Ödön von Horvath: Italienische Nacht

 

Wer am ersten Juni über Ödön von Horvath schreibt, kann gar nicht anders, als dessen ersten Juni wenigstens kurz zu erwähnen. Es war der des Jahres 1938, Horvath auf Durchreise in Paris, und weil er aus diffusen Ängsten heraus lieber laufen wollte, statt sich fahren zu lassen, der Weg auch gar nicht weit, lief er und der Blitz, der in die alte Kastanie fuhr, wurde sein Schicksalsblitz. Carl Zuckmayer überliefert in seinen Erinnerungen, dass die Kastanie eine Ulme war, sicher ist: Ein herabstürzender Ast fiel Horvath auf den Hinterkopf, zu retten war nichts mehr. Sein Biograph Dieter Hildebrandt (nicht zu verwechseln mit Dieter Hildebrandt) schrieb trocken darüber: „.. es war, als ob das Schicksal einen großen Werbe-Coup gelandet hätte...“. Kaum auszudenken, was dieser produktive Mann aus Fiume vielleicht noch alles hätte schreiben können, wenn ihm nicht die himmlische Werbeagentur im wahrsten Sinne dazwischen gefunkt hätte.

Geblieben ist dennoch viel. Zum Beispiel die „Italienische Nacht“. Ich habe mir nicht die Mühe gemacht, intensiv nach neueren Inszenierungen zu schauen, die „Geschichten aus dem Wiener Wald“ und „Kasimir und Karoline“ werden auf alle Fälle deutlich häufiger gespielt. Mein Merkzettel (die to-do-Liste, für jüngere Leser) enthält für die kommende Spielzeit einmal die „Geschichten“ im Dresdner Staatsschauspiel, die ich unbedingt sehen möchte (Premiere 23. November) und dann in Coburg „Zur schönen Aussicht“, dort auf den Vorabend des Todestages platziert. Im Weimarer e-Werk machten sie das seinerzeit sehr gut (siehe THEATER-GÄNGE, 30. September 2011), weshalb ich auf Coburg doppelt neugierig bin. Vielleicht fährt uns die „Italienische Nacht“ ja doch noch eher und schmerzhafter unter die Haut und wir erfinden genau deshalb gern Gründe, ihr auszuweichen.

Wer sich das Vergnügen macht, als Suchbegriff zum Googeln „Italienische Nacht“ einzugeben, der findet, möglicherweise weniger überrascht als ich, geradezu massenhaft Veranstaltungen des Titels, wie er dem Dramatiker Horvath 1930 zum Gegenstand wurde. Ähnlich wie die Pariser Kastanie, die vielleicht eine Ulme war, schreibt sich unverdrossen fort, dass hinter dem Stück die so genannte Murnauer Saalschlacht steht, deren Augen- und Ohrenzeuge Horvath wurde in der Gaststätte Kirchmeier am 1. Februar 1931, was ihn dann auch vor Gericht führte, um als Zeuge auszusagen. Doch spricht allein die kurze Spanne zwischen Ereignis und Uraufführung am Berliner Schiffbauerdamm dagegen, so schnell sind selbst fixeste Autoren nicht und dann benötigen sie ja immer noch einen ebenso fixen Inszenator. Immerhin war es jedenfalls die „Italienische Nacht“, die den Theaterdirektor Ernst Josef Aufricht nach nächtlicher Lektüre dazu brachte, schon am nächsten Tag einen Vertrag mit Horvath abzuschließen.

Nach der Berliner Aufführung, in der Oskar Sima den Stadtrat spielte und Bertha Drews die Anna, gab es auch eine in Wien, wieder mit Sima und der Kritiker Johannes Ilg schrieb in der Wiener Allgemeinen Zeitung vom 7. Juli 1931 so verständnisarm über das Stück, dass man es heute kaum glauben möchte. Abgesehen davon, dass er alles als deutsches und keinesfalls auch österreichisches Problem abtat, gerade der politische Reichtum des „Volksstücks in sieben Bildern“ frappiert heute und sollte damals unbemerkt geblieben sein? Es ist jedoch Vorsicht geboten bei solch raschen Aburteilungen. Denn mit dem heutigen zeitlichen Abstand, mit der Kenntnis des gesamten späteren Geschichtsverlaufes, auch mit dem Verschwinden der gröbsten ideologischen Scheuklappen auf allen in Frage kommenden Seiten, deutet sich der Text tatsächlich anders und vielleicht sogar leichter. Heute wäre ein Reduzieren der Aktualität dieser „Italienischen Nacht“ auf ihre warnende Substanz bezüglich des Heraufkommens von Faschismus, bezüglich der „Gefahr von rechts“ allzu billige Verknappung.

