Alexander Roda Roda 150

Immer, wenn Alexander Roda Roda einen runden Geburtstag zu feiern hatte, war Peter Panter zur Stelle, ließ eine Gratulation einrücken, wie man früher in Redaktionskreisen sagte, und dem Jubilar stand es frei, sich zu freuen. Vermutlich hat er sich sogar sehr gefreut. Peter Panter jedenfalls, der auch ein ausdauernder Nebenverdiener für die „Vossische Zeitung“ war, die die „Weltbühne“ um ein gutes Jahr überlebte, für die Panter ein noch viel ausdauernder Hauptverdiener war, verstand sich als Roda Rodas Freund. Daraus erwächst beispielsweise die Erklärung, dass er schon zum 50. Geburtstag gratulierte, was eher unüblich war (und noch heute ist), und dann wieder zum 60. Geburtstag. Was wegen der gewaltigen Entwicklung der durchschnittlichen Lebenserwartung in den Gegenden, die Roda Roda einst bewohnte, bereiste und auch immer wieder beschrieb, heute eine ins Unübliche hineinwachsende Gewohnheit zu werden droht. Bis hier sollte der aufmerksame Leser bemerkt haben, dass mein erstes Wort etwas dick aufträgt: Immer heißt immer und nicht automatisch zweimal. Denn öffentlich hat Peter Panter natürlich nur die beiden genannten Jubiläen genutzt. Vorher wäre es auch damals schon zu früh gewesen, nachher aber war der Gratulant bereits tot. Er hat aber als Kurt Tucholsky, der er bekanntlich eigentlich war, welches Pseudonym er auch immer benutzte, noch in seinen spätesten schriftlichen Hinterlassenschaften an Roda Roda gedacht.

Man kann es in seinen Briefen an Nuuna oder in den Q-Tagebüchern nachlesen. Und immer wenn er (Achtung: schon wieder ein immer im Verdacht, zu dick aufzutragen) sich zusammenhängend über Alexander Roda Roda äußerte, kam er auf dessen Sprachfertigkeiten zu sprechen. 1913 etwa las sich das so: „Dieser Mensch kann alle Sprachen: französisch, englisch, türkisch, serbisch und jüdisch, Kaufmannsdeutsch und Beamtendeutsch und wiener Hochdeutsch und Hopf und Paulsiecks Lehrbuchdeutsch.“ Die Suchmaschinen dieser Welt freuen sich auf Nachfragen zu Hopf und Paulsieck. 1914 dann so: „Wie er aber auch alle Stimmen und Stile nachahmen kann: den Juden und den Pedanten und den Kaufmann und den Oberst und die Dirne und alle!“ Und 1922 las es sich so: „Dieser Mann spricht alle Sprachen des Kontinents: deutsch, bureaukratisch, bayrisch, weanerisch, jiddisch, preußisch, durch die Nase, cocottisch … und jedesmal so unheimlich echt.“ Man könnte, vorschnelle Verallgemeinerung, also das Typische gegenwärtigen deutschen Denkens, Diskurses oder Narrativs (Zutreffendes bitte unterstreichen!), sagen, es sei in neun Jahren mehr Tucholsky in den Tucholsky gekommen. Am 29. März 1934, schon im Exil: „Es sind nicht die besten Bauern, die sich zum Bürgermeister wählen lassen – die haben nämlich keine Zeit dazu. „Man wähle von zwei Politikern das kleinere.“ (Roda)“ So prägnant verkürzen konnte Roda Roda und Panter zitierte nur.

Als ich vor Jahren (http://www.eckhard-ullrich.de/buecher-buecher/1916-alexander-roda-roda-der-mann-mit-der-roten-weste) die Autorin der bis heute einzigen Bildbiographie „Einen Handkuss der Gnädigsten. Roda Roda“ (1986, Wien/München, Herold) pingelig darauf hinwies, sie habe sich womöglich im Todesdatum von Roda Roda vergriffen, ahnte ich noch nicht, dass der eine Tag, um den sie daneben lag, fast nichts war gegen jenen Fehlgriff, den sich der DDR-Autor Lothar Creutz, inzwischen 93 Jahre alt, anno 1965 in der „Weltbühne“ leistete: er ließ den Mann mit der roten Weste am letzten Geburtstag eines gewissen Führers sterben: 20. April 1945, was das tatsächliche Leben Roda Rodas um exakt vier Monate verkürzte. Manch gutes Gespräch mit Friedrich Torberg hätte es so nicht mehr gegeben, auch den allerletzten Ausritt in Tariffville nicht, dem wir die gern erzählte Anekdote vom armseligen Klepper verdanken, den sich der Tabakpflanzer hatte andrehen lassen, bei dem Roda Roda seine amerikanischen Sommerfrischen zu genießen pflegte: „Mit dem Klepper ist nicht mehr viel los. Mir mir übrigens auch nicht...“. So geht eine der letzten Pointen dieses Lebens. Den Fehler von Creutz korrigierten weder die Autorin des Buches, in dem ich ihn fand, noch der Verlag, der dieses sonst durchaus verdienstvolle Buch 1983 herausbrachte. Es handelt sich um „Die Weltbühne. Porträt einer Zeitschrift“ von Ursula Madrasch-Groschopp.

