Medienblick auf Christa Kozik

Ein solcher wäre auch ein Blick auf mich selbst, ich komme darauf zurück. Beginne aber mit einem Blick auf den Wikipedia-Eintrag. Als ich ihn gestern aufrufe, hält er die letzte Bearbeitung vom 28. Oktober fest. Beteiligt sind am Textbestand der Seite 31 Autoren, zwischen dem 10. und dem 30. Dezember gab es 210 Seitenaufrufe, mehr als 90 davon allerdings am 30. Dezember, steiler Anstieg nach zuvor im Schnitt deutlich unter zehn Aufrufen am Tag. Das ist weder beunruhigend noch anormal. Der 30. Dezember brachte im Berliner „Tagesspiegel“ einen Beitrag zum bevorstehenden 80. Geburtstag, „Neues Deutschland“ legte gestern nach. Ob das einen erneute Ausschlag des Nutzer-Pendels nach oben auslöst, wird sich erweisen. Christa Kozik 80? Alle Scheinheiligkeit beiseite: wenn man am Neujahrstag des Jahres 1941 geboren wurde, ist das eben so. Sie eröffnet den Reigen all jener einstigen DDR-Autoren dieses Jahrgangs, die 2021 ihr achtes Lebensjahrzehnt vollenden. Von denen einige schon nicht mehr leben, wie Jürgen Borchert, Peter Ensikat, Christel Hartinger, Wolfgang Hilbig, Karin Hirdina, Rosita Ionescu oder Wolfgang Müller. Von denen sich etliche andere aber noch mehr oder minder guter Gesundheit und munterer Schaffenskraft erfreuen.

Am heftigsten in der Debatte zuletzt: Monika Maron, die vermutlich mit DDR-Zusammenhängen eher weniger zu tun haben möchte. Fritz Leverenz gehört dazu, Jutta Voigt und Jan Flieger, Karl-Heinz Großmann und Landolf Scherzer, Angela Steinmüller und Hans-Jörg Rother sind ebenfalls dabei. Christa Kozik wird immer die erste im Jahr bleiben, verbunden mit dem Umstand, dass sich besonders eifrige Medien vorher zu Wort melden, ohne ausdrücklich zu gratulieren, denn das bringt, altem Aberglauben zufolge, angeblich Unglück. Allein dreimal war solcherart das gute alte „Neue Deutschland“ aktiv: zum 60., zum 70. und nun wieder zum 80. Geburtstag. Vor zwanzig und vor zehn Jahren war es jeweils der einstige so genannte „Bücher-Minister“ der DDR, Klaus Höpcke, der zwar immer noch lebt, nun aber das Würdigen offenbar jüngeren Händen überließ: F.-B. Habel. So zeichnet als Autor der 1953 geborene Frank-Burkhard Habel, Film- und Fernsehwissenschaftler, der unter der Überschrift „Zum Kaffee bei Astrid Lindgren“ vor allem auf das Filmschaffen der Jubilarin schaut, was nahe liegt, letztlich aber dennoch ein eher einseitiges Bild vermittelt. Habel findet es „erfrischend altmodisch“, dass Christa Kozik ihre Manuskripte mit der Hand schreibt.

Als ich meine erste (und einzige) Kritik zu einem Buch von Christa Kozik schrieb, tippte ich das Manuskript in meine erfrischend altmodische Schreibmaschine (mit der Hand, respektive im mir bis heute dienenden Vier-Finger-Hack-System, das ich auf der Tastatur meines PC auch weiter unverdrossen nutze). Die Kritik erschien unter der nicht sonderlich prickelnden Überschrift „Verse über ein uraltes, doch ewig junges Thema“ in der Ausgabe Nummer 18 von „Neues Deutschland“ am 21. Januar 1989, es war die Wochenendausgabe, auf der Seite 14. Es war meine zweite und letzte Kritik für das ND, einige andere Manuskripte, die ich unaufgefordert eingesandt hatte, wie das damals hieß, fanden keine Verwendung, in einem Falle musste noch eine verantwortliche Genossin gefragt werden, deren Meinung mir dahingehend überliefert wurde, dass mein Text ungedruckt blieb. Ich wiederhole gern meine gelegentlich geäußerte Ansicht zu Buch- und anderen Kritiken in „Neues Deutschland“ jener Zeit: der Kritiker stand vor der undankbaren bis unlösbaren Aufgabe, durch die Brust ins Knie zu denken. Lobte er, konnte es sein, dass die wissenden Leser das Buch gar nicht erst in die Hand nahmen, verriss er, kauften sie womöglich ein schlechtes Buch.

