die sich an Gottesbegriffen und deren Evolution abzuarbeiten hätten. Dass es ein uralter Irrtum ist, neu formulierte alte Begriffe würden irgendetwas bewirken in der Realität, soll hier gar nicht erst lange begründet werden. Man bekämpft auch keinen Rassismus dadurch, dass man den Begriff Rasse aus der Lexik einer Sprache zu tilgen sucht. Hasenclever macht, beinahe naiv, erst einmal nicht mehr und nicht weniger als es die gesamte griechisch-römische Antike tat: die Götterwelt nach dem Vorbild ihres eigenen Lebens, Liebens und auch Leidens zu verbildlichen.
Es ist pures Lesevergnügen, was der erste Akt bietet. Magdalena, die heilige Magdalena, probiert Kleider an, vor allem hat es ihr ein neuer Heiligenschein angetan in Form eines Kammes, nur den Preis findet sie deutlich zu hoch, den der Himmelsjuwelier haben will. Deshalb telefoniert sie mit ihm, verrät ihm, dass in Kürze der liebe Gott höchstselbst zu ihr käme, begleitet von Sankt Peter. Sie spekuliert auf den Werbeeffekt ihres Umgangs und will ihn preisdrückend einsetzen. Der Spaß potenziert sich mit den Namen, die aufgerufen werden: die heilige Johanna wird sich ärgern, die heilige Therese kennt sich aus mit Hut-Preisen, bei der heiligen Katharina schmeckt der Kaffee nicht. Der heilige Augustin dagegen, sagt Gott, soll ganz still sein bei seinem Vorleben. Zu Gott sagt die Regieanweisung: „Der liebe Gott tritt ein. Er ist gekleidet wie ein alter englischer Lord, kurze Hose, Pfeife im Mund.“ Er kommt vom Golf dieser liebe Gott, sieht aus wie Gerhart Hauptmann, was erschwerend hinzu kommt für alle, die nur ins Theater gehen, um sich dort ihre religiösen Gefühle verletzen zu lassen. Die deutsche Sprache benutzt dafür das Wort Blasphemie und alle Leute, die zum Lachen in den Keller gehen und von innen verriegeln, eher sie in ihre Armbeuge kichern, ist Blasphemie etwas ganz Schlimmes. Der kleine Rest der Menschheit freut sich herzlich.
Das pure Lesevergnügen des ersten Aktes ist im zweiten fast weggeblasen und so nimmt es nicht Wunder, dass fast alle Kritiker, also auch alle, die im Skandal keinen sahen, ein merkliches Gefälle zwischen den Szenen im Himmel und denen auf der Erde konstatieren. Es tritt Humorverlust ein. Wenn man denn schon ein Thema nennen will, das ernster klingt, als dem Wort Komödie zuträglich, dann wäre es das des Selbstmordes, das hier verhandelt wird in dramatischer Versuchsanordnung mit drei Beteiligten. Sie heißen Felix, Tonio und Renée, sie haben sich im wirklichen Leben auf Erden alle drei das Leben genommen, sind in den Himmel gekommen (Blasphemie, anständige Selbstmörder schaffen es bestenfalls bis an den äußersten Rand ihres Heimatfriedhofes) und nun ist die Frage nicht, zu welcher Seite des Herrn sie Platz nehmen dürfen, es ist die allgemeinere Frage, wie man sie wieder loswerden könnte: es herrscht ein Überangebot an Selbstmördern, die Hölle hat, möchte man vermuten, Kurzarbeit ausgerufen. Und so sieht sich der liebe Gott gezwungen, dies zu sagen: „Die Menschen machen es sich leicht. Wenn sie nicht weiter können, schießen sie sich eine Kugel in den Kopf.“ Man kann solche Sätze nicht ganz so leichthin lesen, wenn man weiß, dass auch Walter Hasenclever es sich vermeintlich leicht machte, nur nahm er Veronal statt Kugel.
