Klopstock 300 mal eben

Klopstock, wenn irgendetwas zu dem geworden ist, was man früher Allgemeingut nannte, obwohl es nie Allgemeingut war, war der, den alle lobten und niemand las. So jedenfalls einst der junge Lessing für alle, die stets etwas zur Hand haben wollten, wenn es um diesen Klopstock ging. Ihm sind viele gefolgt: das Loben aller geht stets leichter über die Bühne als das Lesen der Gelobten. Es wäre zu scheiden unter denen, die loben: in die Vorredner und die Nachredner. Es gibt immer auch die weißen Raben, die erst loben, wenn sie gelesen haben. Klopstock war ein Dichter der Dichter wie eine Mehrzahl aller Dichter, denen das Herz höher schlägt, wenn die verehrten Kolleginnen und Kollegen das Handbuch der Laudatoren aufschlagen, um zu schauen, welche Art Lobeshymnen noch nie oder nur selten gesungen wurden. Ganze Vereine des gegenseitigen Lobes sind allein im vereinsrechtlich klar überorganisierten Deutschland unter verschiedensten Segeln gegründet worden, um dem Mäntelchen einen Anschein zu geben oder dem Vorschein einen Untergrund. A lobt B und B lobt zurück, wenn auch nicht immer um 5.45 Uhr, von C unterstützt, der auf diesem Wege endlich auch kontinuierlich zu Lob kommen möchte. Klopstock stiftete große Traditionen.

Die DDR unseligen Andenkens: für Westdeutsche sicherheitshalber: der Unrechtsstaat, hatte, ohne eigenes Verdienst selbstredend, eine materielle Basis für ihr wie auch immer sich entfaltendes Klopstock-Verhältnis. Er erblickte das Licht der kleinststaatlichen Feudalwelt in Quedlinburg und er verbrachte eine nennenswerte Zeit in Langensalza, bevor es zu Bad Langensalza wurde. Meine vorjährigen Zeilen unter der Überschrift „Zu Klopstock nach Langensalza“ sind leicht nachlesbar, siehe LOKAL-SPLITTER, es ist sehr wahrscheinlich, dass „Zu Klopstock nach Quedlinburg“ folgt, wenn mein Aufenthalt dort, anlässlich des großen Jubiläums heute, beendet ist. Hier gebe ich zuerst dem Werner Liersch das Wort, der sich in seinem literarischen Reiseführer „Dichters Ort“ fast vollständig hinter Franz Mehring versteckte, der in der DDR immer dann den maßgebenden Ersatz-Klassiker spielen durfte, wenn die Haupt-Klassiker Marx, Engels, Lenin und (wahlweise zeitweise) Stalin zum Gegenstand und/oder Mann nichts Zitierfähiges als Basiswissen hinterlassen hatten. Also greift Liersch auf einen Mehring aus dem Jahr 1903 zurück, gedruckt in „Die Neue Zeit“. Klopstock in der DDR, so deshalb die These, ist zuerst der Klopstock durch die Mehring-Brille.

Bei Werner Liersch steht also: „In der Stärke seines bürgerlichen Klassenbewusstseins stand Klopstock unter unseren Klassikern höchstens hinter Lessing und Schiller zurück, jedoch die Art seiner Begabung, und die Umstände worin er lebte, erschwerten ihm an seinem Teile die Lösung der historischen Aufgabe, vor die sich unsere Klassiker gestellt sahen. Klopstock war ausschließlich Lyriker; jede Spur von dramatischer Begabung fehlte ihm gänzlich. Er war der älteste und erste unserer Klassiker; er musste sich bis auf die Sprache und den Vers alles aus Eigenem schaffen und war doch in die ganze Armseligkeit des damaligen deutschen Lebens eingepfercht.“ 1739 verließ Klopstock Quedlinburg gen Schulpforte, zu DDR-Zeiten ein Ortsteil von Bad Kösen im Kreis Naumburg, wo er bis 1745 sich die Gymnasialbildung angedeihen ließ wie kurz vor ihm Johann Elias Schlegel und etwas nach ihm Adolf Müllner. Den Schüler Friedrich Nietzsche unterschlägt Liersch brav und tapfer. Noch die Lebensstationen Jena und Leipzig rücken vor das Intermezzo in Langensalza. Während Liersch Klopstock in Jena vergessen hat, hat ihn Detlef Ignasiak natürlich in seinem „Das literarische Jena“, weil jener ebenda die ersten drei Messias-Gesänge niederschrieb.