Christa Koziks Gedichtband „Tausendundzweite Nacht“ war alles andere als ein schlechtes Buch, dennoch entschied ich mich danach, möglichst nie wieder einen Auftrag zu Lyrik zu übernehmen. Noch heute lese ich Gedichte gern, schweige aber zu ihnen, wenn es geht. Ich habe so viel baren Unfug über anderer Leute Gedichte gelesen, mittlerweile fast nur noch von Dichtern zu Papier gebracht, dass ich glaube, mein Senf dazu bleibt besser in der Tube. Dennoch lasse ich als Anhang zu diesem kleinen Geburtstagsbeitrag sowohl die alte ND-Kritik folgen wie auch einen Leserbrief, den ich in Kenntnis besagten Gedichtbandes an die Redaktion des „Sonntag“ schickte, deren eifriger Autor ich seit 1986 war. Ich zog, gebe ich zu, leise gallig, gegen die Besprechung des Bandes zu Felde, die Regina Scheer für den „Sonntag“ geschrieben hatte. Frau Scheer soll sehr wütend gewesen sein, was vermutlich auch damit zusammen hing, dass ihr ein Mann sehr nahe stand, den ich bestens kannte und als Kollegen schätzte, auch als er von Ilmenau nach Berlin gezogen war. So weit der Tratsch. Christa Kozik war schon Nationalpreisträgerin, bevor ihr erstes Buch erschien: „Moritz in der Litfaßsäule“, davor hatte es lediglich das Poesiealbum 158 gegeben, ebenfalls im Jahr 1980. Die meisten Schriftsteller der DDR brachten es bekanntlich nie zu einem Nationalpreis.

Und dennoch war etwas mit diesem „Moritz in der Litfaßsäule“. 1980 erschienen, wie gesagt, wäre die Veröffentlichung einer so oder so ausgefallenen Kritik normalerweise im Mitteldeutschen Verlag und dessen jährlich erscheinender Kritiken-Sammlung auch für das Jahr 1980 fällig gewesen. Dort aber findet sich keine Kritik, sondern erst in der Sammlung für 1981, die 1982 im Druck erschien. Auch das wäre nicht sehr verwunderlich, denn Aktualität war in der DDR allein schon der Zensur wegen kein übertrieben hohes Gut. Was aber 1982 in „Kritik 1981“ neu zu lesen war, war eine ausführliche Besprechung aus dem Jahr 1979, so jedenfalls die Quellenangabe: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 51/1979. Autor dieser Kritik war ein zu DDR-Zeiten sehr bekannter und beliebter Kinderbuchautor: Willi Meinck. Meinck (1. April 1914 – 7. April 1993) lieferte einst die Vorlage zum Film „Hatifa“, die es natürlich auch als Buch gab und er schrieb die beiden Bände über Marco Polo, die mich so begeisterten in jüngsten Jahren, dass ich, weil Meinck es nicht tat, mir vornahm, einen dritten Band dazu zu schreiben. Zu Papier brachte ich keine Zeile.

Willi Meinck schrieb eine sehr wohlwollende, eine feinfühlige, eine verständnisvollen Kritik, die sogar ganz konkrete Ratschläge gab, was im Buch noch zu verändern wäre, was aber in gedruckten Büchern ja im allgemeinen eher selten geschieht. Sogar milde DDR-Kritik kommt in seinen Zeilen vor, etwa, wenn er Humor „eine äußerst seltene Erscheinung in der Landschaft zeitgenössischer Literatur und Literaturkritik“ nennt. Meinck ruft sich Szenerien im Schriftstellerheim Petzow vor Augen, wo Christa Kozik im Freien am Buch arbeitete, während lustwandelnde Kollegen an ihr vorbei schritten. Wer so arbeiten kann!? „VEB Elfenbeinturm“ überschrieb eine Lokalzeitung 2016 einen Artikel über das Haus, das 2001 an eine jüdische Erbengemeinschaft zurückübertragen worden war. „Erfreulich klar ist die Komposition der Erzählung, die „ganz von selbst“ aus dem Familienalltag ins Nichtalltägliche und doch nicht Weltentfernte mündet und scheinbar mühelos wieder im Alltag landet.“ Deutlich kritisch war auch dieser Satz: „Und unser Meisterkritiker quält sich dann ab, sie in Stunden der Kinderliteratur hoffähig zu machen.“ Was ja nichts anderes meint, als dass Kinderliteratur im Leseland DDR eben üblicherweise nicht hoffähig war, sondern besonderer Veranstaltungsformen bedurfte, sie vorübergehend in diesen Zustand zu versetzen.