Die heilige Magdalena hat ein gewisses Grundverständnis für die Selbstmörder: „Wenn eine Frau sich das Leben nimmt, sind immer die Männer schuld.“ Sie ist sich sicher: „Ich finde, dem Mann ist recht geschehen. Man kann nicht jeden heiraten, den man liebt.“ Und schlägt vor: „Wer sich für eine Frau tötet, die er nie besessen hat, ist fähig zur Liebe. … Kann man nicht die beiden miteinander verheiraten? Ehen werden im Himmel geschlossen.“ Da ist auch gleich der Titel gegeben, den gar nicht Hasenclever selbst für seinen Vierakter erfand, er wollte, dass es „Doppelspiel“ heißt. Man kennt das Verfahren: der Dichter will „Luise Millerin“ und heraus kommt „Kabale und Liebe“. Ehe der erste Akt endet, lobt der liebe Gott noch den Mokka mit dem schon erwähntem Hinweis auf die heilige Katharina, die noch üben muss, und die sich natürlich geschmeichelt fühlende Magdalena setzt in aller Bescheidenheit dagegen: „Ein guter Mokka ist das Schwierigste, was es gibt. Dagegen ist die Schöpfung ein Kinderspiel.“ Die Blasphemie besteht hier darin, dass Gott nicht widerspricht. Magdalena weist darauf hin, dass Urkunden gefälscht werden müssen, Sankt Peter, der ausgesehen haben soll wie Kaiser Franz Joseph II., weiß, dass unabweislich nötige Beträge nicht durch die Bücher gehen dürfen. Im Himmel werden, sagt das aus, Straftaten billigend in Kauf genommen.
Natürlich kann man sich darüber aufregen, wenn man meint, durch Aufregung seinen Glauben zu verteidigen. Man kann aber auch einfach nur lachen, sich freuen. Lachten nicht die alten Griechen auch, wenn Zeus in dieser oder jener Verkleidung diese oder jene Frau zu außerehelichem Sex nötigte mit nicht immer sanfter Gewalt, bisweilen sogar mit Stehvermögen? Das könne man nicht vergleichen? Die Debatte ist zu ernst, um sie zu führen. Nur eines sollten wir heute mitnehmen beim Blick auf die Skandale von vorgestern: wir waren gar nicht so weit weg von Reaktionen, die uns heute Empörung abnötigen, wenn andere von Karikaturen bis zu Morddrohungen aufgeputscht werden und bisweilen die Morde sogar realisieren. Bei Hasenclever hat der liebe Gott entschieden resigniert: „Man hat die Notwendigkeit meiner Existenz so oft bewiesen, dass ich fast daran glaube. … Kriege werden in meinem Namen begonnen und Revolutionen gegen mich geführt. Sie machen aus mir, was sie wollen. … Ich habe keine Lust mehr, eine Rolle zu spielen, die zur komischen Figur geworden ist.“ Er weiß auch schon, was er tun will: „Ich ziehe mich auf ein Schloss zurück, hacke Holz und schreibe meine Memoiren.“ 1928 wusste noch jeder, was das mit dem Holz meinte, Wilhelm II., in Holland seit zehn Jahren, hackte noch. Heutige Regie würde vielleicht die tolle Idee haben, Gott einen Beratervertrag bei Gazprom ins Auge fassen zu lassen. Doch wieder Blasphemie?
Für alle Spürnasen unter potentiellen Nachwuchs-Interpreten des Hasenclever-Schaffens zwei kleine Winke: In „Ein besserer Herr“ ist der Heiratsschwindler Möbius bereit zu tun, was Betrüger so tun: Memoiren zu schreiben, dort hat auch das Telefon eine tragende Rolle im beschleunigten Leben des Groß-Unternehmers Compaß. Hier verleidet das Telefon Gott das Paradies, aber an Memoiren denkt auch er. Und solche spielen im dritten Akt, abermals im Himmel, noch einmal eine Rolle. Dort sagt nämlich Magdalena: „Wenn die Heiligen, statt zu beten, ihre Memoiren schreiben, muss man auf alles gefasst sein.“ Im dritten Akt ist alles schief gegangen, was ihm ersten so fein eingefädelt wurde, die drei Selbstmörder sind abermals tot. Diesmal zwei Selbstmorde und ein Mord, der einen der beiden Selbstmorde zum so genannten erweiterten Selbstmord macht. Es klappte nicht mit der neu eingefädelten Liebe an der französischen Riviera. Man macht im Himmel, anders als in gut gehenden Politbüros auf Erden, eine Fehleranalyse: man fragt sich, was man falsch gemacht haben könnte. Man diagnostiziert am Ende einer falschen Rollenbesetzung. Der liebe Gott überlässt Magdalena die Initiative, alle drei Selbstmörder erhalten eine dritte Chance, diesmal aber so, dass der Student mit Renée verheiratet ist, der ältere Felix ist ein Schlafbursche bei dem Paar.