Für Leipzig ist Liersch dann wieder auf der Höhe der Klopstock-Welt, jetzt erwähnt er auch das in Jena begonnene Theologiestudium. Ein arbeitendes Lektorat hätte vielleicht aufgemerkt, doch wir wissen nicht, wer in Rudolstadt gerade Wochenenddienst hatte, als das Manuskript in der zweiten, überarbeiteten Auflage über die Tische des Hauses Greifenverlag rutschte. Als die DDR noch mit dem Schock zu leben hatte, dass Erich Honecker die Gelegenheit verstreichen ließ, anlässlich des XI. Parteitages der SED seine Posten zu räumen und seine Nachfolger ein wenig Gorbatschow spielen zu lassen, erschien im Heidelberger Universitätsverlag Carl Winter ein Buch mit dem Titel „Freiheit und Geschichte“, Untertitel „F. G. Klopstock als historischer Dichter und Denker“. Darin ein Kapitelchen, eigentlich nur ein Kapitel-Teilchen mit der Überschrift „Zum Klopstockbild in der DDR“. Darin die erstaunliche Erkenntnis, dass die DDR-Klopstock-Forschung nach 1945 in sehr wesentlichen Zügen der westdeutschen überlegen war, Details sollen hier nicht referiert werden. Der Autor Harro Zimmermann, der eben erst am 2. Juni seinen 75. Geburtstag feiern konnte, stand jedenfalls sehr gut in seinem Stoff und sah deshalb natürlich auch die Grenzen des DDR-Horizonts.

„Die westdeutsche Germanistik näherte sich ihrem Gegenstand, indem sie vornehmlich seine ästhetischen, sprachlichen und religiösen Komponenten herausarbeitete. Die Forschung der DDR hatte von vornherein die sozialhistorischen und politischen Dimensionen des Klopstockschen Werkes im Auge. Die kulturpolitische Zielsetzung der DDR-Germanistik, das nationale Erbe der Deutschen für den Aufbau des „realen Sozialismus“ fruchtbar zu machen und ihm damit eine angemessene Heimstatt zu geben, konnte nicht in der Tradition bürgerlicher Literaturwissenschaft begründet werden.“ Seit Gervinus, so Zimmermann, sei nicht mehr so auf Klopstock geschaut worden wie in der DDR. An Namen Beteiligter führt Zimmermann auf: Heinz Stolpe, Joachim Müller, Paul Reimann und Hans-Jürgen Geerdts, Werner Krauss, Alfred Molzan, Hans-Georg Werner. Wer den Hinweis verkraftet, dem sei gesagt: Zimmermann betrachtet sie alle vorurteilsfrei, sondert begründet Leistung von Fehlleistung. Einige Hefte der „Weimarer Beiträge“ aus dem Besitz von Alfred Molzan sind mir antiquarisch in die Hände gefallen. 1974 er schrieb als Beiträger der Klopstock-Konferenz über die Revolutionsoden Klopstocks und seine Tradition in der DDR-Lyrik.

