Fischen und Jagen mit Hemingway
Das Buch ist ein sehr amerikanisches Buch. Und sein Titel, es erschien vor ein paar Jahren auf deutsch im Claassen-Verlag, der zu den Ullstein-Verlagen gehört, ist sowohl treffend wie auch irreführend. Das ist eher neckisch als wichtig, denn letztlich geht es natürlich um den sehr berühmten Nobelpreisträger des Jahres 1954, dessen Todestag sich in diesem Jahr zum fünfzigsten Male jährte. Aber es geht eben auch und fast noch mehr um den jüngeren Bruder von Ernest, um den wesentlich weniger berühmten Leicester Hemingway (1915 - 1982). Geschrieben hat das Buch Hilary Hemingway, Leicesters Tochter, die Nichte des Onkels, mitgearbeitet hat ihr Mann Jeffry P. Lindsay, wobei sein Anteil nicht erkennbar wird.
Man kann das Buch als Liebeserklärung an Hilary Hemingways Tochter lesen, die im Buch immer T.L. Bear genannt wird. Diese Tochter ist sieben Jahre alt und, wenn sie in der Realität auch nur annähernd so war, wie sie scheint, ein ausgesprochenes Wunderkind. Sie ist unglaublich wissend, unglaublich einfühlsam, sie sagt mit fast dramaturgischer Raffinesse immer zum richtigen Zeitpunkt das Richtige, sie liefert traumwandlerisch die Stichworte für den Fortgang von Dialog und Handlung. Ehemann Jeff ist überwiegend der Mann der Mimik und der Gesten, er hebt mal die Augenbrauen, legt eine Hand auf eine Schulter, dient vor allem aber dazu, den Ablauf des Textes maßvoll zu unterbrechen und portionieren zu helfen.
Im Kern, den der Buchtitel genau beschreibt, geht es um Jagdgeschichten der beiden Brüder Hemingway. Hilary kennt sie nicht oder nur ansatzweise, sie wird aber mit ihnen konfrontiert, als sie aus dem Nachlass ihrer am 17. Januar 1997 verstorbenen Mutter eine Kassette in die Hände bekommt, die einen sich über beide Seiten erstreckenden Mitschnitt enthält, aufgenommen von einem Literaturprofessor während eines Besuches bei Leicester Hemingway. Zugegen waren neben dem Professor und Hemingways Bruder auch die Ehefrau, Hilarys Mutter, und ein anderer Autor namens Charlie Willeford, der in den USA vor allem mit Miami-Krimis bekannt geworden ist. Die Mutter und Willeford sind auf dem Band vor allem als Lachende und Trinkende aufgezeichnet, genauer: als Auslachende.
Denn das Tonband dokumentiert in selten reiner Weise ein uramerikanisches Klischee, das vom Egg-Head, vom Eierkopf, vom Professor, dem komischen August. Alle Anwesenden machen sich während des gesamten Gespräches nahezu permanent über diesen Literaturprofessor lustig, sie weisen ihn zurecht, sie fahren ihm über den Mund, sie beleidigen ihn auch und der Professor selbst ist so weit vom Selbstbewusstsein deutscher Lehrstuhlinhaber entfernt wie hierzulande dessen Aufwartefrau. Fast hündisch benimmt er sich, lässt sich demütigen, lässt sich vor den Kopf stoßen und gibt sich dennoch fast dankbar über jeden Knochen, der ihm hingeworfen wird. Denn, und das ist der Kern des Klischees, solche Professoren sind, im Gegensatz zu solchen Jägern und Fischern, wie es die Hemingways waren, kurz gesprochen keine richtigen Männer und Menschen. Das Buch transportiert diese Auffassung pur und unreflektiert.
Es ist faszinierend zu beobachten, wie die Autorin Hilary an keiner einzigen Stelle des 350 Seiten starken Werks, obwohl sie ständig kommentiert, reflektiert, eigene Überlegungen einstreut und sich vor allem ins Bild setzt als gute Mutter, gute Gattin, gute Tochter, auch nur auf die Idee kommt, den Umgang der ganzen Gesellschaft mit dem Gast, dem Professor, der nur Fragen hat, ihrerseits in Frage zu stellen. Dafür hat sie eine Idee gefunden, mit der sie sich als Erzählerin selbst wenigstens teilweise auch zur Heldin des Geschehens machen kann. Denn der eigene Vater Leicester Hemingway, der mit seinen Geschichten das Band klar dominiert, hat wie sein Bruder Ernest, wie ihr gemeinsamer Vater Clarence Hemingway, wie ihre gemeinsame Schwester Ursula und wie später Ernests Enkelin Margaux Hemingway, Selbstmord begangen. Als Tochter hat Hilary dies ihrem Vater übel genommen und nachgetragen, sie hat es ganz im Sinne der Männlichkeitsklischees der Familie als Feigheit oder Angst gedeutet. Und jetzt vermittelt ihr die Stimme des Vaters auf dem Band ein vollkommen anderes Bild.
Die extrem abenteuerlichen, kunsthandwerklich perfekt spannend erzählten Jagdgeschichten des Vaters und Bruders von Ernest zeigen einen mutigen, einen opferbereiten, einen vertrauenden und auch kenntnisreichen Mann, der immer im letzten Moment gerettet wurde von Ernest Hemingway, wenn es ans Leben zu gehen schien oder tatsächlich ging. Hilary Hemingway erzählt so von sich als Tochter, die den Selbstmord ihres Vaters, in Nebenwirkung auch den des Onkels, verstehen lernt und die ganz am Ende begreift, warum die Mutter die Tonbandkassette gerade ihr zukommen ließ aus dem Nachlass. Am Ende bleibt in der Schwebe, wie die Mutter zu dem Band kam, wer der Professor war, der sich verhöhnen und auslachen lassen musste, um an einige für ihn neue Informationen aus dem Leben eines amerikanischen Literatur-Nobelpreisträgers zu kommen. Von Ernest Hemingway wird ein Helden-Bild gezeichnet, ein Experten-Bild.
Das Plädoyer für etwas, das man sich angewöhnt hat, positives Denken zu nennen, ist in diesem Buch von einer fast entwaffnenden Naivität, manche der vermittelten Männerweisheiten erinnern an Westernfilm-Tiefsinn, wo ein Mann immer tut, was er tun muss und dann in den Sonnenuntergang reitet. Ernest Hemingways Jagdleidenschaft können letztlich wohl nur Jäger verstehen. Sie führte ihn bis dahin, Tiere schießen zu wollen, die heute auf Listen bedrohter Arten auftauchen. Er gefährdete sein eigenes und das Leben seines jüngeren Bruders und er war bereit, seines auch für diesen Bruder zu opfern. Auch gute Bücher sind in ihrer Art schulmäßig gebaut. Anders als diesem aber merkt man es ihnen nicht so aufdringlich an. Kurzweil bietet es auf alle Fälle und etliche gute Informationen zu Papa Hemingway und seinem Bruder Les, dem „Baron“, wie er ihn nannte, auch. Wenn man Hemingway heißt, sagt das Buch letztlich auch noch, dann kann man nicht nur Strauße und Komodo-Warane, Bären, Löwen und Königskobras als jagdbares Wild ansehen, sondern auch deutsche U-Boote und ihre heimlichen Auftank-Stationen in Mittelamerika.