Pure Ironie ist es, wenn Meinck fragt, ob die Erzählung von Christa Kozik denn von „sozialem Belang“ sei, er setzt die Anführungszeichen selbst, um dann den 1. Mai, den Tag des Kindes, HO und Konsum aufzuzählen als Realien und als Höhepunkt eine Bahnhofsgaststätte, die an zwei aufeinander folgenden Tagen Ruhetag hat. Das, so Meinck, „sorgt für ein durchaus realistisches Bild unserer entwickelten sozialistischen Gesellschaft, ohne dabei bissig zu werden.“ Das war vermutlich ein wichtiger Hinweis an wichtige Genossen, die immer auf der Suche waren nach Schriftstellern und anderen Künstlern, die sich womöglich feindlich-negativer Tätigkeiten verdächtig machten, wofür Bissigkeit vielleicht einen leichten Anfangsverdacht geliefert hätte. Christa Kozik also nicht: Ruhe Genossen, hier ist alles in Ordnung. Noch einmal vor dem Ende der DDR ist die Autorin dann in den Mitteldeutschen Verlag geraten: „Kritik 84“ druckte nach, was Ernst Braun in der NEUEN DEUTSCHEN LITERATUR, Heft 5/1984, zu „Der Engel mit dem Goldenen Schnurrbart“ veröffentlicht hatte. Braun führte einen Vergleich an, wie unterschiedlich Lesungen der Autorin vor Kindern und vor Erwachsenen ausfielen, wie unbefangen die Kinder fragten und diskutierten. Und tat so, als hätte er das Buch vor der Kritik gleich mehrfach gelesen.

Ohne Braun zu nahe treten zu wollen: das klingt zwar gut, ist aber selbst in der etwas langsameren DDR ganz sicher die absolute Ausnahme gewesen: Kritiker, die ein Buch mehrfach lasen (und heute lesen) verdienen in dieser Zeit nichts, in der sie andere Bücher für weitere Kritiken lesen könnten. Falls fest angestellte Kritiker diese unfassbare Freiheit gehabt haben sollten, dann könnte man verstehen, warum sie bis heute dieser DDR nachtrauern, die ihnen ein solides Auskommen, wenn auch keinen Reichtum, für wenig Gegenleistung sicherte. Über die bewegten Liebesgeschichten ihrer Mutter schreibt Braun: „Der Väterwandel macht Lilli frühreif.“ Und: „Sie nimmt keinen schaden, wird nicht zu einem Problemkind ...“. Das wäre ja auch noch schöner gewesen: ein Problemkind mitten in der DDR, in der der Mensch, insbesondere der kleine Mensch, im Mittelpunkt stand, auch wenn sich oft gar nichts um ihn drehte. „Souveränität zeigt sich auch darin, dass Christa Kozik als Marxistin die Bibel ausgiebig benutzt. Die Bibel ist aus dem allgemeinen Gesichtskreis gerückt, nur noch strenggläubige Menschen, theologische Spezialisten oder diverse Kunstgeschichtler wissen in ihr ordentlich Bescheid.“ „Die Geister, die ich rief“ wird für solche Fälle gern ein gewisser Zauberlehrling zitiert: Kirchennähe war laufbahnhemmend in der DDR.