Das Stück zeigt mindestens im gleichen Maße die interne Problematik dessen, was als „linkes Spektrum“ nur mäßig bezeichnet wäre. Im Kern führt Horvath Sozialdemokratie vor und zwar so, wie sie unter dem Druck des Sozialistengesetzes in die ebenso rettende, das Überleben sichernde, wie verbürgerlichende spießige Vereinsmeierei gerutscht war bei Verlust ihrer Ursubstanz. Im Stück heißt Schutzbund, was im Leben Reichsbanner hieß und freilich mehr war als pure Sozialdemokratie. Der Stadtrat ist Vereinsvorsitzender und Vereinsleben ist geselliges Leben und gegen die tümelnde Teutomanie setzt man tapfer die demonstrativ welsche Kultur, eben Italien und Frankreich, wobei die Formen, in die man es gießt, dann doch wieder mehr nach Gartensparte und Brauchtumspflege im Trachtenklub riechen.

Die Demokratie ist nicht in Gefahr, glaubt der Stadtrat am Anfang und am Ende glaubt er es wieder, ignorierend, wie haarscharf er an der ganz persönlichen Katastrophe vorbeirutschte. Ausgerechnet die Männer um Martin retten die Situation und das auch nur, weil die Faschisten, die die „Italienische Nacht“ zu sprengen trachteten, trotz Überzahl nicht sonderlich mutig sind und lieber ergreifen, was man damals noch Hasenpanier nennen durfte, ohne Ratlosigkeit angesichts eines unbekannten Wortes zu erzeugen. Wie Horvath diesen Martin zeichnet und beschreibt, das ist für mich heute das fast aufregend Brisante. Man muss freilich ein wenig davon wissen, dass es eine Zeit gab, da links von der SPD, um es nicht zu direkt antikommunistisch zu formulieren, der Hauptfeind eher im Sozialfaschismus, so hieß das im Gefolge einer stalinschen Doktrin, gesehen wurde. Diese Gruppierung neigt bei Horvath dazu, und das ist wohl fast zu viel Realismus für heutige Kulturbeflissenheiten, sich zu freuen, wenn die verspießerten Schutzbündler von den Faschisten ordentlich verprügelt werden.

Gleich mehrfach weist Horvath auf die finstere Humorlosigkeit Martins hin, der beschrieben wird als für höhere Aufgaben bereit. Der Mann aus Magdeburg, den auch die ganz links nicht ausgestorbene bajuwarische Preußenfeindlichkeit am liebsten von hinten sehen möchte, steht für mich eher für den Zentralismus dieser Politikrichtung als nur profan für die tatsächliche Zentrale des Schutzbundes im wirklichen Leben. Eine direkte Aktion wie das Beschmieren eines Monarchendenkmals wirkt als Provokation und bewirkt letztlich das Gegenteil des Gewollten, falls da überhaupt Gedanken im Spiel waren. Vertraut wirkt die Argumentation, dass man, wie der Igel in der betreffenden DDR-Agitation unseligen Angedenkens, friedlich, aber bewaffnet zu sein habe. Auf unangenehme Weise vertraut auch die Selbstverständlichkeit, mit der dieser Martin Anna als Lockspitzel einsetzt, die unter Einsatz purer Weiblichkeit Informationen aus den Faschisten herauskitzeln soll. Anna hat dabei kein gutes Gefühl, was sie dennoch leitet, muss man Parteidisziplin der schlimmeren Sorte nennen. Martin aber argumentiert in der Konsequenz menschenverachtend.

