Dürrenmatt: Der Meteor
Man kann, noch ehe man den ersten Blick auf das Personenverzeichnis geworfen hat, noch ehe man überlegt hat, wer Leonhard Steckel sei, und auf alle Fälle vor der Lektüre der fast naturalistisch ausführlichen Szenenbildbeschreibung für den ersten Akt, sich die einfache Frage vorlegen: Was ist eigentlich ein Meteor? Griff zum kleinen Fremdwörterbuch: Meteorit gibt es, Meteor nicht. Der Meteorit ist das Bruchstück eines anderen Himmelskörpers. WIKIPEDIA vermeldet vorab zu Meteor: Dieser Artikel behandelt Leucht- und Wettererscheinungen am Himmel. Eine polnische Höhenforschungsrakete hieß Meteor. Einige sowjetische Satelliten auch. Dazu eine europäische Luft-Luft-Rakete, ein Springpferd. Kaiser Wilhelm II. nannte seine Segelyachten Meteor, einige Kriegsschiffe hießen Meteor, eine Jonglierrequisite heißt ebenso, nicht weniger als sieben Automarken hießen so und schließlich, schließlich heißt ein Stück von Friedrich Dürrenmatt so. Letzteres überrascht uns am wenigsten, denn just dieses Stück haben wir vor Augen. Von Leonhard Steckel wissen wir rasch, dass er ein Schauspieler war, ein Hörspielsprecher und ein Regisseur. Er spielte als erster die Hauptrolle in „Der Meteor“, war am 20. Januar 1966 im Schauspielhaus Zürich zum ersten Mal Wolfgang Schwitter, der Nobelpreisträger, der einfach nicht stirbt.
Liest man, was andere über „Der Meteor“ geschrieben haben, inszeniert wird der wild-verrückte Zweiakter offenbar schon lange nicht mehr, dann erkennt man rasch, dass die hier nur scheinbar spielerisch aufgeworfene Ausgangsfrage tiefen Sinn hat. Über Literatur schreiben fast immer Literaturspezialisten, das heißt sehr häufig Professoren, die ihre Mitarbeiter zwar gern mitarbeiten lassen, die potentiellen Publikationsplätze aber belegen wie ein urgermanischer Urlauber die Liege am Strand. Wer es im Felde der Literatur bis zur Professur gebracht hat, ist nahezu unausweichlich ein Spezialist und das sind bekanntlich Menschen, die von immer weniger immer mehr wissen, bis sie final von nichts alles wissen. Selbst Spezialisten aber erleben, siehe oben, Leucht- und Wettererscheinungen am Himmel. Vielleicht hat ihnen einst Papi erklärt, dass die Sternschnuppen da oben, bei denen man sich etwas wünschen darf, eigentlich Brocken sind, die da in der Atmosphäre verglühen. Vielleicht war Papi seinerseits ein Spezialist, übersetzte mittelhochdeutsche Stabreime ins Syrische und konnte folglich profanen Dingen wenig Aufmerksamkeit widmen. Dann hätte der werdende Professor alles auf seinen Lebensweg mitbekommen, was ihn zur Marke macht. Was ihm ein Meteor sei, wird er frei zu Papier bringen.
Manche haben es sich ganz einfach gemacht: „Der Meteor (1966) repetiert einige oft erprobte Wiederholungsszenen und flieht dann eigentümlich egoistisch in eine Diskussion über Dichterruhm, Veröffentlichungen und missgünstige Literaturkritiker.“ Gäbe es demzufolge auch Fluchten im Interesse von Gesamtheiten, altruistische Fluchten? Wiederholungsszenen zu wiederholen wäre dann eine besonders perfide Dramaturgie. Der seine Unlust, sich mit dem Stück tatsächlich auseinanderzusetzen, so lustlos und „eigentümlich“ gedankenlos hinschrieb, war Peter Demetz in seiner kritischen Einführung in die deutsche Literatur seit 1945 mit dem hübschen Titel „Die süße Anarchie“. Er hätte wenigstens anstandshalber von deutschsprachiger Literatur schreiben sollen, so irritierte er keineswegs nur die immerhin einbezogenen DDR-Autoren, auch die aus Österreich und der Schweiz dürften sehr wahrscheinlich, zu mindestens einige. Beatrice von Matt hatte Demetz gegenüber einen enormen Vorteil: Sie sah die Uraufführung. Ihre Kritik erschien am 25. Januar 1966 und enthielt diesen Satz: „Der Meteor bricht von irgendwoher ein in die Atmosphäre der Erde und, indem er selbst verbrennt, zerstört er, was in seine Strahlkraft gerät.“ Nein, liebe Frau von Matt, das tut er nicht. Er kommt auch nicht von irgendwoher, selbst wenn es uns so scheint.