Als Teilnehmer der wissenschaftlichen Konferenz in Halle ist der Lyriker Heinz Czechowski nicht zwingend zu erwarten. Zumal er das Versprechen seines Titels „Über Klopstocks Modernität“ gar nicht hält. Dafür aber formuliert er provokant, wenngleich innerhalb der damaligen DDR durchaus im Trend: „Von Klopstock zu lernen heißt ja nicht, diesem neben Hölderlin größten Lyriker des 18. Jahrhunderts unkritisch gegenüber zu stehen.“ So bügelte man Goethe beiseite, gegen den zu keilen damals eine Ersatzhandlung war. Man musste ihn nur als DDR-Staatsdichter sehen, dann traf man in ihm die DDR, war die etwas simple Logik kritischer Zeitgeister. Ja, auch Dichter sind nicht vor simpler Logik gefeit, das ist kein Privileg von Berufspolitikern. 1975 erschien dann die gediegene Auswahl „An Freund und Feind. Ausgewählte Oden“ als Band 283 der legendären Insel-Bücherei mit Czechowski als Nachwortautor. Dort schloss er seine Überlegungen so: „Klopstocks Nachruhm ist im Begriff, vieles von seinem alten, verlorengegangenen Glanz wiederzugewinnen.“ Und wieder sind Dichter die Gewährsmänner für Ruhm: Johannes Bobrowski, Karl Mickel und Volker Braun. Die DDR ist, könnte man meinen, in dieser Hinsicht traditioneller, als ihre Vertreter es glaubten.

Seine Bemerkungen zur Tradition Klopstocks im Schaffen Johannes Bobrowskis nannte Roland Rittig „Der „Zuchtmeister“, das war ebenfalls 1975, der 150. Geburtstag Klopstocks wirkte überall lange nach, weil eben landestypisch nicht etwa gleich gedruckt wurde, was fertig war. Letztlich aber, das sagt der Rückblick heute, war der Glanz dann doch nicht wiederzugewinnen, der fromme Wunsch hat wenig geholfen. Noch einmal Harro Zimmermann: „Obwohl in der DDR-Forschung die fortschrittlich-bürgerliche Substanz der sozialliterarischen und politischen Überzeugungen Klopstocks des öfteren deutlich herausgearbeitet worden sind, hat man für seine geschichtlich-patriotischen Vorstellungen bislang kein wissenschaftlich befriedigendes Verständnis entwickelt.“ Mangels Lebensdauer der DDR ist dazu auch nichts mehr hinzugekommen. Dass im heutigen geistigen Gesamtklima Deutschlands irgendjemand gesteigertes Interesse an alten Patriotismen entfalten könnte, der nicht dem vermeintlichen oder tatsächlichen rechten Spektrum angehört, darf als unwahrscheinlich angesehen werden, heute krähen Studenten schon direkt im Vorlesungssaal neben dem Mikrofon ihre Parolen. Die Zeit für Bardiets gab es nie, sie kommt auch nicht wieder.

Karl-Heinz Hahn, der die einbändige Klopstockausgabe in der „Bibliothek Deutscher Klassiker“ des Aufbau-Verlages Berlin und Weimar einleitete, zitierte den Dichter mit diesen auf seine geistlichen Lieder bezogenen Worten: „Man soll, wo nicht dem gemeinen Haufen, doch den meisten verständlich sein und doch der Religion würdig bleiben.“ Das passte wohl ins Beuteschema von DDR-Literaturhistorikern, die immer nach Volksverbundenheit und Parteilichkeit zu fahnden hatten und jede bezügliche Belegstelle ins Erbe-Kästchen steckten: wohlverwahrt und allzeit abrufbereit. So wurde die Revolutionsbegeisterung Klopstocks immer wieder berufen, belegt und dokumentiert, die spätere Abkehr davon gern übergangen oder klein an den Rand gedrückt. Das Grundverfahren hat die DDR überlebt, auch wenn die, die ihm folgen, das so ungern hören, dass sie regelmäßig ihre Kinderstube vergessen, wenn eine Rede darauf kommt. Die Modernität Klopstocks, von der Heinz Czechowski in Halle vor fünfzig Jahren wortreich schwieg, ist auf unerwarteten Feldern schlagend gegeben. Bleibt mein Hinweis auf ein Gedicht von Annerose Kirchner mit dem Titel „Klopstock in Langensalza“. Schon deshalb allein, weil wir in Abständen stundenlang miteinander telefonieren.


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