Das erstreckt sich auch auf seinen Umgang mit Karl, der als Musiker eine Art Künstlernatur ist. Der sich ebenfalls gern der Disziplin unterstellen würde, aber letztlich nicht aus seiner Haut kann. Wie der Führer Martin, er nennt sich selbst so, mit diesem Karl umgeht, wie herablassend, voller demonstrativem proletarischen Hochmut, das ist eine Detailstudie, die an Hellsicht schwer zu übertreffen ist. Man kennt die weiteren Entwicklungen. Man weiß, wie das Zeitalter der selbstverschuldeten in eines der von außen verordneten Unmündigkeit revolutionär gewandelt wurde. Waren in sozialistischen Zeiten Künstler nicht immer, und dann auch lediglich im günstigen Fall, leicht unzurechnungsfähige Figuren, die an Parteihand durchs Leben geführt werden mussten oder in konspirativen Wohnungen zu vertraulichen Aussagen über ihresgleichen?

Die „Italienische Nacht“ aus dem Jahr 1931 provoziert eben nicht nur zu Fragen über die Naivität sozialdemokratischer Republikgläubigkeit, über die politische Prinzipienlosigkeit privater Kneipenwirte, die überleben wollen. Sie führt, gerade hier Volksstück im exemplarischen Horvath-Sinn, eben auch eine Leni vor, die Karoline heißen könnte oder Marianne, die wenig will vom Leben, aber unbedingt mehr als nichts. Die mit einer Lebensklugheit begabt ist, die, nicht einmal besonders streng genommen, das prinzipielle Phrasengebräu der Politiker aussticht und, im direkten Dialog, herrlich alt aussehen lässt. Wie Karl Leni bequatscht, bis sie fast gehen will, das ist Studie. Ist dieser kurze Dialog nicht herrlich: Karl: „Man kann als Mann vieles zurückziehen, aber sein Ehrenwort niemals.“ Leni: „Ein richtiger Mann kann alles.“ Leni ist es auch, die den ausschließlich politisch redenden Martin mit einem vergleicht, der nur sein Motorrad im Sinn hat. Mehr muss dazu tatsächlich nie gesagt werden.

Und dann gibt es da noch die von ihrem Gatten, dem Stadtrat, öffentlich gedemütigte Adele. Sie ist, als die Faschisten tatsächlich anrücken, als sie eben handgreiflich werden wollen, als der Herr Stadtrat gerade seine Feigheit schriftlich zu dokumentieren bereit ist, die einzige, die dem in einer alten Uniform steckenden Major verbal in die Parade fährt. Vorher sagt sie noch, sie kenne keine Ideale, für die es sich zu sterben lohne. Und: „Glaubens mir, daß ein Mann, der wo keine solchen öffentlichen Ideale hat, viel netter zu seiner Familie ist.“ Diese Adele brüllt mit all ihrer schwachen Kraft den Faschistenmajor an: „Halten Sie Ihr Maul! Und ziehen Sie sich mal das Zeug da aus, der Krieg ist doch endlich vorbei, Sie Hanswurscht! Verzichtens lieber auf Ihre Pension zugunsten der Kriegskrüppel und arbeitens mal was Anständiges, anstatt arme Menschen in ihren Gartenunterhaltungen zu stören, Sie ganz gewöhnlicher Schweinehund!“

Der prinzipienlose Wirt, der sich auf seine Frau beruft, die den Umsatz im Sinn hat und nicht die hohe Politik, findet dank Horvath ein Bild für die Entwicklung der Zeiten ausgerechnet im Abort seines Gartenlokals: „Siehst, früher da waren nur so erotische Sprüch an der Wand dringestanden, hernach im Krieg lauter patriotische und jetzt lauter politische – glaubs mir: solangs nicht wieder erotisch werden, solang wird das deutsche Volk nicht wieder gesunden ...“. Er sieht in den Reaktionären die kulanteren Gäste, warnt aber wenigstens den Schutzbund bei dessen italienischer Nacht, als sich der Ring der drohenden Faschisten außen zu schließen droht. Dass das Stück nach der Selbstberuhigung aus dem Munde des Stadtrates mit „Gute Nacht!“ endet, gesprochen von Martin, ist folgerichtig. Wer im Ausrichten eines Vereinsabends mit Chanson und Kindertanz eine antifaschistische Heldentat sehen möchte und kann, der kann einem nicht einmal wirklich leid tun.


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