Noch einmal WIKIPEDIA: „Als Meteore werden heute vor allem die Sternschnuppen genannten Leuchterscheinungen bezeichnet. Sie werden von kleinen, in die Erdatmosphäre eindringenden Meteoriden erzeugt, die beim Verglühen die Luftteilchen ionisieren. Die wenigen bis zur Erdoberfläche herabfallenden Körper nennt man Meteorite.“ Klartext für Drameninterpreten, die sich am Symbolgehalt des Titels abarbeiten möchten: Die überwiegende Mehrzahl aller Meteore zerstören nichts und niemanden, schon gar nicht mit ihrer Strahlkraft. Die wenigen, die auf der Erde ankommen, zerstören allermeistens ebenfalls nichts und niemanden, denn sie sind sehr klein, wenn auch nicht klein genug, um vorher vollständig in der Atmosphäre zu verglühen. Dann bleiben die Brocken, die in der Tat verheerende Wirkungen haben können. Der berühmte Tunguska-Meteorit mähte kilometerweit die Taiga nieder, andere hinterließen Krater zum Teil gigantischen Ausmaßes, einer soll gar für das Aussterben der Dinosaurier verantwortlich gewesen sein. Im Stück zerstört Wolfgang Schwitter, wenn man es so sehen mag, sogar tatsächlich mit einer seltsamen Strahlkraft, nur wäre dafür die Metapher Meteor dann doch ein wenig schräg. Nimmt man den Meteor freilich als unerwartet auftauchende und rasch verschwindende Lichterscheinung, passt es viel besser.
Wolfgang Schwitter ist schließlich nicht irgendwer, er ist Literatur-Nobelpreisträger und als solcher meiner Kenntnis nach der einzige seiner Art, der je Bühnengestalt wurde. An diesem Umstand sehen ausnahmslos alle Interpreten großzügig vorbei. Als wäre es nicht von höchstem Interesse, beispielsweise, wie es sonst ja selbst in harmlosen Fällen immer wieder geschieht, darüber zu mutmaßen, ob dieser Schwitter Züge von irgendeiner realen Person, irgendeinem Preisträger zeigt. Dürrenmatt hat, daraus soll hier kein künstliches Geheimnis gemacht werden, noch einen zweiten Literatur-Nobelpreisträger zur dramatischen Person gemacht, einen gewissen Maximilian Friedrich Korbes, der im Personenverzeichnis des Hörspiels „Abendstunde im Spätherbst“ (tolles Spiel, ganz tolles Spiel) nur als „Der Autor“ erscheint. Von Korbes erfährt der Hörspiel-Hörer, wofür er den Preis erhielt und das ist genau das, womit ganz zufällig Friedrich Dürrenmatt fast noch mehr Ruhm einheimste als mit seinem Bühnenschaffen: mit Kriminalromanen. Von der Korbes-Figur ließe sich deshalb sofort sagen, sie enthielte als eine Facette ihrer Wirkungsintention den herzlichen Wunsch ihres Schöpfers, das Komitee in Stockholm möge doch auch einmal einen Krimiautoren wählen.Tatsächlich hat bis heute nie ein Autor dieses Genres den Preis und das Geld dazu bekommen.
