Arthur Eloesser: Wilhelm Busch
Die Überschrift neigt leicht in Richtung Etikettenschwindel. In Zeiten, wo ganze politische Parteien Etikettenschwindel sind und ihren Friedens- und Nachhaltigkeitspredigten von einst ungerührt und stramm militant das genaue Gegenteil folgen lassen, muss Sixtus Beckmesser deshalb nicht aus der Kiste geholt werden. Arthur Eloesser hat sich tatsächlich mit Wilhelm Busch befasst, ausführlicher und gründlicher sogar als mit Franz Kafka, was nicht gegen ihn spricht. Denn wer zum Jahrgang 1870 gehört, für den sind Angehörige des Jahrgangs 1883 dann doch schon arg jung. Kafka aus Prag kam anders als Busch nur noch zu einem gewissermaßen finalen Schnelldurchlauf gegen Ende des zweiten Bandes der Literaturgeschichte des Berliners Eloesser. „Der große Humorist wurde Wilhelm Busch, ein Norddeutscher aus dem Binnenlande. Wenn er nicht unvergleichlich wäre, könnte man ihn einen Gegenspieler von Johann Peter Hebel nennen.“ Doch Hebel (10. Mai 1760 – 22. September 1826), dem in nur zwei Jahren (Biographen-Alarm!) der 200. Todestag ins Haus steht, war dann doch nicht ideal passgerecht: „Der oberrheinische Prälat, immer bei guter Laune und voller Nachsicht, nahm seine Leute bei der Hand, ging mit ihnen im Abendfrieden spazieren, zeigte ihnen, wie schön die Sonne unterging und wie gut ein sauber bestellter Acker dalag.“
Das tat Wilhelm Busch nun ganz ausdrücklich nicht, er „machte keine Erziehungsversuche, er fand die Menschen voller Hässlichkeit und Bosheit, aber nicht schlimmer, als sie von Natur sein durften, und er zwang sie zu dem Glück, dass sie über ihre eigene Unvollkommenheit lachen konnten. Kein Schriftsteller hat sie zu solcher Aufrichtigkeit und Vorurteilslosigkeit gebracht. Es beweist seine Meisterschaft, dass die Kinder wie die Großen ihn lieben und nachsprechen.“ Wo andere vielleicht einen Exkurs zum Thema Meisterschaft in sich nicht hätten unterdrücken können: hier ist eine Definition (von diversen möglichen) klar benannt: Große wie Kinder, Kinder wie Große, man darf das probeweise umdrehen, müssen einen/eine lieben, nachsprechen wäre heute schon unzeitgemäße Forderung: Gedichte lernen ist Ausgeburt des Frontalunterrichts, konservative Leitkultur gar, nur Zeitenwendelogik ist noch schlimmer. Das meine dann aber vielleicht nur ich. „Wilhelm Busch wurde am 15. April 1832 in dem Dorf Wiedensahl im Schaumburg-Lippischen geboren; er ging an das Polytechnikum in Hannover, lernte bei einem Besuch von Antwerpen die Rubens, Teniers, Frans Hals kennen in ihrer göttlichen Unbefangenheit, ging dann nach München, wo er bei den Piloty, Kaulbach, Makart gewiss nichts mehr zu lernen fand.“ Die Akademiker halt, soll das heißen.
„Seine Dichtung entstand aus seiner Zeichenkunst, als er die Unterschriften zu seinen Karikaturen für die fliegenden Blätter selbst zu liefern begann. Von seinen Nachfolgern steht ihm da wohl Adolf Oberländer am nächsten. Busch lebte, wie er sagt, mit dem Darwin in der einen, mit dem Schopenhauer in der anderen Tasche. Bloß als ein edler Kulturfreund, heißt es in einem Beileidsschreiben, kommt keiner durch die enge Pforte. Und auch sein verehrter Schopenhauer, wie recht man ihm in allem geben muss, hatte nicht erklärt, wie man hier herauskommt. Gegen Irrtum die Erkenntnis, gegen Schuld die Kasteiung, waren das ausreichende Gegenmittel? Der Denker Busch machte da halt, aber der Dichter hat wohl die Antwort gegeben: Der Mensch ist nicht umzubringen.“ Oberländer (1. Oktober 1845 – 29. Mai 1923) war einst bekannter als heute, weil er Bilder für Sammelalben schuf wie die „Abenteuer eines Frosches“. Wer also einen von ihm sieht, der von Busch sein könnte, darf sich ein gutes Auge bescheinigen. Linien von Schopenhauer zu Busch fixiert beispielsweise auch der Schopenhauer-Biograph Rüdiger Safranski: „Wie die Thomas Mannsche Ironie, so ist der Humor der großen deutsche Realisten der zweiten Jahrhunderthälfte Schopenhauer verpflichtet. Das gilt für Wilhelm Busch, für Theodor Fontane, für Wilhelm Raabe.“