Die Bildbiographie von Rotraut Hackermüller, die ich 2015 noch nicht kannte, las ich inzwischen und muss gestehen, dass ich sie von der ersten bis zur letzten Seite mit Genuss las. Das liegt an der Art, wie sie geschrieben ist: episodenreich, weil ausgezeichnet recherchiert. Sie lässt Bilder erstehen zusätzlich zu denen, die sie in ihr augenfreundlich gedrucktes größerformatiges Buch aufnahm. Dass ich inzwischen einen kurzen Gedankenaustausch mit ihr hatte, will ich der Vollständigkeit halber erwähnen: ihr war ihr Fehler peinlich und mir nichts vertrauter als eben solche Fehler. Eine falsche Zahl ist rasch getippt, kein noch so gutes Programm zeigt den Fehler an und dann hat ein Buch halt den großen Nachteil, frühestens in einer korrigierten Neuauflage reagieren zu können. Rotraut Hackermüllers Bildbiographie ist aber seit 1986 leider nicht wieder aufgelegt worden. Blättern wir ein wenig: Auf Seite 131 sehen wir Roda reitend an der Spitze der berittenen Kriegsberichterstatter. Das wäre eine Gaudi im heutigen Fernsehen, wo die Reporter gern 400 Kilometer von der Front entfernt sich in Schutzweste filmen lassen und Sätze sprechen, die ihre Wehrdienstverweigerer-Vergangenheit hörbar machen. Auf Seite 104 sitzt er zwischen seiner Frau Elsbeth und seinem Stiefsohn Harro Freiherr von Zeppelin. Elsbeth allein ziert die Seite 79, eine geborene von Leuckfeld, verheiratete Freifrau von Zeppelin eben, geboren am 6. Februar 1882.

Unterm Bild steht, beide hätten „eine vielbeneidete, überaus glückliche Ehe“ geführt. Die standesamtliche Trauung ist für den 19. Oktober 1907 beurkundet, der Geburt des Sohnes Marius Roderich Alexander am 3. März 1906 war dessen früher Tod schon am 31. August gefolgt. Am 25. Dezember 1909 wurde Tochter Dana geboren, Dana Adriana, genauer gesagt. Sie wurde später die Ehefrau von Ulrich Becher, der wiederum die Szenerie beschrieben hat, die er am sechzigsten Geburtstag seines künftigen Schwiegervaters erlebte im Berliner Tiergarten. Man drehte einen kleinen Film mit dem Jubilar: „… ein Herr mit mausgrauem Schnurrbart und gleichfarbenen Breeches, wobei sein unter mähniger Braue schillerndes Einglas und blitzblank polierter Zylinder keineswegs lächerlich auf mich wirkten … hoch überm Sand schwebte Alexander Roda Roda, populärer satirischer Schriftsteller, Vortragskünstler, Filmschauspieler, Ehrenmitglied der Deutschen Artistenloge und letzter Dichterkavalier des unsanft entschlafenen Kaiserkönigreichs Österreich-Ungarn.“ Das möglicherweise bei dieser Gelegenheit entstandene Foto zeigt Rotraut Hackermüller auf Seite 172 ihre Buches. Wenige Seiten vorher, Seite 163, mein Lieblingsfoto: Alexander Roda Roda in einer Badewanne sitzend, beim Rollenstudium, er trägt das unvermeidliche Monokel, es ist hinreichend viel Schaum auf der Wasseroberfläche, um zu verbergen, was verborgen bleiben soll.