Dennoch betreibt auch Ernst Braun vorsorgliche Richtigstellung: „All jene, die nun etwa vermuten, dass Christa Koziks Kinderbuch unauffällig ein Sachbuch über die Bibel ist, irren sich.“ Wer stand wohl für den Kritiker im Verdacht, auf eine solch saublöde Idee kommen zu können? Henryk Keisch wird als Kronzeuge berufen für die biblischen Bildungsdefizite von DDR-Schülern, Renate Holland-Moritz darf den Schluss-Satz der Besprechung liefern: „Ich fürchte auch, dass Kinderbücher, die nur Kindern gefallen, nicht gut sind.“ Ich fürchte nicht, dass Holland-Moritz daneben gelegen haben könnte, Friede ihrer Asche. Ich zähle nun auch nicht jene Kritiken auf, die Gedichte zählten und zusahen, wie viele in welcher Gruppe angeordnet waren. Ich zitiere Höpcke, der am 30. Dezember 2000 meinte, „Der Engel mit dem goldenen Schnurrbart“ sei „von den literarischen Leistungen Christa Koziks wohl die poetisch dichteste“. Man wagt sich angesichts solcher Machtwörter kaum vorzustellen, welche anderen Leistungen Koziks noch dichter gewesen sein könnten, nur eben nicht literarisch: die Filme dürften es nicht gewesen sein, denn Drehbücher sind auch Literatur, der Film aber kommt von Regie, Kamera und Schauspiel. Zehn Jahre später lässt Höpcke es fast nur noch bei Aufzählungen bewenden und zitiert „Doch es starb mein Land.“

Dergleichen Aussagen freuten natürlich einen ehemaligen stellvertretenden DDR-Minister, dessen Land ja auch gestorben war, nur durfte er noch gegen ein geringes Entgelt in Devisen im Landtag von Thüringen Teile seines Lebensabends verbringen, während Christa Kozik, wie zu lesen ist, an ihrem 50. Geburtstag die Kündigung der DEFA erhielt und bald ihr Verlag abgewickelt wurde wie fast alle Verlage der nunmehr ins Ehemalige verschobenen DDR. Es soll 2000 einen Zusammenbruch gegeben haben, was ich sehr gut verstehen kann. Wer eben noch gefeiert war und nun an Verlagstüren klopfen musste wie ein Bittsteller und dann auch wie ein solcher abgewiesen wurde, der mag die neuen Verhältnisse nicht. Das verstehe ich immer noch sehr gut. Nur danach, als sogar bis zum Stehkragen in Stasi-Verbindungen verwickelte Gestalten des DDR-Literaturbetriebs mit neuen Verlagen auftraten, in denen sie anderen ähnlich belasteten Figuren Plattformen boten, danach war Klage nicht mehr das einzig richtige Lied: Man konnte ja Initiative ergreifen, freilich nur schnöde Privatinitiative, man konnte etwas unternehmen, sprich: Unternehmer werden. Manche, oft unbedeutende, DDR-Autoren fluteten geradezu den gesamtdeutschen Buchmarkt, man lese Bibliografien und halte sich an der Tischkante fest: Erfolg stand natürlich auf ganz anderen Blättern.

Gisela Karau erzählte 2010 für „Neues Deutschland“ noch einmal „Der Engel mit dem goldenen Schnurrbart“ nach, um die Neuausgabe zu promoten, die der eher unbekannte leiv Verlag herausgebracht hatte. Silvia Ottow bewarb in „Neues Deutschland“ 2011 „Kicki und der König. Ein Katzenroman“, im bis dahin eher unbekannten Eulenspiegel Kinderbuchverlag. Zu diesem Buch hatte Leonore Brandt, später verantwortlich für einige wunderbare Filme über Literatur und ihre Personen, damals noch beim „Sonntag“, ein großes Gespräch mit Christa Kozik geführt. Ein anderes Gespräch, das Ingeborg Zimmerling mit Christa Kozik für den „Filmspiegel“ führte, trug den schönen Titel „Die große Liebe prallt gegen die Schrankwand“. „Schuld liegt meist enorm gut verteilt, und am traurigsten wird es dann, wenn es keinen Schuldigen gibt.“, sagte Kozik damals. Auf dem dazu gestellten großen Foto sieht sie selbst sehr traurig aus, als ob es eben keine Schuldigen gegeben habe. Ohne Foto druckte „Neues Deutschland“ am 25. Februar 2005 eine Art Leserbrief von Christa Kozik, Überschrift „Stolz sein auf Deutschland ist unmöglich“. Mehr tiefe Frustration in einem 100 Millimeter hohen Vierspalter kenne ich nur aus Leserbriefen ehemaliger SED-Kreisleitungsmitglieder, die mich in meiner Lokalredaktion sehr regelmäßig und stets gleichen Sinnes beglückten und nicht selten anriefen, wenn ich vom Recht der Redaktion Gebrauch machte zu kürzen, auf das immer am Ende der Leserbriefspalte in 8-Punkt-Schrift hingewiesen wurde.