Von Wolfgang Schwitter erfahren wir nicht, was er geschrieben hat, denn die Nachruf-Rhetorik, die der „Starkritiker“ Friedrich Georgen im Stück aufbietet, geht über die pompöse Phrase nicht hinaus. Hinter diesem Kritiker haben einige Interpreten dann doch ein reales Vorbild erkannt: Friedrich Luft. Der Beleg ist ein Wort aus dem Mund des Schwitter-Verlegers Carl Conrad Koppe: Luft. Der wirkliche Luft hat Dürrenmatt eher gemocht, selbst wenn seine „Meteor“-Kritik aus unerfindlichen Gründen nicht in die zweibändige Sammlung seiner Theater-Kritiken aufgenommen wurde, sie war dem Herausgeber vielleicht zu wohlwollend, als es schon allgemein üblich wurde, sich von Dürrenmatt im Geiste zu verabschieden, wie es die fiktive Öffentlichkeit im Stück auch von Schwitter bereits getan haben soll. Was auffällt neben der Tatsache, dass die Interpreten den Status der Hauptfigur Schwitter als irrelevant ansehen, ist ihr eigenes auf ihn gemünztes Vokabular. Er wird auffallend oft Literat genannt. Das aber ist in deutscher Sprachtradition fast ein Schimpfwort, das eigentliche Adelsprädikat für Autoren heißt hierorts Dichter, Schriftsteller ginge eben noch, Autor auch, aber Literat eben nicht, das ist mindestens abschätzig und es fiele auf den ersten bis vierten Blick schwer, einen tatsächlichen Nobelpreisträger zu benennen, der ein „Literat“ war.
Selbst wenn aber, einigen Interpreten folgend, Wolfgang Schwitter wie ein Meteorit einschlägt und dabei etliche Personen vernichtet, die dem Einschlagpunkt zu nahe kamen, bleibt die Metapher fragwürdig. Meteoriten, die alles vernichten, selbst aber „überleben“, gibt es schlicht und ergreifend nicht und gab es nie. Auch Dürrenmatt selbst war kein Astrophysiker, was ihm nicht als Mangel auszulegen ist. Es ist nicht einmal ganz sicher, ob er ein Mann war, der gern dünnes Eis betrat, seine Leibesfülle hätte ihm derartige Wünsche rasch ausgetrieben. Eine halbwegs sinnvolle Deutung des Titels „Der Meteor“ ist also nur im Sinne einer Lichterscheinung möglich, alles andere gerät in Stolperfallen. In der Popmusik gibt es das Phänomen des One-Hit-Wonders, die wären gewissermaßen die krasse Form solcher Lichterscheinungen. Eine, die es im Felde der Literatur bis zum höchstdotierten Preis bringt, muss also schon eine gewisse Himmelspräsenz aufweisen, ihre Bahn darf, im Bild zu bleiben, nicht sehr flach über dem Horizont verlaufen. Dürrenmatt lässt uns hinsichtlich seines Wolfgang Schwitter da leider arg allein. Wir wissen aber als vorgebildete Kenner seines Schaffens, dass psychologisch-faktische Fein-Motivierung gar nicht sein Ding war. Ihm geht es eher um Typ, gar Archetyp, das wirkliche Individuum interessiert ihn nicht, wurde oft gesagt.