Es dauerte Jahre, bis eine deutsche Öffentlichkeit eine vergleichbare Autorenpräsentation tolerierte und wieder war es ein Bestseller-Mann: Frank Schätzing, das Unterhosen-Model. Wie viele Herzen der jüngst ausgerufenen „Zeitenwende“ das Foto auf Seite 139 höher schlagen lässt, wage ich nicht zu vermuten: es trägt die Bildunterschrift: Erhängte Russen. Auf dem Foto selbst ist zu lesen: Feldgericht, Kowel am 1. Januar 1916. Doch ehe die Stimmung kippt, zurück zum Anfang der Bildbiographie. Dort hatte die Autorin die sehr gute Idee, erstens Roda Roda selbst zu Wort kommen zu lassen und dann einen fiktiven Brief an ihn, anlässlich seiner „Wiederauferstehung“, zu richten. Ich zitiere: „Mit meinesgleichen, den sogenannten Humoristen, pflegt sich die Literaturgeschichte nur ganz hinten, im Anhang zu befassen.“ Roda Roda schrieb das 1918, und weiter: „Witz ist literaturfähig erst, wenn er erkaltet und nur mehr verständlich ist in Begleitung gelehrter Fußnoten.“ Wie genau kannte er seine Situation. Und hat letztlich noch heftig untertrieben. So fehlt in der „Geschichte des Lustspiels“ von Helmut Prang sein Name überhaupt. Volker Klotz kennt in „Bürgerliches Lachtheater“ den Namen ebenfalls nicht. Und so ist es schließlich nur logisch, dass in „Kleine literarische Formen in Einzeldarstellungen“ (Reclam Stuttgart) der Beitrag von Sonja Hilzinger zur Anekdote ebenfalls ohne den Namen Alexander Roda Roda auskommt.

Rotraut Hackermüller sieht das, ohne kritische Seitenhiebe auszuteilen, natürlich ähnlich kritisch: „Humor ist eine im Aussterben begriffene Weltanschauung, die verdächtigt wird, das Leben nicht ernst zu nehmen.“ Im deutschen Sprachraum führt das unter anderem dazu, dass die Klassiker der Österreicher, die eben Humor hatten und auch wussten, was auf Bühnen geht und was nicht, halt bestenfalls Klassiker zweiter Ordnung sein dürfen, im Rahmen der Völkerverständigung zwischen selbständigen „Reichsteilen“: Nestroy vor allem und auch Raimund und ganze Reihen von Feuilletonisten, deren jeder mehr gelesen wurde und wird als all diese grässlichen Neutöner, die vor allem arbeiten, um Sekundärliteratur zu erzeugen und Stoff für weitere humorlosen Geschichten der Literatur. „Wenn sich der tatenlose Nörgler, der sich in der Rolle des verhinderten Weltverbesserers besonders gut gefällt, ein Beispiel an Ihnen, dem herzerfrischenden Lebenskünstler nimmt, besteht wieder Hoffnung auf eine versöhnlichere Zukunft.“ Mir zum Beispiel macht das Foto von Opa Roda Roda mit Enkel Martin auf Seite 247 so viel Vergnügen, dass ich zwar nicht gleich einer versöhnlicheren Zukunft entgegen schaue, aber doch wenigstens meine beiden Augen offen halte. Vier Seiten weiter vorn sehe ich den Mann mit zwei Kühen: in einem Hemd, das wir heute als Kuschel-Fleece angeboten bekämen wahrscheinlich, er sieht glücklich aus und höchst vergnügt.

Es mag heute lehrreich sein, knapp sechzig Jahre altes DDR-Denken vor die Augen zu bekommen. Der genannte Lothar Creutz schrieb damals, das kulturvernichtende 11. Plenum des ZK der SED Ende 1965 hatte noch nicht zugeschlagen, in der DDR-Weltbühne, die sich wohl in die Tradition der „alten“ Weltbühne stellte, de facto aber dort eher selten tatsächlich stand: „Roda Roda trug ein Monokel und eine rote Weste. Die Weste war allerdings das einzig Rote an ihm. Er war ein Spötter, gewiss; und sein Spott war elegant und treffend. Ich wage aber nicht zu sagen, er sei ein Gesellschaftskritiker gewesen, … der grundgescheite Dichter konnte der Dummheit nicht zürnen. Er konnte mit einem Satz, mit einer Dialektfarbe einen Menschen, eine Kaste entlarven, aber er tat es schmerzlos.“ Sollte dies bedeuten, Entlarvung habe schmerzhaft zu sein? Sollte dies bedeuten, Dummheit habe man mit Zorn zu begegnen, wo sie doch nicht einmal ein Straftatbestand ist? Und welches Wagnis hätte darin gelegen, den Westen-Mann einen Gesellschaftskritiker zu nennen? „Die Wertschätzung der künstlerischen Leistung Roda Rodas ist bis heute Sache des Lesers geblieben, der nunmehr seit über einem halben Jahrhundert sein Vergnügen an Roda Rodas Büchern bekundet.“ So resümierte es Joachim Schreck, Herausgeber und Nachwort-Autor der DDR-Sammlung „Roda Rodes Cicerone“, die im Berliner Aufbau-Verlag erschien, ebenfalls 1965.