Nachfolgend meine Besprechung für „Neues Deutschland“ vom 21. Januar 1989, wiedergegeben nach dem Typoskript, Daten zur Druckfassung siehe oben:

Handlich kommt es daher und gediegen ausgestattet und ich weiß nicht einmal, wie man dieses Papier nennt. Auf dem Leineneinband ist ein geöffneter Mund zu sehen und unter jedem Gedicht eine graphische Winzigkeit von Regine Grube-Heinecke. Christa Kozik: „Tausendundzweite Nacht“ – mehr nicht, kein Klappentext, keine biographische Notiz, die Gedichte sollen für sich sprechen. Sie sind geordnet. „Tage und Nächte“ steht über ihnen und „Sieben Nachtstücke“, „Gesichter und Medaillons“ und „Kinderfarben“, „Eigene und fremde Gärten“ und „Bekenntnisse“. Sie wollen einzeln gelesen werden und in dieser Ordnung. Sie sperren sich der alles umgreifenden Formel. Wem auch nützte eine solche? Eine Frage an diese Gedichte könnte lauten: Rief das alles nach dieser und nur dieser Form? Es musste zu diesen Formen werden, für Christa Kozik. Nach dem „Poesiealbum“ Nr. 158, das 1980 erschien, ist dieser schöne Band die große Ernte aus einem Vierteljahrhundert, die lyrische Ernte. Kinderbücher und Spielfilmszenarien haben Christa Koziks Namen ja längst zu einem Begriff werden lassen, sie hat den Nationalpreis erhalten. „Was tun wir nur, wenn / wir alt sind und artig sein müssen mit unsren Puppen- / lappen, den Hemdchen, Spitzen und Strumpfhaltergür- / teln, den losen Nachthemden, den schwarzen und wei / ßen Strümpfen? – Wir werden ein Feuerchen machen.“ Fragt Christa Kozik die „schöne Freundin mit den Sommersprossen“. „Aus meinen bunten Gewändern nähe ich Vorhänge für die Bettchen der Kinder …“.

Mit dem Gedicht “Siebentausendundsiebente Nacht“ schließt der Band: „Weinend liegen wir uns in den Armen und es / bäumt sich was auf in uns gegen das Ende / des Märchens.“ Vor allem und immer wieder sprechen Christa Kozik’s Gedichte von Liebe. Es ist Liebe im „Jahrhundert der Frauen“, die beschworen wird, spielerisch, nie merklich bedacht auf Abgrenzung gegen längst Gesagtes. Das längst Gesagte ist ja längst nicht allen gesagt worden und die es vernommen haben, haben es längst nicht alle verstanden. Vielleicht wäre eine Angabe der Entstehungsdaten der einzelnen Gedichte doch hilfreich gewesen: sonst steht der Eindruck, hier rede eine der anderen nach, hier käme Scheherezade schon mit Blasen an den Füßen daher, dazwischen. Gedichte, die untereinander korrespondieren innerhalb eines Bandes, wenn ihre Ordnung streng ist, behaupten Stereotype, wenn diese Ordnung willkürlicher Regung entstammt.

Es wiederholt sich vieles in diesen Gedichten, so wie es sich im Leben wiederholt seit Urzeiten und doch bewegt sich die Tür zum Geliebten noch immer in den Angeln der Welt. Hier sind die Männerbeschwörungen nicht bissig, alles mehr freundlich, mehr zart, mehr mit den Fingerspitzen. Die HERRLICHKEIT wird nicht verdammt. Die Gedichte Christa Kozik’s verrätseln nicht, Form ist ihnen weithin äußerlich, sie wollen verstanden werden. Wo sie große Dichterinnen hereinholt, die Droste etwa oder die Lasker-Schüler, Sappho aus ferner Vergangenheit und die früh verstorbene Edith Södergran, dort scheinen Wahlverwandtschaften auf, die auch Last sein können. Mich hat Christa Kozik am stärksten dort berührt, wo sie die Lebensmitte umkreist, Traurigkeiten nicht verbirgt und Trotz, wo sie anderen Frauen, Katharina, Johanna, Ingeborg, ihre Zuneigung entgegenbringt.

