Hans Wahl: Alles um Goethe
Zu Goethes Todestag auf ein Buch hinzuweisen, das den Titel „Alles um Goethe“ trägt, wirkt fast ein wenig dreist. Das Buch ist jedoch alt genug, um selbst bei heftigster Werbung keinen Umsatzschub mehr zu erfahren. Es stammt aus dem Jahr 1962, sein Verfasser Hans Wahl, der lange das Goethe- und Schiller-Archiv leitete, lebte da schon etliche Zeit nicht mehr. Er starb am 18. Februar 1949 wenige Monate vor Vollendung seines 64. Lebensjahres und zu früh, um die Hauptereignisse des heute schon wieder historischen Goethe-Jahres 1949 noch selbst zu erleben. Das Buch erschien im Gustav Kiepenheuer Verlag Weimar und eröffnete die handliche und über die gesamte Zeit ihrer Existenz substantiell hochwertige Gustav-Kiepenheuer-Bücherei als Band 1.
Dora Wahl, die Witwe, sorgte für diese Zusammenstellung kleiner Aufsätze und Reden, es sind vierzehn an der Zahl, die für Ilmenauer höchst erfreulich beginnt, denn gleich der erste Beitrag ist „Goethe und Ilmenau“ überschrieben und war seinerzeit der Jahrhundertfeier von Goethes letztem Geburtstag gewidmet, die in das Jahr 1931 fiel. Hans Wahl begann mit den Zahlen: „Wir wissen von achtundzwanzig Aufenthalten, die zusammen rund achtundzwanzig Wochen ausmachen. Vier von ihnen umschließen den achtundzwanzigsten August und umfassen zusammen achtundzwanzig Wochen.“ Der erste Ilmenauer Geburtstag Goethes war der achtundzwanzigste, drei weitere im Abstand von je achtzehn Jahren folgten, in diesem Jahr 2013 jährt sich der vorletzte zum zweihundertsten Male.
Bezogen auf seinen eigenen Redeanlass hielt Hans Wahl ein wenig pathetisch, wie unter Goethe-Freunden selten ganz vermeidbar, fest: „Von dieser gewaltigen Last befreit, schenkte er seinem Leben vier Tage Ilmenau, schenkte er Ilmenau vier Tage seines Lebens.“ Die gewaltige Last war natürlich „Faust. Der Tragödie zweiter Teil“. Ilmenau war, so wollte es der Redner sehen, „die letzte Ausflucht Goethes aus der klösterlich strengen Zelle am Frauenplan in die erquickenden Höhen und Weiten einer Natur, die wie keine zweite im Thüringer Land innerlich berechtigt war, den Ring dieses großartigen Lebens zu beschließen.“
Das Büchlein mit seinen insgesamt nur 193 kleinformatigen Seiten enthält einen Aufsatz über „Goethe und Wieland“, der im Wieland-Jahr 2013 mehr als nur registrierende Beachtung verdient, es behandelt unter der neugierig machenden und letztlich doch ein wenig irritierenden Überschrift „Iphigenie auf Neuseeland“ ein Bilderschicksal. Europäisch-großzügig ordnet Hans Wahl Neuseeland Australien zu, um dann auf das Bild einzugehen, welches Iphigenie und Orest zeigt, dargestellt von Corona Schröter und Goethe höchstselbst. Man kennt das Bildmotiv, seine Geschichte und speziell den Anteil Neuseelands daran freilich deutlich weniger: Goethe steht theatralisch, noch viel theatralischer aber lehnt sich Corona-Iphigenie an seine Schulter.
Die umfänglichste Arbeit der Sammlung trägt den Titel „Sebastian Simpel“ und behandelt ein Knittelversgedicht, das die Nachlass-Herausgeber Riemer und Eckermann etwas umständlich „Dem Herzog Carl August bei dessen Besuch auf dem v. Steinischen Rittergute Kochberg, überreicht von Goethe in der Verkleidung eines Landmanns“ überschrieben hatten. Zu diesem von einem fiktiven Verfasser Simpel unterzeichneten Gedicht kommt Hans Wahl gleich mehrfach erneut auf Ilmenau zurück. Es geht um das berühmte Gedicht „Ilmenau“, es geht um die bekannte Figur Krafft, um das Bergwerkswesen. Auch Peter im Baumgarten liefert ein wenig Stoff für den abschließenden Beitrag „Wohnung des Friedens“. Gemeint ist Goethes Gartenhaus, in dem der junge Schweizer bekanntlich seinen Förderer 1777 als unangemeldeter Besucher überraschte. Und bald eine Lavater-Büste mit Tinte übermalte, was dem Hausherrn viel Humor abverlangte. Das Buch ist von vorn bis hinten lesenswert und auf Details versessen, die man durchaus gern zur Kenntnis nimmt.
Zuerst veröffentlicht in: der NEUE Geheimrat, Ausgabe 49, 2013, S. 34