Kaum weniger lehrreich mag heute sein, was Schwiegersohn Ulrich Becher (2. Januar 1910 – 15. April 1990) seinem Schwiegervater nachschrieb: „In seinem Berliner Heim traf man die seltsamste Gesellschaft an: arabische Intellektuelle nebst Zionistenführern, Grotesktänzerinnen und Universitätsprofessoren, österreichische Sozialistenführer und Habsburgnarren, baltische Grafen und bulgarische Kommunisten … und Joseph Roth, der seine Gefährtin, die ehemalige Lieblingsfrau eines Hottentottenkönigs, und seine beiden Stiefsöhne, zwei kleine Neger, die alsbald, mit Uniformstücken aus Rodas Jugendzeit angetan, durch die Wohnung hetzten.“ Das darf man sich in der Innsbrucker Straße 44 angesiedelt vorstellen, doch welch eine Wortwahl (Nein, ich errege mich keineswegs, allein schon, weil ich die Geschichte von Joseph Roth und Andrea Manga Bell ziemlich gut kenne) selbst bei einem ziemlich linken Intellektuellen! Dass ihm das Siedlungsgebiet der Hottentotten, die es tatsächlich gab, nicht vor Augen stand, als er einfach nur ein Milieu voller Gegensätze beschreiben wollte, sei ihm verziehen. Nicht jeder hatte gute Geographie-Stunden. Wichtiger ist, dass hier etwas eigentlich Selbstverständliches als anstarrenswertes Wunder fixiert ist. Was wäre denn die unüberwindliche Schranke zwischen einem Universitätsprofessor und einer Grotesktänzerin? Vielleicht tritt sie in seinen Vorlesungen zu postmoderner Tanzchoreographie auf?

Dass Hans Weigel (29. Mai 1908 – 12. August 1991), sonst höchst ehren- wie lesenswerter Autor und Kritiker aus Österreich, kein Freund Roda Rodas war, erhellt allein aus der Tatsache, dass er ihm ohne mit der Wimper zu zucken den Geburtsnamen Rosenbaum verlieh, obwohl der doch stets Rosenfeld war und bleiben wird (siehe: „ Nach wie vor Wörter. Literarische Zustimmungen, Ablehnungen, Irrtümer“; Verlag Styria Graz Wien Köln 1985). Dergleichen geht freilich immer zu Lasten des Verlagslektorates, falls es das gab. Weigel erzählt auch die gern erzählte Anekdote, wie sich Roda Roda angeblich an die Spitze des Lexikons brachte: indem er sich das Pseudonym Aaba Aaba zulegte, was alphabetisch nicht zu toppen ist. Nun haben Lexika allerdings die Angewohnheit, nicht allweil neu aufgelegt zu werden. Anders ist es dagegen mit Kürschners Literaturkalender. Meine Suche dort war erfolgreich, wenngleich in einem späteren Jahrgang, als ihn Kurt Tucholsky vor Augen hatte, als er schrieb: „Einst wurde Roda Roda von Freunden herausgefordert: er könnte ja vieles erreichen, aber eines nicht: Nie, niemals würde er den ersten Platz im Kürschner einnehmen. Das Jahr ging zu Ende, der neue Kürschner erschien, und am Anfang stand: Aaba, siehe Roda Roda. (Wobei besonders schön das fürsorgliche Doppel-A ist: damit auch ja nichts passieren kann.) Aaba Aaba aber steht heute noch an erster Stelle in „Kürschners Literaturkalender“.