Zu Regina Scheers Besprechung druckte der Sonntag, siehe oben, meinen nachfolgenden Brief, die Wiedergabe erfolgt auch hier nach dem Typoskript:

Ein Satz in Regina Scheers Anmerkungen zu den Gedichten Christa Kozik’s hat mich stutzig gemacht: „Doch ich fürchte, Menschen von traditionell männlich-nüchterner Denkungsart werden diese Gedichte ebenfalls missfallen, weil ihnen die angeblich wirklich wichtigen Dinge des Weltgeschehens fehlen werden.“ Ich bin mir nicht sicher, ob Christa Kozik’s Gedichte zwischen die Pole verbissener Frauenrechtlerinnen und männlicher Rational-Machos gestellt werden müssen. Es sind Gedichte eigener Art wie alle halbwegs brauchbaren Gedichte. Ihr Erfolg hängt von allem Möglichen und auch Unmöglichen ab, ganz zuletzt von ihrer Qualität. Mutig finde ich es allerdings auch, SOLCHE Botschaften vom eigenen Ich zu geben, dies wäre eine eigene Thematik. Die „wirklich wichtigen Dinge des Weltgeschehens“ allerdings haben nun so wenig mit der traditionell männlich-nüchternen Denkungsart zu tun wie nur irgendetwas.

Oder doch: der traditionell männlich-nüchterne Friedrich Engels zum Beispiel schickte dem ähnlich veranlagten Karl Marx in regelmäßigen Abständen englische Pfunde, damit jener in einiger Sicherheit die Nebelbildungen des Alltagsverstandes über die kapitalistische Gesellschaft theoretisch zerstören könnte. Muss man wirklich Frau sein, um zu behaupten, dass „die Alltagserfahrung des Menschen eigentliches Maß“ sei?? Eine absurdere Logik kann ich mir, traditionell wie ich nun einmal bin, nicht vorstellen? Von Christa Kozik’s Gedichten will ich keineswegs eine Aufhellung des gesellschaftlichen Kausalnexus verlangen, es gibt ja auch lyrische Arbeitsteilung, nur als Tugend möchte ich mir nicht andrehen lassen, was ich als Eigenheit akzeptieren muss. Regina Scheers Gedanken zu Ende denken – das endet wohl in der Froschperspektive, die Gorki, leider auch nur ein Mann, schon vor 80 Jahren einmal aufspießte.

Soweit mein einstiges Schreiben über Christa Kozik, welches ich, mit Glückwunsch verbunden, heute beende mit dem bescheidenen Hinweis, dass ich, was Lena Schneider zum Jubiläum für den „Tagesspiegel“ zum Druck gab, als wohltuend empfinde, Privates weniger ausklammernd als oben zitierte andere Autoren. Und auch das ist 30 Jahre nach 1990 noch immer deutlich spürbar: der „Tagesspiegel“ wird nicht für DDR-sozialisierte Leser geschrieben. Seine Leser müssen mit Namen geködert werden, die ihnen (im Westen, also auch in Westberlin) vertraut sind: Sarah Kirsch und Wolf Biermann, Ulrich Mühe und Jenny Gröllmann und auch ein Hinweis auf die Nacktheit der Darsteller in „Sieben Sommersprossen“ fehlt nicht. Das war eine andere Nacktheit als die der „Schulmädchen-Report“-Reihe für Bahnhofskinos, auf die die DDR-Bürger noch zu warten hatten. Und auch das weiß ich nun: „Ein Foto, das Lindgren und Kozik in den 1980er Jahren in Stockholm zeigt, hängt über Koziks Schreibtisch in ihrem Babelsberger Arbeitszimmer.“ Dass ein Gegenbesuch von Astrid Lindgren auf Einladung des Kinderbuchverlages in der hinschwindenden DDR nicht mehr zustande kam, ist „Neues Deutschland“ wichtiger als dem „Tagesspiegel“.


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