Da man sich im Himmel natürlich auskennt, was die sozialen Dinge auf Erden betrifft, sind die beiden Männer nun Arbeiter in einer Grube, sie sind arm und haben eine winzige Wohnung. Gott gibt grünes Licht für diese Variante. Die füllt inklusive ihrer Konsequenzen den vierten Akt. Die heilige Magdalena sagt dies: „Wer von früh bis spät arbeiten muss, für den ist das Leben heilig. Jedes Glück, jede Liebesstunde wird ein Geschenk für ihn.“ Sie liegt, wir ahnen es schon, mit ihrer Prognose falsch. Immerhin darf sie noch sagen: „Wenn die Theologen so viel erlebt hätten wie ich, wären die Kirchen voll.“ Und sie will, dass an der Wand ein Bild von Karl Marx hängt, worauf Sankt Peter fragt: „Karl Marx?“ Hier setzt die Kunst der Regie ein, in welchem Ton es gesagt werden soll, der liebe Gott jedenfalls antwortet herrlich: „Mein lieber Petrus, wie oft habe ich dir gesagt, du sollst nicht so antisemitisch sein.“ Im vierten Akt sehen wir die Mini-Wohnung, sehen eine Kartoffeln schälende Renée, hören, wie sie ihrem älteren Mitbewohner, wie man ihn heute zu nennen hat, davon andeutend erzählt, dass Tonio bisweilen zu Gewalt neigt, wenn er Wunschsex nicht sofort bekommt, heute steht das im Strafgesetzbuch als neuer Tatbestand, alle sind froh, die dafür kämpften, dass er das wurde. Nur diese vertrackte Renée will einfach kein Vorbild sein.
Walter Hasenclever legt ihr in den Mund: „Ich will nicht. Aber wenn er mich dann nimmt und schlägt, dann liebe ich ihn um so mehr. Obwohl ich ihn hasse. Verstehst du das?“ Solche Sätze kennen die Oberinnen von Frauenhäusern, Psychologinnen und Therapeutinnen kennen ihn auch. Das ist das Blöde am wirklichen Leben: es ist wirklich und da. Dann ärgert der Dichter auch noch die Freunde sozialer Aufstiegsdebatten: Der alte Bergarbeiter Felix will keinen besser bezahlten Job in einer anderen Grube, der junge Bergarbeiter Tonio will nicht studieren, die Frau an der Kartoffel mag keinen Modesalon eröffnen, auch nicht mit Hilfe der heiligen Magdalena. Gott geht wortlos ab bei Hasenclever, nachdem er zur Rampe gegangen ist und ins Publikum gestarrt hat: „Wäre er ein Schauspieler, würde er sagen: „Das weiß der Teufel!“ Er zuckt die Achseln, dreht sich um und geht mit Petrus und Magdalena ab.“ Ob erst hier oder schon vorher Tumulte losgingen, weiß ich nicht eindeutig zu sagen. Für die WELTBÜHNE vom 11. Dezember 1928 schrieb er: „Eine Horde von Rowdys ist für die evangelische Kirche mit Stinkbomben und Tränengas gegen mich in den Krieg gegangen. Mit wüstem Geschrei, Johlen und Pfeifen schleuderten die christlichen Ruhestörer Gefäße mit übelriechender Flüssigkeit gegen ihre Nächsten, in diesem Fall die Schauspieler“.
