Brigitte Reimann in Ilmenau

Wie kommt eine Ausstellung zu Brigitte Reimann nach Ilmenau? Der 80. Geburtstag und der 40. Todestag allein können es ja nicht sein, die Stadt wäre sonst voller Ausstellungen zu solchen Anlässen und wir würden von Vernissage zu Vernissage sausen, Perlweinchen schlürfen. Die Antwort ist einfach und kommt aus keiner Tiefe: weil die Universitätsbibliothek einen gelernten Germanisten zu ihren Mitarbeitern zählt, der die Idee hatte. Auch Bibliotheksmitarbeiter dürfen Ideen haben, ich weiß das aus eigener Erfahrung in eben dieser Bibliothek. Dr. Peter Blume also, ein verglichen mit mir gerade jugendlicher Mann, hatte nicht nur die Idee, er setzte sie auch um, er realisierte sie, wie man möchte, würde ich sagen. Wer weiß, wann ich den zu einem Leibnizbau mutierten Klotz, der früher einfach nur Oktogon genannt wurde, wieder einmal betreten hätte, wenn nicht genau diese Ausstellung, die noch bis Februar 2014 besichtigt werden kann, mich angelockt hätte. Denn Brigitte Reimann hat mich selbst schon animiert, nachlesbar hier in den Rubriken JAHRESTAGE (21. Juli 2013) und BÜCHER, BÜCHER (20. Februar 2013).

Es wallt Freundlichkeit aus dieser Bibliothek, wenn man hineinkommt. Es laufen Kinder umher, die Studentinnen und Studenten sind, vor 25 Jahren habe ich vielleicht die Väter und Mütter einiger von ihnen geprüft, durchgefallen sind wegen der Möglichkeit zweier Nachprüfungen ja eigentlich nie welche von ihnen. Damals bestand die Gefahr faktisch nicht, dass jemand, seinen Blick auf das Display seines Mobilfunkgerätes der zwölften bis siebzehnten Generation gerichtet, eine Stufe  verfehlen und beim folgenden Sturz das Genick sich hätte brechen können. Heute lenken die weiblichen Kinder mit Blick aufs Display nicht nur tapfer ihre Kleinwagern durch die Ilmenauer Kreiselwelt, sie steigen, wie ich eine knappe Stunde lang beobachten konnte, auch völlig sicher die Bibliothekstreppen auf und nieder, immer die Blicke auf dem Display. Sie sehen hübsch aus und fürchterlich jung, was ihnen selbst nicht auffallen dürfte. Ich saß neben der vielleicht letzten verbliebenen Kollegin meiner Bibliothekszeit, die am 15. Oktober 1973 begann und reichlich anderthalb Jahre später endete. Sie war damals schon da, wenn auch noch nicht lange, als ich kam.

Die Ausstellung zu Brigitte Reimann umfasst zwanzig chronologisch geordnete Tafeln mit Bildern, Dokumenten, Zeitungsausschnitten, was man halt so ausstellt, um einen ersten Einblick und Überblick zu geben, der idealerweise so viel Neugier erweckt, dass einige der Angucker anschließend Interesse bekommen oder ein verschüttetes Interesse in sich freischaufeln. Eine andere ehemalige Kollegin, die auf ihre, nun ja, auch nicht mehr völlig taufrischen Tage ein neues zweites Diplom erwarb und selbiges mir nicht unstolz mitteilte, will sich nun die beiden Bände Tagebücher von Brigitte Reimann kaufen, in welchem Gedanken ich sie hintergedankenfrei bestärkte. Sie ist sehenswert, diese Ausstellung, womit die Stelle im Text erreicht wäre, die einer zwanglosen Danksagung Raum geben kann. Denn nicht etwa Dr. Peter Blume hat diese Ausstellung entworfen und gefertigt, es ist eine Wanderausstellung, die aus Neubrandenburg kommt wie einst der Spion aus der Kälte oder das Ding aus dem Nebel. Studentinnen und Studenten (letztere in deprimierender Minderzahl, Verhältnis 25 zu 2, wenn ich auf die Schnelle alle Namen richtig gezählt habe) der Germanistik aus Potsdam waren die Macherinnen und Macher (womit der rotgrüne Sprachgebrauch letztmalig Anwendung findet in diesem Bericht).