Äußerungen Buschs zu Schopenhauer hat Gerd Haffmans in seine Diogenes-Sammlung „Über Arthur Schopenhauer“ aufgenommen, für den Buchtitel eine Zeichnung von Busch verwendet, die den Eindruck vermittelt, der Philosoph schaue einem direkt und arg grämlich in die Augen. Die Schopenhauer-Biographen Volker Spierling und Karl Pisa hatten Busch nicht in ihren Registern; das nur als Fußnote im Fließtext für Freunde solcher Seitenhiebe, die gar nicht hauen wollen. „Der Vers von Busch hat den letzten Strich wie seine Karikatur; dahinter kann nichts mehr kommen, die wirklichste Erscheinung ist aufgelöst. Mit dieser Entschlossenheit, mit der letzten Phantastik des Realismus hat er das Genre des komischen Heldenepos zu Ende gebracht.“ Eloesser, von dem wir nicht wissen, wie viel Busch seine Bibliothek enthielt, wie viel Busch in der Dahlmannstraße den Kindern vorgelesen wurde, war sich der Qualität genannter Verse sehr bewusst. Schon 1902 hatte er den Gedanken, man könne den Franzosen Paul Bourget (2. September 1852 – 25. Dezember 1935) „in die prachtvolle Entschiedenheit gewisser Wilhelm-Busch-Verse übersetzen“. 1908 bemerkte er zu Theodor Fontanes Nachlass: „Mit solchen Sprüchen der Weisheit reicht Fontane einem Wilhelm Busch die Hand, der das mit seinen geschwindesten Versen nicht hätte bündiger sagen können.“
„Das Gute – dieser Satz steht fest – / Ist stets das Böse, was man lässt. / Enthaltsamkeit ist das Vergnügen / Bei Sachen, welche wir nicht kriegen.“ Das ist gedacht, mit einem leichten Schlag zum Ausdruck gehämmert und glatt vernietet. Busch hatte einen eigenen Versbau, einen eigenen Satzbau und eine persönliche Grammatik, die mit der Unwiderleglichkeit von mathematischen Formeln arbeitete, alle stoffliche Schwere der deutschen Sprache auf eine lineare Leichtigkeit brachte.“ Der Kritiker macht auch eine Defizit-Anzeige: „Diese Durchdachtheit und Helligkeit, diese federnde Konstruktion hat auch seine Prosa, die nicht genug gelesen wird.“ Das Beispiel dafür: „In „Eduards Traum“ verwandelt sich der Schläfer in einen mathematischen Punkt. In seiner Höhle festgebunden sitzt der unglückliche Mensch, der schon mehr als zehntausendmal wiedergeboren, doch noch immer von den Dingen, welche draußen vorbeipassieren, nichts weiteres zu erkennen vermag als ihre Schatten, die sie vor ihm auf die Wand werfen.“ Aber das „Einverständnis mit Schopenhauer lässt Busch weder melancholisch noch pathetisch werden; er dringt immer auf eine Komödie, macht als Techniker und Maler sein Theater auf, in dem die Menschen gleich Marionetten bewegt und gleichmütig zerstückelt werden können; er fasst sie immer an ihrem Schwerpunkt.“
„Wilhelm Busch war im Grunde mehr Positivist als Pessimist; so nährte sich seine Satire von dem Zorn auf unreelle Versprechungen, die uns für ein Drüben gemacht werden. Der Zorn wurde zur Wut einer antikatholischen Tendenz während des Kulturkampfes; sie hat ihm damals von seiner Leichtigkeit und Schwebekunst genommen, bis er sich wieder zu einer freundlicheren humoristischen Begleitung des kleinen Philisterlebens beruhigte. Der erfolgreiche Dichter, der keinen Menschen und keine Anregung brauchte – er nennt sich einmal einen Laubfrosch – zog sich nach Mechtshausen bei Seesen zurück. Dort starb er am 19. Januar 1908.“ Ein Nachruf Arthur Eloesser für ihn ist bisher nicht bekannt, vermutlich hat er gar keinen geschrieben. In seiner Geschichte der Literatur brachte er Busch noch mit den Bayern Ludwig Thoma und Christian Morgenstern in Verbindung Und verwies auf einen, dessen Name oben bereits bei Safranski fiel: „Wilhelm Raabe nannte den Erfolg von Busch ein ethisches Armutszeugnis des deutschen Volkes, da seine Schriften auf der Schadenfreude beruhten.“ Und Hermann Hesse, der Raabe-Verehrer, leider nicht von Eloesser zitiert, schrieb 1915: „Wilhelm Buschs Weltanschauung ist wohl kaum die beste Grundlage für Kindererziehung, aber sein Humor, seine dramatischen Einfälle, vor allem aber sein genialer Zeichenstift sind Werte, die jenen etwaigen Mangel aufwiegen.“