Von Frankfurt ist hier die Rede, in Berlin wurde das Stück allein in der Spielzeit 1928/29 98mal gezeigt. Am 8. Dezember 1929 führte Rudolf Leonhard im Sender Köln ein Gespräch mit Walter Hasenclever, in dem „Ehen werden im Himmel geschlossen“ ebenso wenig erwähnt wird wie andere Stücke des Dramatikers. Hasenclever sagt aber: „Ich werde keinen Dichter bekämpfen, der auf Grund seiner Berufung glaubt, die Welt verändern zu müssen. Ich bin, allerdings nach einer inneren Wandlung, die ich als philosophische bezeichnen möchte, von der Unantastbarkeit des Schicksals, von der Unveränderlichkeit der Welt überzeugt.“ Die Komödie als Beweis dafür zu denken, mag in Germanistik-Seminaren durchgehen. Dass kein Kritiker sie so sah, verrät schon etwas von der Tragfähigkeit einer solchen Deutung. Zwei sehr namhafte Autoren, beide keine spezialisierten Theaterkritiker, sprachen der Komödie in Bausch und Bogen jede Qualität ab. Der eine war Erich Kästner. Es lohnt, kurz bei seinem Verriss zu verweilen. „Gut an dem Stück ist lediglich der Einfall, dass der liebe Gott, von Petrus und der heiligen Magdalena beschwatzt, drei Selbstmörder wiederholt auf die Erde zurückschickt, um ihnen Gelegenheit zur Revision ihrer verflossenen unglücklichen Lebensläufe zu bieten.“ Den Rest sieht Kästner als pure Katastrophe.
„Abgesehen hiervon, ist das Stück von einer geradezu unbegreiflichen Dürftigkeit, die dem Zuschauer, der Hasenclevers Jugendwerke kennt, Angst einflößen muss. Der Dialog, die Witze und der hier verspritzte Geist haben ein Niveau, das jeder kaufmännische Lehrling mühelos erreichen kann.“ Weshalb die Lustspiel- und Komödiengeschichte seit Aristophanes ja auch voll ist von schreibenden Kaufmannslehrlingen, wie man weiß. Dass ausgerechnet Erich Kästner die Jugendwerke Hasenclevers zum Maßstab nimmt, die späteren pauschal abzuqualifizieren, zeigt wenig Gedankenarbeit, wenig Geschichtskenntnis, überhaupt einen überraschend dürftigen Horizont. Man lese noch dies: „… wenn man abends spät nach Hause kommt und im Halbdunkel aus einem der Töpfe Kaffee in eine Tasse gießt, trinkt und merkt, dass in dem Topf Aufwaschwasser war, hat man ein ganz bestimmtes schreckliches Gefühl. Dieses Gefühl und jenes, das der Zuschauer von Hasenclevers neuem Stück hat, sind ein und dasselbe.“ Einer der dümmsten Fehler, die ein Kritiker begehen kann, besteht darin, sich selbst mit dem Zuschauer zu verwechseln. Über den Junggesellenhaushalt Kästners, in dem Abwaschwasser in Töpfen steht, die mit Kaffeepötten verwechselt werden könnten, sollte man sich keinesfalls allzu bildhaften Vorstellungen machen.