Natürlich gab es auch eine verantwortliche Doktorin mit Namen Magrid Bircken und wenn die Ausstellung mit allen ihren Tafeln nach Ilmenau gekommen wäre, wäre sie um ein knappes Drittel größer ausgefallen, denn im Neubrandenburger Original umfasst sie 29 Tafeln, wie mir Dr. Peter Blume in seinem Büro bereitwillig verriet. Herbe Defizite sind mir beim Rundgang keine aufgefallen, also sollte ich die Auswahl aus dem Gesamtfundus einfach gelungen nennen. Gelungen war auch die Einleitung, der rund vierzigminütige Vortrag von Dr. Leonore Krenzlin, die nicht nur als Kennerin vorgestellt wurde, sondern sich auch als solche präsentierte. Sie gehört dem Jahrgang 1934 an, dem aus der DDR-Literatur außerdem dem unter anderem Karlheinz Barck, Manfred Bieler, Werner Bräunig, Elmar Faber, Rainer Kirsch, Wulf Kirsten, Renate Krüger, Richard Leising, Fritz Mierau, Ulrich Plenzdorf, Armin Stolper, Charlotte Worgitzky entstammen. Brigitte Reimann (1933 bis 1973) ist also nur wenig älter gewesen, was Zugänge für die Vortragende sicher nicht wenig erleichterte. Man muss angesichts der begrenzten Vortragszeit nicht erst lange versuchen festzuhalten, was fehlte, oder ausmalen, was hätte anders dargestellt werden können. Mir fehlte an wichtigen Lebensfakten nur einer: der Alkohol. Und mir hätte im roten Faden das Tagebuch mit seinen Inhalten besser zur jeweiligen Lebenszeit als ans Ende, weil Nachlass-Publikation, gepasst.

Der Substanz des Vortrags nahm das freilich nichts, dem weder die kritische Distanz zum Gegenstand noch die prägnante Formulierung fehlte. Was für ein hübsches Prädikat ist doch die „wohltemperierte Kritikbereitschaft“ für die Art, die Brigitte Reimann entfaltete. Und wie dezent relativierte Leonore Krenzlin ihr finales Lob für den unvollendeten, aus ihrer Sicht unvollendbaren Roman „Franziska Linkerhand“ mit der fast verschmitzten Aussage, viellleicht seien doch die Tagebücher das eigentliche Hauptwerk Brigitte Reimanns. Als sie nach Vorbildern gefragt wurde, denen Reimann gefolgt sei, umkreiste Leonore Krenzlin zunächst den Kern ihrer Aussage, dass im strengen Sinne keine zu benennen seien, um dann in einem Nachtrag und mit belegbar tiefer Wahrheit zu sagen, dass Ehemann Nummer 2, Siegfried Pitschmann, vielleicht noch am ehesten genannt werden müsste. In der Tat finden sich etliche Stellen bei Brigitte Reimann, wo sie ihren neidarmen Neid auf den Lebensabschnitts-Partner und dessen Schreibfähigkeiten bekennt und sich eingesteht, dieses Niveau wohl nie erreichen zu können. Ein kleiner Fehler, sicher eher ein Freudscher Versprecher, rutschte in den Einleitungsvortrag, als es um den Roman „Die Geschwister“ ging. Wohl hatte Brigitte Reimann einen Bruder Ulrich Reimann, wohl heißt die Figur im Roman Ulrich, tatsächlich aber verließ Bruder Ludwig Reimann die DDR 1960, der, den Brigitte immer den Lutz-Bruder nannte.

Ganz hart gesottene Reimann-Fans hätten nach der Vernissage im Leibnizbau sofort nach Suhl fahren können, wo die Herausgeberin des Briefwechsels von Brigitte Reimann und Siegfried Pitschmann, Kristina Stella, ihr Buch vorstellte. Mich hielt Albert Camus davon ab, nachlesbar.


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