Der erscheint seit 1879, seit 1883 unter diesem Titel und derzeit in zwei Bänden alle zwei Jahre. Ich prüfte den Jahrgang 1930, der bis Spalte 306 Verlage, Zeitschriften, Vereine, Verbände bringt, dann erst als „Zweite Abteilung“ das „Lexikon deutscher Schriftsteller und Schriftstellerinnen“ und dort beginnt es tatsächlich mit dem genannten: Aaba, s. Roda Roda, A. Ihm folgt Roland Aarhorst, das ist ebenfalls ein Pseudonym und zwar für einen Alfred Neubner, von dem 1907 im Berliner Verlag Elsner ein 197 Seiten umfassendes Buch mit dem Titel „Missachtete Shakespeare-Dramen. Eine literarhistorisch-kritische Untersuchung“ erschienen ist, mehr fand ich leider nicht zu ihm. Kurt Tucholskys freundlichen Zugriffen auf Roda Roda weiter zu folgen, wäre reizvoll, doch hebe ich mir das auf, um vor allem noch ein Ende zu dokumentieren: Der allerletzte Beitrag in der alten „Weltbühne“ ist die Anekdote „Die schönste Zeit“, gedruckt am 31. Januar 1933, dem Tag nach der „Machtergreifung“. Die Pointe dort lautet, sie spricht ein Rabbi zu einem Dilettanten, der sich mit jüdischer Geschichte befasst, auf dessen Frage, ob es denn den Juden auch einmal gut ging: „Das will ich Ihnen sagen, Herr Roth: unter Franz Joseph.“ Von hoher Warte herab ließe sich das als mehr oder minder beschönigend abqualifizieren. Die erzählende Literatur vor allem Joseph Roths, der natürlich nicht gemeint ist in der genannten Anekdote, belegt ohne Aufhebens Roda Rodas These.

Um auch noch einen echten „Spiegel-Bestseller“ zu zitieren, was ich selten tue, um nicht zu sagen: nie, zitiere ich Uwe Wittstock mit einer Anekdote: „Der nationalsozialistische Kampfbund für deutsche Kultur verhindert eine Lesung des Satirikers und Kabarettisten Alexander Roda Roda in Königsberg. Roda Roda ist vom Goethebund der Stadt eingeladen worden, doch der Kampfbund protestiert gegen seinen Auftritt, weil Roda Roda Jude ist und angeblich „zum Verfall der deutschen Kultur“ beiträgt. Er gehört zu den erfolgreichsten komischen Autoren der vergangenen Jahre. Als ehemaliger österreichischer Offizier macht er sich in seinen kurzen Texten mit Vorliebe über Borniertheiten des Militärs lustig. Der Goethebund hat versucht, Roda Roda gegen die Angriffe mit den Argumenten zu verteidigen, er sei katholisch getauft und ein letztlich unpolitischer Autor. Doch nachdem das Königsberger Polizeipräsidium dem Goethebund nahelegte, die Veranstaltung von sich aus zurückzuziehen, da mit Störungen zu rechnen sei, wurde der Auftritt abgesagt. Mit Störungen zu drohen erweist sich mehr und mehr als vorzügliches Mittel für die Nazis, politische Gegner aus der Öffentlichkeit zu verdrängen.“ Das steht im schon mit Kritiker-Jubel auf dem Schutzumschlag gedruckten Buch „Februar 33. Der Winter der Literatur“; C. H. Beck München 2021. Als Bestseller ist es eher für Leser ohne oder mit wenig Vorkenntnissen angelegt, man muss es eben hinnehmen.

So kehre ich zurück zu Rotraut Hackermüller. Sie ist nicht in den von ihr recherchierten Fakten ertrunken, sie hat ihren Faden bis zum Ende gehalten. Ob es eine roter war, vielleicht sogar aus einer roten Weste? Sie hat mich mit der Nase darauf gestoßen, dass „Die Kummerziege“ eigentlich von Marie (Mi) Roda Roda stammt, von ihrem Bruder nur redigiert wurde (Schönes Foto der drei Schwestern auf Seite 43). Sie hat aus „Russenjagd“ zitiert: „Die Russen waren unsere Meister; sie lehrten uns, dass man sich und seinem Pferd auch im Feld Quartier, Ruhe, Nahrung, Wärme und Behagen gönnen muss – vielleicht auf Kosten des Landes, aber zum Nutzen der Armee.“ Sie übersah auf Seite 170, wie ein Postminister in einen Postmeister übergeht. Sie degradierte auf Seite 179 Georg Bernhard, bei dem nicht ein, sondern der holländische Gesandte zu Gast war. Mehrere gibt es in einem Land nicht. Schmerzlich berührte mich Roda Rodas angebliches Lieblingsbuch, das er in eine Buchreihe aufnehmen wollte: Dostojewskis „Das Gut Samoschtschikowo“. Der schrieb wohl „Das Gut Stepantschikowo“, das andere leider nicht. Auch hier eher eine Sache des Lektorats als die der Autorin. Die hat, zum schönen Schluss, aus der Humoreske „Mein letzter Wille“ zitiert: „Schlimmstenfalls lege man mich zwischen meine literarischen Freunde Franz Blei und Karl Kraus. … Auch dann muss mein Sarg eine Vorrichtung erhalten zum Verriegeln von innen.“ Herrlich!


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