Ilmenauer Donnerstag (3)
Jetzt sind diese Donnerstage wieder wie früher. Früher war vor September 2011. Ich marschiere nüchtern und ungeduscht in Richtung Stadt, die Treppe zur Abbé-Straße nutze ich nicht, weil ich sonst im Baustellen-Wirrwarr landen würde mit unvorhersehbaren Ereignissen und Personen. „Braun nicht von der Sonne“ las ich vor ein paar Wochen an einem dieser Donnerstage auf einem Gerüstbauer-T-Shirt und mich bewegte die Frage, ob MOBIT schon erste Seminare dazu anbietet. Denn warum sollten Sportvereine vor Unterwanderung durch Rechtsradikale gewarnt werden, Gerüstbauer-Firmen aber nicht? Ein schreibender Denkschrat schlug unlängst titelseitig vor, Wohnungswechsel von Rechtsradikalen in die Polizeistatistik aufzunehmen. In solchen Momenten bedauere ich, dass die Liberalen von heute keine Liberalen mehr sind, sie müssten aufschreien, dass die Gabelweihen vom Himmel stürzen vor Schreck während ihres Jagdfluges angesichts von so viel Rechtsstaatferne. Die Grütze in manchen Köpfen braucht keine Vanillesoße.
Ich wandere straffen Schrittes bis zur Straße, die ich überqueren will und leide unter den Umleitungsfolgen. Was hier alles am Morgen unterwegs ist, weil die Bücheloher Straße nicht zu benutzen ist. Kein Militaria-Händler steht heute vor dem FIAT-Autohaus, aber in Höhe des Sportplatzes erfreut mich zweihundert Meter vorher ein Riesenplakat mit der wunderbaren Botschaft: Das Wir entscheidet. Das Wir sieht wuchtig aus, trägt einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und einen roten Schlips, man könnte meinen, es knüpfe in schöner Pfiffigkeit an die Traditionsfarben Schwarz-Weiß-Rot an, dann aber hätte Martina Renner vielleicht schon Anzeige erstattet. Die Partei, die das Gras wachsen hört, hätte es gemerkt. Franz Blei, mein lieber alter Franz Blei, verfasste vor fürchterlich vielen Jahren ein Werk mit dem Titel „Das große Bestiarium der Modernen Literatur“, die Bestien darin hießen „Das Walser“ oder „Die Wedekind“, jetzt heißt die vollkommen unliterarische Bestie „Das Wir“.
Der vollständige Text ist nur noch zu lesen in: Eckhard Ullrich: Restsympathien und andere, dictum-Verlag 2014, Seiten 223 bis 228, ISBN 978-3-95618-123-8