Zu Klopstock nach Quedlinburg

„Wir fuhren ins schöne Quedlinburg / Auf eine Bildungsreise / Und jede von uns sah die Stadt / Auf ihre eigne Weise. // Daß auf den Fachwerkbauten nun / Sich wiegen die Antennen / Beweist nur, daß vom Alten man / Das Neue kann nicht trennen. // Sind Rathäuser zum Raten da / Und nicht zum Konterfei'n? / Der Pförtner gab uns keinen Rat, / Er ließ uns nur nicht rein. // Viel gastlicher bei Klopstock war's / Nicht, wie man dacht, verstaubt, / Dass er so gerne Schlittschuh lief, / Wer hätte das geglaubt.“ Das dynamische Duo Berta Waterstradt und Elisabeth Shaw waren einst die beiden Bildungsreisenden, erstere reimte, Shaw zeichnete und jedermann, der je in Quedlinburg mit offenen Augen umherlief, erkennt natürlich das Ständerhaus und das Geburtshaus von Klopstock. Im Rathaus hält niemand mehr einen Neugierigen auf, im Gegenteil, man wird freundlich gegrüßt. Antennen beweisen heute allenfalls, dass sich jemand vom Alten nicht trennen kann, überflüssig ihre Ausrichtung gen Westen, der Westen ist zu uns gekommen und beispielsweise auch zum Kulturstaatsminister geworden. Leider weiß ich nicht, wann die Waterstradt-Verse „Das Magazin“ zierten, sie passen jedoch zu meiner Bildungsreise nach Quedlinburg, schon im April 2023 geplant.

Klopstock, vollen Namens Friedrich Gottlieb, ist seiner Geburtsstadt Quedlinburg eine ganze Festwoche wert. Ob das wirklich zu vermehrter Lektüre seines Werkes führt, mag ich nicht munter behaupten wollen, nachdem ich zwei sehr eindrückliche und gelungene Programmpunkte der Woche erleben durfte. Ich fange hinten an: in der Kulturkirche St. Blasii, wo der Festakt am Geburtstag um 19 Uhr begann. Es sprachen der Oberbürgermeister Frank Ruch und der Staats- und Kulturminister des Landes Sachsen-Anhalt, Rainer Robra. Die Musik stammte von Johann Christian Kittel, Carl Philipp Emmanuel Bach, Franz Schubert und Fanny Hensel. Es sang Sara Mengs, begleitet von Marc Holze, Klopstock-Texte, es musizierte das Collegium Musicum e. V. Quedlinburg. Man hörte, dass in der Tradition der ersten Gedenkmünzen 1824, 1924 und 1974 nunmehr erneut eine Prägung erfolgte und eine erste Bestellung der Goldmedaille aus Dänemark eingegangen sei. Das dem Vandalismus zum Opfer gefallene erste deutsche Klopstock-Denkmal konnte noch nicht vorgestellt werden in restaurierter Form, den Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Dr. Reiner Haseloff, sah, wer nicht zu 5.02 Uhr den Stiftsberg erklomm, nur im Fernsehen.

Für 19.35 Uhr avisierte der Ablaufplan eine szenische Lesung aus dem Liebesbriefwechsel von Klopstock und Margareta „Meta“ Moller, geplant auf 50 Minuten Dauer. Ich sah nicht auf die Uhr. Als Margareta Moller in Aktion Astrid Kohlhoff, als Klopstock Silvio Beck, und ich stehe nicht an, die Bezeichnung Lesung untertrieben zu finden. Denn Astrid Kohlhoff spielte, was sie las, und sie spielte es so, dass sie ihren Partner, wäre der nicht standfest gewesen, an die Wand gespielt hätte. Vor allem spielte sie, was der Text nur dem sehr genau Zuhörenden preisgab: Selbstbewusstsein, Selbstsicherheit, Emanzipation, wenn man so will. Das war eine der Frauen des 18. Jahrhunderts, die gut und gern in jeden ehrenrettenden Sammelband „Frauen des 18. Jahrhunderts“ passen würde, wie ihn etwa Elke Pilz vor einigen Jahren herausgab. Nur die dachte damals nicht daran. Meta Moller, die erste Ehefrau Klopstocks, starb im Alter von nur 30 Jahren im Kindbett nach einer Totgeburt und teilte damit das Schicksal so vieler Frauen der Zeit. Ihr Briefwechsel mit Klopstock umfasst zwei Bände, ein dritter Band bringt die Erläuterungen. Sie korrespondierte auch mit dem Briten Samuel Richardson (19. August 1689 – 4. Juli 1761), einer europäischen Berühmtheit.