Dieser Wolfgang Schwitter also liegt schwer krank in einem Spital darnieder, an seiner Seite die übergroße Medizin-Kapazität Professor Schlatter, der den Tod seines prominenten Patienten feststellt und damit die Maschinerie des Kulturbetriebs in Gang bringt. Man ist auf diesen Tod vorbereitet, das ist so, auch heute haben die großen Redaktionen und alle, die sich dafür halten, vorsorgliche Nachrufe in Auftrag gegeben und in den Schubladen deponiert, die heute nicht einmal mehr Stehsatz heißen, sondern Dateien sind auf internen und externen Festplatten, in der Cloud oder wo auch immer. Wegen der gewandelten Technik sind mittlerweile sogar Tage nach dem Tod ganze Biographien keine Unmöglichkeit mehr, auch hier wird Vorratsdatenspeicherung betrieben, um den Begriff einmal herzlich zu missbrauchen. Kaum also ist Schwitters tote Kinnlade mit Tuch fixiert, sind seine Augen zugedrückt, rollen die Krokodilstränen des Betriebs. Die Idee Dürrenmatts, der Einfall, den er hatte, den man durchaus genial nennen darf, jedenfalls rasend bühnenwirksam: Wolfgang Schwitter erhebt sich von den Toten, flüchtet mit anderthalb Millionen im Koffer und allen Manuskripten an einen Ort seiner Jugend, in das Atelier, in dem einst seine Laufbahn begann und in dem jetzt der Maler Hugo Nyffenschwander seine nackte Gattin Auguste malt.
Dort aber will er keineswegs nostalgischen Erinnerungen nachhängen, dort will er sterben. Denn er will wirklich sterben, seine Auferstehung von den Toten ist ihm fatal. Was folgt, hat Georg Hensel, der nicht zu den großen Anhängern Dürrenmatts gezählt werden darf, knapp so umrissen: „Aus diesem Grundeinfall lassen sich die grotesken Situationen geradezu mathematisch ableiten“. Ob das dann gegen die abgeleiteten Situationen spricht, steht dahin. Die Welt ist voller Autoren, die gerade nicht in der Lage sind, ihren eigenen Ideen bis zur letzten Konsequenz zu folgen, das muss einer erst können. Man kennt Dürrenmatts Diktum von der schlimmstmöglichen Wendung. Und für „Der Meteor“ hat er dann sogar noch zwanzig Punkte eigens aufgeschrieben, die als Basis für eine Diskussion im Februar 1966 gedacht waren. Und heute als Deutungshilfen herhalten, die ihm nach Bedarf abgenommen, die aber auch voll Entrüstung zurückgewiesen werden. Mit einer Auferstehung, die nicht als Erwachen aus dem Scheintod gelesen werden soll, haben diverse Menschengruppen ihre Schwierigkeiten. Auferstanden von den Toten ist nur Einer, der gern in Großbuchstaben geschrieben wird und der wiederum hat selbst auch einen auferstehen lassen, einen gewissen Lazarus, den Namensgeber aller Lazarette.
Und nun dieser dicke, großmäulige, lärmige, versoffene, nihilistische Kerl, dem nichts Besseres einfällt, als seine Manuskripte und seine anderthalb Millionen zu verbrennen! Der Pfarrer Emanuel Lutz, Schwitters Brenngehilfe, hätte gern wenigstens vom Geld ein wenig abgehabt, eine Tausendernote „für den Freibettenfonds“ oder „für die Mohammedanermission“, das wird ihm aber nicht zugestanden. Den Pfarrer rührt der Schlag angesichts des Wunders, das er bereit ist, als solches anzuerkennen. Die weiteren Toten sollen hier nicht alle Revue passieren, es stirbt auch seine vierte Gattin Olga, es stirbt seine Schwiegermutter, Frau Nomsen, der Maler Nyffenschwander wird von seinem Vermieter Muheim, „der große Muheim“, die Treppen hinuntergeworfen. Die nackte Auguste, laut Dürrenmatt soll man sie auf der Bühne auch durchaus nackt sehen, wofür es 1966 in der dann doch etwas prüden Schweiz noch zu früh war, die nackte Auguste also ist von Beginn an fast unterwürfig bereit, jeden Wunsch zu erfüllen, den Wolfgang Schwitter äußert. Insofern ist es folgerichtig, wenn sie am Ende des ersten Aktes zu ihm ins Sterbebett steigt. Was zur Folge hat, dass Schwitter am Beginn des zweiten Aktes erst einmal wieder tot ist, mausetot, wie es diesmal scheint, und dennoch: Wieder erhebt er sich, wieder ist er erhoben, Wunder 2.0 hieße das heute.
