Ein Gehrener betrieb Nebenjob mit großer Leidenschaft

Gehren. Einer der ersten Gratulanten wäre ich sicher gewesen an seinem heutigen sechzigsten Geburtstag. Ob eine Zeitung davon Notiz genommen hätte, ist fraglich, denn Jubiläen dieser Altersgruppe liegen einfach zu dicht. Reinhard Escher aber, Gehrener, dessen Lebensweg ihn von der Leipziger Universität über Afrika bis zum Professorentitel führte, der dann eine längere akademische Auszeit nutzte, um Verleger zu werden, ist schon seit mehr als sieben Jahren tot.
 
Ich werde den Sonntag im März 2005 nicht so schnell vergessen, da mich in Hamburg ein Anruf erreichte mit der knappen Nachricht: Dein Freund Escher ist tot. Ich hätte an einen dummen Scherz gedacht, wenn die Anruferin nicht in ihrer Person dagegen gesprochen hätte. Also fragte ich nach den Umständen, die ich dann aber erst nach und nach erfuhr. Herzinfarkt während der Leipziger Buchmesse am späten Freitag, für Sonnabend war der Besuch des damaligen Ministerpräsidenten Thüringens, Dieter Althaus, am Messestand angekündigt. Alles sollte perfekt sein und es ging brutaler über die Kräfte, als Außenstehende hätten vermuten können.
 
Später kamen Informationen, die das hohe Risiko verdeutlichten, dem er sich aussetzte, als er überhaupt nach Leipzig fuhr wie viele Jahre seit Mitte der Neunziger. Er hatte sich aus einer unabwendbaren Behandlung seiner schweren Herzprobleme beurlauben lassen. Denn er war ein Verleger mit Leib und Seele, wenn auch, wie sich rasch zeigte, kein geborener Geschäftsmann. Ich hatte die traurige Pflicht, den Prozess der anwaltlichen Begleitung des Verlagsendes nach schmerzhaften Erbe-Verwicklungen von fachlicher Seite zu ermöglichen. Soweit ich dazu überhaupt in der Lage war, denn Details kannte ich nicht und hätte sie lieber auch nie kennen lernen wollen.
 
Es kann 1993 gewesen sein, als Reinhard Escher sich bei mir anmeldete in meiner damaligen Redaktion, mir seine vage Idee, einen Verlag zu gründen vorstellte und fragte, ob ich ihm helfen könnte. Er überschätzte meine Vorkenntnisse hemmungslos. Immerhin konnte ich ihm die Namen zweier heimischer Gründer mit Erfahrungen nennen: Lutz Gebhardt und Thomas Gretscher. Ersterer ist heute besser im Verlagsgeschäft als je und hat ganz am Ende Konkursmasse des Escher-Verlags übernommen, der keine Chance auf Fortexistenz nach dem Tod seines Gründers hatte. Dass ich eines Tages selbst Autor des Escher-Verlages werden könnte, stand die ersten Verlagsjahre nie zur Debatte.
 
Ich schrieb in der Zeitung über ihn, stellte seine Bücher, wenn immer möglich, vor, sprach mit seinen Autoren, wenn er zum Gespräch lud. Und immer, wenn ich ihn in seinem Verlagshaus, das sein Elternhaus in der Gehrener Siedlung war, besuchte, sprachen wir mehr über alte Zeiten als über Projekte. Reinhard Escher und ich saßen auf einer Bank in der hintersten Sitzreihe in der Goetheschule, nachdem wir acht Jahre in Gehren in Parallelklassen gegangen waren. Reinhard Escher und ich dienten zusammen in einer NVA-Einheit in Rostock, wir marschierten im gleichen Spielmannszug zum 1. Mai 1972 in Berlin. Er war, was heute schwer zu verstehen sein könnte in jüngeren Generationen, 1967, als uns allen Sympathie für die Araber abverlangt wurde im Nahostkrieg, der einzige, der sich ziemlich unbeeindruckt mit Israel verbunden gab. Das wollte einem Arbeiterkind, als das er eingestuft wurde, damals schlecht zu Gesicht stehen.
 
Selten habe ich einen Menschen kennen gelernt, der so früh schon so zielstrebig war. Völkerkunde war sein Thema. Er hat die Gründe seines Abgangs von der Leipziger Universität nie nachvollziehbar erläutert, mir jedenfalls nicht. Der Verlag aber sollte zunächst eigentlich nur ein Zeitvertreib werden, Nebenjob. Und war schnell der ganze Lebensinhalt. Ich kenne keinen, der sich akribischer um Details gekümmert hat als er. Wir haben über die farbliche Cover-Gestaltung meiner beiden Bücher fast länger geredet als über Inhalte und Korrekturen. Ohne Reinhard Escher wäre der vagabundierende Bindestrich mir nie zum Begriff geworden. Mir fehlten die Worte, als ich nach der Trauerfeier seiner Mutter mein Mitgefühl zeigen wollte.
 
Die Neujahrswünsche des Verlages für das Jahr 2005 an Mitarbeiter, Geschäftspartner und Freunde enthielten als Einlage den Hinweis auf meine beiden Bücher. Nach der Messe wollten wir uns treffen zu einer Zwischenbilanz. Der 19. März 2005 kam dazwischen.
  Zuerst in: Thüringer Allgemeine, 1. August 2012, Seite IL2
  Unterzeile: Heute wäre der Verleger Reinhard Escher 60 Jahre alt geworden.
  Erinnerung eines persönlichen Weggefährten, Manuskriptfassung


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