Der Beifall in der Kulturkirche war lang und natürlich mehr als verdient. Er honorierte wohl eher unbewusst auch die Beweiskraft der Lesung: Lebendig ist, weit vor dem „Messias“, weit vor den „Oden“, die beide, über fünfzig Minuten Vortrag, so gekonnt er auch gebracht worden wäre, auf den Kirchenbänken Lähmungserscheinungen ausgelöst hätten. Lebendig also ist das Private, die Home Story, wie das heute genannt werden dürfte. Sie bewegt, sie macht betroffen, sie rührt, darf man gar sagen. Und die ebenfalls kurz vorgetragene Passage aus Goethes „Werther“ mit dem Signalwort Klopstock erinnerte daran, dass jene Zeiten vorbei sind, da allein die unerhörte Sprache, die Verssprache Klopstocks zuallererst, für aufgewühlte Gemüter sorgte. Ihr Ruf drang, nach Abdruck der ersten Gesänge des „Messias“ in den „Bremer Beiträgen“, wie die „Neuen Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Wirtes“ kurz genannt wurden, über die Grenzen hinaus bis in die Schweiz, über die vielen innerdeutschen Grenzen ohnehin. Womit ich beim Stadtrundgang auf Klopstocks Spuren angelangt wäre, der die Festwoche eröffnete, sieht man von der Premiere des Schauspiels „Der Tod Adams“ ab, die die Eröffnung vor der Eröffnung war. Die ich leider nicht sah.

Und auch nicht hätte sehen können, wenn ich von ihr schon gewusst hätte, denn Premierenkarten waren längst verkauft, als ich verspätet in Quedlinburg eintrudelte. Den Stadtrundgang aber, den erlebte ich von Anfang bis Ende. Er wird, ist zu vermuten, so nie wieder oder allenfalls höchst selten noch einmal angeboten werden, allein wegen des hohen Personalaufwandes. Für die Festwoche eine starke Idee. Stadtführungen in Kostümen gibt es mittlerweile landauf, landab, in der Regel wird auf eine der Stadtgeschichte entnommene Person zurückgegriffen: in Arnstadt etwa führt die Marlitt, in Ilmenau angelegentlich Corona Schröter. Hier in Quedlinburg auf den Spuren Klopstocks übernahm die Aufgabe der erste Biograph des Dichters, Carl Friedrich Cramer (7. März 1752 – 8. Dezember 1807) im gerade noch rechtzeitig fertig gewordenen Gewand. Den leider unleugbaren Umstand, dass es letztlich außer dem Geburtshaus am Schlossberg keinen einzigen wirklich authentischen „Zeitzeugen“ in Stein oder Fachwerk mehr gibt, der mit diesem oder jenem Lebensabschnitt direkt verbunden werden könnte, vom allgemeinen Stadtbild, den Verläufen der Straßen und Gassen, den Kirchen, dem Stiftsberg, abgesehen, machte der Rundgang pfiffig wett.

Unterwegs traten der Gruppe, zu der auch viele Stadtführer gehörten, immer wieder Männer und Frauen im Kostüm entgegen: in der Schulstraße der Vater zum ersten Mal, er kam später noch einmal, am Palais Salfeldt der Mitstudent Schmidt, in der „Hölle“ Fanny, die somit eigens aus Bad Langensalza gekommen war, in der Kirche der Schweizer Johann Jakob Bodmer (19. Juli 1698 – 2. Januar 1783), der Klopstock einst nach Zürich eingeladen hatte, damit der junge Mann in Ruhe seinen „Messias“ zu Ende schreiben könnte, was bekanntlich gar nicht klappen wollte. Zu Füßen des Bergs kam Meta Moller, später am Klopstock-Haus der Meister selbst, seine Mutter und seine zweite Gattin. Auch die berühmte Dorothea Christiane Erxleben (13. November 1715 – 13. Juni 1762), die erste promovierte Ärztin Deutschlands, hatte ihren Auftritt. Ihrer wird im Klopstockhaus ebenfalls gedacht. Dort gab es schließlich den angekündigten eigens kreierten Klopstock-Wein aus dem Landesweingut Kloster Pforta, ein sehr süffiger Weißburgunder, wie es ihn auch zu Klopstocks Zeiten durchaus schon gegeben haben dürfte. Meine Fotos aus dem Klopstockhaus bleiben mir. Die Verleihung des Klopstock-Preises für neue Literatur erlebte ich nicht mehr vor Ort. Den Hauptpreis errang der Ukrainer Yevgeniy Breyger, den Förderpreis Manuela Bibrach (Dresden), Glückwunsch.


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