Wolfgang Schwitter „will ehrlich sterben ohne Fiktion und ohne Literatur.“ Zum Pfarrer Lutz sagt er: „Ich habe keine Seele. Dafür reichte die Zeit nicht. Schreiben Sie einmal jedes Jahr ein Stück, und sie melden Ihr Innenleben auch schleunigst ab.“ Herrlich, wie der Pfarrer ihn tröstet: „Auch ich bin zu nichts nütze. Wenn ich predige, schläft die Gemeinde ein.“ Zum Vermieter Muheim sagt Schwitter: „Ich war unbekümmert, als ich zu schreiben begann. Ich hatte nichts im Kopf als meine Einfälle, ich war versoffen und asozial. Dann kamen die Erfolge, die Preise, die Ehrungen, das Geld und der Luxus.“ Und dann, was am häufigsten zitiert wird aus diesem grotesken Zweiakter: „Ein Schriftsteller, den unsere heutige Gesellschaft an den Busen drückt, ist für alle Zeiten korrumpiert.“ Die sich den Luxus gönnen, den Busen der Gesellschaft demonstrativ und werbewirksam zu verschmähen, enden, wie es Heinrich Böll einmal in tiefer Bitterkeit vermerkt hat, als die Hofnarren der Gesellschaft. Weltekel und Selbstekel, das wollen wir wohl und gern einräumen, kann einen befallen, wenn angesichts des nahen Todes die Lebenslügen einfach nur noch albern sind. Dann wird die Bilanz verheerend, dann liest sich das so, wie es dieser Wolfgang Schwitter am Ende seiner Schwiegermutter, der Klofrau Nomsen, die ihn besucht, vorträgt.
Dietrich Simon, der für DDR-Leser die zweibändige Ausgabe mit Dürrenmatt-Stücken im Verlag Volk und Welt Berlin herausgab, war beim Blick auf „Der Meteor“ klüger als die meisten Interpreten des übrigen deutschsprachigen Raumes. Er sprach von „strenger Beschränkung“ und vermied so, was sich seine westlichen Kollegen an Phantom-Debatte auf die eigenen Tische zogen, wenn sie bei dem Schweizer das Aristotelische diagnostizierten, um es anschließend mit mehr oder minder viel Aufwand wieder als doch nicht aristotelisch zu charakterisieren. Das Aristotelische auf die berühmt-berüchtigten „drei Einheiten“ und nur darauf zu beziehen, um es dann zu finden, zu vermissen, als beibehalten zu beklagen oder als vernachlässigt, hat noch wie weit geführt. Es ist auch nur scheinbar pfiffig, ein Werk antiquiert zu nennen, weil es antike Dinge adaptiert. In der Debatte über die Inhalte von „Der Meteor“ hat gerade anhand der Auslassungen des Schwitter-Sohnes Jochen das Antiquierte von Dürrenmatt einige Gemüter bewegt. Antiquiert sei es, las man, gegenüber Peter Weiss, Heinar Kipphardt und „sogar“ Rolf Hochhuth. Das „sogar“ an dieser Stelle erheitert mich immer noch, wenn ich es hier abschreibe. Dabei hat das Nötige zu allem bereits 1971 Siegfried Melchinger in seiner „Geschichte des politischen Theater“ aufgeschrieben.