Die Fähigkeit, den gesamten kritischen Totschlag in einen einzigen Satz zu packen, hatte Kästner nicht, die aber hatte der grandiose Alfred Polgar. Der nahm sich den von Dr. Robert Klein erdachten Stücktitel her, der vom Stücktext ja durchaus gedeckt ist, und machte sich lustig über dessen Verfahren: „Hoffentlich wird er jetzt auch bald darangehen, die Namen der klassischen Stücke aufzupulvern. Wie nichtssagend etwa ist der Titel „König Lear“, wie wirksam wäre dagegen: „Also, sagen Sie selbst, soll man Kindern haben?“ Wie leer klingt der Titel „Kaufmann von Venedig“, wie voll und anziehend klänge: „Was Juden alles imstande sind, von Christen ganz zu schweigen“. Man darf an den erfundenen neuen Titeln sehen, dass auch Polgar nicht von Höhenflug zu Höhenflug taumelte, aber sein Totschlag ist köstlich: „Bei Hasenclevers neuer Komödie wäre es vielleicht praktischer gewesen, den Titel unverändert zu lassen und das übrige zu ändern.“ Da sah selbst der gern grämliche Alfred Kerr die Komödie freundlicher: „Hübsche Wendungen im Gespräch machen das Glück dieser Komödie.“ Felix Hollaender schrieb von Hasenclevers „mit schlagenden Pointen gespicktem Werke“. Arthur Eloesser begann vielsagend freundlich: „Wir haben gestern einige Male gelacht, und was noch schöner ist, gelächelt, als Hasenclever uns wieder in ein Jenseits führte.“
Und setzte hinzu: „Hasenclever hat einen Einfall gehabt, von dem aber der Himmel mehr als die Erde profitiert. Über die Regierenden da oben müssen wir lachen, mit ihrer Resignation müssen wir lächeln; über die Regierten da unten sollten wir weinen, was wir wieder nicht können.“ Eloesser hielt offenbar auch nichts davon, die Messlatte zu hoch zu legen: „Die Komödie ist nicht durchweg komisch, aber bis Stärkeres kommt, wollen wir mit einer Veranstaltung zufrieden sein, die uns den halben Weg lachen und am Ende gar etwas nachdenklich werden lässt.“ Günther Rühle, Historiker deutscher Theatergeschichte seit 1887, weiß zu „Ehen werden im Himmel geschlossen“ nicht sonderlich viel zu sagen, bietet aber eine Umfeldsicht, der sich im Kern folgen lässt: „Lachen lernten damals viele Autoren. Die Reihe der Satyrspiele auf den Expressionismus wuchs stattlich. Mancher Autor hatte schon vor der Mitte des Jahrzehnts versucht, ihm auf dem Weg über Komödie und Lustspiel zu entkommen. Walter Hasenclever, der den Expressionismus entzündet hatte, gab auf.“ Rühle ruft zum Beleg noch Georg Kaisers „Nebeneinander“ und „Kolportage“ auf, um seine Folgerung nicht nur auf Hasenclever zu beziehen: „Die Komödien sagten die neue Wahrheit: die Welt bleibt trivial, lieblos, spießig, böse und ungerecht, richtet euch ein“. Trauert da etwa einer?
Bei Hasenclever selbst tragen die Herren Felix und Tonio in der Wohnküche die Problematik aus. „Man kann nur erreichen, was möglich ist.“ Sagt Felix und Tonio entgegnet: „Wer so denkt, verrät die Revolution.“ Und ergänzt: „Es geht um die Sache. Was liegt an uns! Wir werden es nicht mehr erleben.“ Fast nebenher macht der Dramatiker deutlich, dass es nicht die Frage des Aufgebens ist, wenn einer den Expressionismus mit seinen pseudorevolutionären Phrasen, mit seinem aktivistischen und vor allem volksfernen Symboltun hinter sich lässt. Sich einrichten heißt eben nur für Salonrevolutionäre resignatives Verlassen alter Überzeugungen. Tatsächlich lässt sich nur das erreichen, was möglich ist. Das ist kein sozialdemokratisch-opportunistischer Verrat. Das Unmögliche versuchen, um Mögliches zu erreichen, hat die Qualität dessen, was manche gern Vision nennen. Die „Sache“ aber über die lebenden Menschen zu stellen, sie auf die Zukunft als proletarisch-revolutionären Ersatz für christliches Jenseits zu vertrösten, ist eine schnöde und sehr menschenfeindliche Idee. Ich zweifle, dass Walter Hasenclever mit seiner Komödie des Publikums Gedanken in solche Richtung lenken wollte. Ich stelle mich neben Eloesser, der lachend und etwas nachdenklich aus dem Theater ging. Und stelle mir vor, er ging in die Dahlmannstraße danach.