Goethes Faustina
Goethe, kicher, Sie wissen schon, der alte Geheimrat, der war, zwinker, auch kein Kostverächter. Besonders, zwinker, was die Frauen betraf. Man weiß das ja, zwinker. Ja, was weiß man denn eigentlich, liebe Schwafelköpfe? Der arme kurze Kerl, dem vor hundertfünfzig Jahren in Weimar ein Denkmal mit vermeintlichem Kumpel gewidmet wurde, das, wenn man ein wenig mehr weiß, dem aktuellen Volksempfinden damals eher in Bezug auf Friedrich Schiller als auf Johann Wolfgang entsprach, kann sich nicht wehren gegen seine ahnungslosen Liebhaber.
Immer wenn das August-Ende sich nähert, ist nicht nur in Ilmenau Hausberg-Time, sondern es goethet auch sehr allüberall. Vor 20 und mehr Jahren längst gründlich und tief beerdigter Wortmüll ist ebenso gründlich reaktiviert, dass heute sogar Leute, denen noch ein in Großschrift gedruckter Sekunden-Goethe als Hörbuch zu anstrengend wäre, ohne Gewissensbisse vom Dichterfürsten latschern und meinen etwas zu wissen, das andere, die auch schon nichts wussten, irgendwann einmal in die wehrlose Welt erbrachen.
Die etwas Eingeweihteren, also die, die sich in regelmäßigen Abständen versammeln in seinem Namen oder gar einer Gesellschaft seines Namens einen Jahresbeitrag entrichten, wissen dagegen vielleicht von Goethes römischem „Faustina“-Erlebnis. Ach, wie schön, denke ich immer, wenn ich an Faustina denke, die man sich wohl vorstellen muss wie Andrea Ferreol mit nacktem Hintern im Kuchenteig in Marco Ferreris „Das große Fressen“, ach, wie schön passend, dass der Faust-Dichter in Rom ein Faustina-Erlebnis hatte.
Sonst wäre er wohl bis ans Ende seines Lebens immer geflüchtet, wenn es ernster zu werden drohte mit einer aktiven Person weiblichen Geschlechts. Wie er es all die Jahre tat, ehe er sich heimlich aus Karlsbad über die Alpen entfernte. Böse Zungen behaupten ja, er hätte sich nur deshalb in Charlotta von Stein so verliebt, wie er es sich selbst in seinen siebzehn Millionen Briefen an diese Stallmeisters-Gattin einredete, um der zweiten Seele, ach, in seiner Brust stets sagen zu können: Ich täte schon, doch gehen tut es nicht.
Wer die erdigste Version dieses seltsamen Verhältnisses kennen möchte, der lese von Peter Hacks, dem wahrscheinlich einzigen Tiefstüberzeugungs-Stalinisten der verblichenen DDR-Literatur, „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“. Man könnte angesichts dieser Köstlichkeit selbst ein Stalinist werden, wenn das so leicht ginge, ach. Und dann hätte das dämliche Zwinkern zum Kostverächter sogar noch einen Rest-Sinn.
Kaum aber war Goethe, dessen Herzog heute auf gar keinen Fall länger als sechs Minuten dreißig Sekunden Personalchef auch einer kleineren Firma geblieben wäre, weil er seinen Allzweck-Mitarbeiter nicht mit großem Horn aus dem selbst erteilten Langzeit-Urlaub zurückblies, wieder zu Hause, da war das Restsäuseln für Charlotta, das in den Briefen noch wie ein Nachbeben bubberte, endgültig hinweg. Goethe ergab sich einer germanischen Faustina namens Christiane und zwar so vollkommen und hingebend, das man ahnt, wie energisch die Dame in Rom zugegriffen hatte. Es muss ihm von unten her die Ohrläppchen hochgedrückt haben...
Der Rest ist bekannt. Noch der Mümmelgreis, der seinem Eckermann in den Steno-Block diktierte, welch bedeutende, weltbedeutende Gedanken ihm so kamen, wenn sein Blick das Universum umfasste, noch dieser alte Jüchtel träumte sich was mit Damen, die bequem seine Enkelinnen hätten sein können. Doch, zwinker, die Betonung liegt hier und immerdar auf: träumte. Denn wirkliche Genies brauchen nicht das Blasorchester, ihnen reicht schon die reine Vorstellung eines Flötensolos.
Zuerst in: Ullrich's Ecke, 8. September 2007