Dort las man: „Die Alternative der fiktiven Fabel ist nicht das „Dokumentarische“; das lehren die Erfahrungen mit der rasch versickerten Welle des so benannten politischen Theaters der sechziger Jahre.“ Nur in Literaturgeschichten wird noch fußnotenartig an die Verkündigung des „Todes der Literatur“ in Hans Magnus Enzensbergers Kursbuch 15 aus dem Jahr 1968 erinnert, der damalige Debatteneifer wirkt jetzt auf Unbeteiligte wie Realsatire. Wirklich ernst genommen haben das nicht einmal die Verkünder der These, wie einige Jahre vorher Adornos Diktum gegen Lyrik nach Auschwitz wohl kein einziges Gedicht verhindert hat, das geschrieben werden wollte und sollte. Der Unfug mit der Hypostasierung des Dokumentarischen hat freilich Anteil daran, dass Dürrenmatt aus Blickfeld und Mode rutschte, ohne je zu einer wirklichen Renaissance zu kommen danach. Es ging ihm bis zu seinem Tod 1990 wie den Exilautoren, die nach zwölf Jahren Diktatur, wenn es auch in diesem Fall nur die Diktatur des Literatur- und Bühnenmarktes war, ihr Publikum verloren hatten. Ein Stück wie „Der Meteor“ zeigt, wie schade das ist. Für Leonhard Steckel war es die letzte große Erfolgsrolle 1966, eine Traumrolle eben. Steckel starb übrigens am 9. Februar 1971 bei dem Eisenbahnunglück von Aitrang und liegt in Berlin auf dem Friedhof Heerstraße.
Der Verleger Koppe sagt im Stück zum Kritiker Georgen: „Schwitter war nie verzweifelt, man brauchte ihm nur ein Kotelett vor die Nase zu setzen und einen anständigen Tropfen und er war glücklich.“ Und nennt den Nachruf-Text „Mumpitz“. Der Hauswart im Stück heißt Glauser, den Namen kennen nicht nur die Freunde des gehobenen Kriminalromans. Sollte der Name Schwitter ganz bedeutungsfrei sein, es gab ja immerhin einmal einen Kurt Schwitters? Im zweiten seiner zwanzig Punkte zum „Meteor“ schrieb Dürrenmatt sehr dezidiert: „Was der Autor beabsichtigte, ist seine Sache, was er darstellt, das objektive Resultat seiner Bemühungen.“ Davon unbeeindruckt gründeln seine Interpreten mit hingebungsvollem Eifer allzu oft genau bei den vermeintlichen Absichten. Von der Feststellung messerscharfer Selbstironie Dürrenmatts ist es dann nur ein kleiner Schritt bis zur Diagnose einer Schaffenskrise. Für die und gegen die dann nur noch Argumente und Belege zu suchen wären. „Die heutige Christenheit ist sich selber zum Ärgernis geworden. In dieser Perspektive ist der Auferstandene, der nicht an seine Auferstehung glaubt, eine Gestalt, die die heutige Christenheit versinnbildlicht. Insofern wir uns zu ihr zählen, lachen, ärgern, pfeifen wir über uns selber.“ Das steht nicht im Stück, nur in den Punkten dazu.
Um abschließend und etwas traurig, weil sehr viel ungesagt bleiben muss aus Platzgründen, noch einmal auf das Metaphorische des Stücktitels zurückzukommen, ein letztes Zitat: „Das physikalische Gleichnis des Meteors steht für das alle Naturgesetze außer Kraft setzende Wunder“, schrieb Manfred Durzak. Ob Astrophysiker solchen Unfug über Bühnenwerke in dicke Bücher über Astrophysik setzen würden? Nichts, rein gar nichts, setzt „alle“ Naturgesetze außer Kraft, folglich gibt es auch kein Gleichnis dafür. Erste Gedanken über eine Dramaturgie des Wunders soll sich Dürrenmatt übrigens schon 1959 gemacht haben, Anlass soll die Verfilmung des Romans „Das Wunder des Malachias“ des Schotten Bruce Marshall gewesen sein. Marshall lässt in seinem Roman ein tatsächliches Wunder geschehen, die Versetzung einer sündigen Bar von ihrem Standort neben der Kirche auf eine einsame Nordsee-Insel, später gibt es eine zweite Versetzung an ihren Ursprungsort zurück. Der bis heute einzige Schweizer Heilige, Bruder Klaus, musste genau deshalb so lange auf seine Heiligsprechung warten, weil er nicht hinreichend Wunder vollbracht hatte. „Der Meteor“, von Dürrenmatt Leonhard Steckel gewidmet, regt auch seltsame Gedanken an.