Sonntagsspaziergang zu Otto Ludwig

An insgesamt fünf Sonntagen, jeweils der letzte des Monats ist der feste Termin, können Interessenten rund anderthalb Stunden lang an einem Spaziergang teilnehmen, der zu den Wirkungsstätten Otto Ludwigs in Eisfeld führt. Die Premiere sah ein reichliches Dutzend Teilnehmer, keine Massenwanderung also, denn es war empfindlich kalt und vor allem zugig. Weshalb Heiko Haine, mittlerweile fast zwanzig Jahre Museumschef im Ort, immer wieder dafür sorgte, ein möglichst windgeschütztes Plätzchen zu beziehen, wenn er seine Erläuterungen und auch die klug gewählten Leseproben vortrug. Er selbst hatte sich weitgehend biedermeierlich gekleidet, der praktische Zylinder diente im Gartenhaus am Ende der kostenlosen Runde gleich noch als Spendensammelgefäß, in dem keinesfalls nur Münzen landeten.

Noch ehe es losging, war, wenn auch nicht lauthals, davon zu hören, dass die Besucherzahlen in der neuen Sonderausstellung „Jedes Blättchen ist mir wie ein Bruder“ im Schloss wenig berauschend seien. Das ist uneingeschränkt bedauerlich, denn die Ausstellung ist sehenswert (vgl. OTTO LUDWIG IN EISFELD, 10. Februar in dieser Rubrik) und auch noch bis zum 26. Mai geöffnet. Es mag verschiedene Gründe geben dafür, begonnen bei der wunderbaren Autobahn, die nicht nur den Verkehr aus Eisfeld nahm, sondern auch sicher manchen Zufallsbesucher. Die mediale Präsenz des Otto-Ludwig-Festjahres, das muss man nun wirklich nicht seinen rührigen Organisatoren und Machern in die Schuhe schieben, ist im Jubiläumsjahr mehr als mäßig. Nicht einmal die einzige Zeitung am Ort berichtete überregional von der Eröffnung, und der Text aus dem Kreisteil erschien nicht im Internet. In Eisfeld selbst muss man wohl kaum viel Werbung machen für den berühmtesten Sohn der Stadt. Wie um alles in der Welt soll aber jemand von außerhalb angelockt werden?

Immerhin mag vermerkt sein, dass Edo Reents an der FAZ einen sehr ausführlichen Ludwig-Artikel veröffentlichte. Die Leipziger Internet-Zeitung besprach sogar das zum Festjahr erschienene Buch „Und Wahrheit ging mir von jeher über alle Schönheit“ aus dem Salier Verlag. Und doch gibt es offenbar eine unsichtbare Aufmerksamkeitsbremse für Otto Ludwig. Vielleicht hat der Missbrauch, der in der über übliche Maße hinausgehenden Inanspruchnahme Ludwigs durch die braunen Ideologen schon vor 1933 lag, doch tiefer reichende Folgen. Vielleicht lag ja das Überhören der peinlichen Laudatio-Inhalte am Eröffnungstag der Sonderausstellung auch daran, dass einfach zu viel Text über Otto Ludwig aus eben jener Richtung vorliegt? Heiko Haine verheimlicht übrigens bei seinen Erläuterungen während des Spazierganges ebenso wenig wie die Autoren Hans und Renate Gauß im genannten Sammelband das starke Verwurzeltsein des Lehrers Karl Kley im Nationalsozialismus und der NSDAP. Und eben dieser Kley hat mehr als andere für Ludwig getan in dessen Geburtsstadt Eisfeld.

Für einen Spaziergang zu den Wirkungsstätten Ludwigs freilich kann Wirkungsgeschichte kein Hauptthema sein, wobei es auf alle Fälle wohltuend ist, wie im Sammelband der jüdische Kommerzienrat David Löwenherz eine gewisse Rehabilitierung erfährt. Aus wessen Privatschatulle eine sehr erhebliche Summe floss, damit 1934 im Garten mit dem Gartenhaus die Landschaftsbühne eröffnet werden konnte im Beisein von Fritz Wächtler, der es noch 1944 bis zum SS-Obergruppenführer brachte und zuvor thüringischer Innen- und Volksbildungsminister war, hängt aus nahe liegenden Gründen in Eisfeld niemand an die große Glocke. Denn es war Adolf Hitler höchstselbst. Wächtler wurde übrigens am 19. April 1945 nach seiner Flucht aus Bayreuth auf Befehl des SS-Gruppenführers Ludwig Ruckdeschel erschossen, während Ruckdeschel seinerseits nach wenigen Haftjahren später bei VW landete und bis 1968 lebte.

Auf dem Marktplatz geht es auf alle Fälle los in Eisfeld, dann weiter zum Haus mit der großen Tafel, die zu DDR-Zeiten dort angebracht wurde, wo Ludwig Otto sein Geschäft betrieb und sein Neffe Otto Ludwig nach dem Stadtbrand von 1822 ein Unterkommen fand. Heiko Haine zeigt das Haus in der Braugasse, in dem Ludwig geboren wurde und kündigt einen Blick an, den es früher nicht gab. Das Geburtshaus ist natürlich nicht mehr im Original vorhanden, man stößt aber über die nach dem Dichter benannte Straße fast direkt darauf, wobei das vor sich hin gammelnde einstige Brauhaus den Blick unwillkürlich mehr fesselt. Der früher nicht mögliche Blick ist auf der Rückseite des Geburtshauses entstanden nach einem Brand 2011, der das Kino und zwei Wohnhäuser vernichtete und in der Nachbarschaft viel Angst auslöste.

Mit dem Brand und der Beseitigung seiner Folgen wurde der Blick frei auf einen erhaltenen Rest des echten Geburtshauses, von dem aus Otto Ludwigs Vater, der Stadtsyndikus Ernst Friedrich Ludwig, was heute kaum vorstellbar erscheint wegen späterer Bebauungen, zu seinem Grundstück schauen konnte, auf dem er das Gartenhaus mit den beiden Säulen errichten ließ. Man erfährt unterwegs von Ausgrabungen, die die Schmalheit der Gassen früher erkennbar machten, man sieht die alte Schule, die die zweitälteste erhaltene in ganz Thüringen zu sein beansprucht. Jene Schule, die Otto Ludwig wenig eifrig und mit mäßigen Erfolgen besuchte, weil die erhaltene nur für Mädchen war, stand im rechten Winkel dazu und ist nicht mehr vorhanden. Dafür trägt der spätere und wesentliche größere Schulbau dahinter jetzt seinen Namen. Auf dem Weg zum Gartenhaus liefert das Schützenhaus den Anlass für die schöne Geschichte vom Tassentausch mit Halberstadt, die hier nicht ausgeplaudert wird.

Weil der Museumschef schon morgens sieben Uhr die Heizung im Gartenhaus in Gang setzte, endete der Spaziergang in wohliger Umgebung. Man hört von einer noch fehlenden Drainage und der deshalb hohen Feuchtigkeit, sieht die nach den alten Befunden gestalteten Farben an den Wänden der oberen Räume. Auch die Geschichte vom Klavier auf dem Dachboden, das mit hohem Aufwand restauriert wurde und jetzt aus bestimmten Gründen (hier soll Neugier entstehen, lieber Leser!!) nicht im Gartenhaus, sondern gut gesichert im Schloss zu finden ist, erzählt Heiko Haine. Es ist eine sehr schöne Geschichte, fast wie im Märchen. Es kommt denn auch eine wirkliche Königin darin vor. Man könnte es das Märchen von der wunderbaren Wertsteigerung nennen. Das wahr wurde, was besseren Märchen ja bisweilen geschehen soll.

Man kann am Ende im Gartenhaus den Spaziergangsführer auch nach der Sprengung fragen, die den unterirdischen Teil des Landschaftstheaters vernichtete. Die nach dem Amerikanern in Eisfeld einmarschierten Russen vermuteten, so ist überliefert, Werwolf-Einrichtungen. Der Sprengung fiel auch eine uralte Eiche zum Opfer und wenn man sich heute vorstellt, dass da nicht nur ein Orchestergraben war, sondern im Felshang sogar unterirdische Garderobenräume für die Darsteller, dann kann man schon ein wenig staunen. Und wenn das alles auch nur entstanden sein sollte, weil einige Führer und vielleicht gar der Führer meinten, Otto Ludwig sei der deutscheste aller deutschen Dichter, dann spricht das ja keineswegs automatisch gegen Ludwig.

Wie es auch nicht gegen die Ludwig-Büste am Marktrand vor dem Schloss spricht, dass der Meininger Theaterherzog sie nicht seinen Wünschen entsprechend fand und deshalb bereit war, sie gar nicht so großzügig Eisfeld zu überlassen, als dort zur Ehrung Otto Ludwigs geblasen wurde. Auch die Geschichte von den beiden Büsten und den dazu gehörenden falschen Informationen im Internet erzählt Heiko Haine den Spaziergängern, die ihm folgen. Für alle, denen es zu beschwerlich ist, den letzten Sonntag eines Monats selbständig zu ermitteln, seien hier die nächsten Spaziergangstermine noch einmal ausdrücklich genannt: 26. Mai (zugleich letzter Tag für die Sonderausstellung), 30. Juni, 28. Juli, 25. August, immer 10 Uhr ist Beginn.  Da die Dichtergedenkstätte im Gartenhaus nur sehr selten separat geöffnet wird, bieten die Spaziergänge einen zusätzlichen Anreiz: sie enden dort, wo jetzt alles rasch grün wird.


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