Kurt Guggenheim 125

Schriftsteller sind, wen wundert es, im Vergleich zu anderen, um nicht zu sagen: normalen, Menschen, besonders empfindsam. Die Einfallslosen reden über diesen Umstand gern im Bilde von Seismographen. Als gingen die Dichter auf Sohlen umher, denen die Welt, auf der sie wandeln, eine Art Fußreflexzonen-Massage verabreiche mit Spezialwirkungen auf Galle oder Zwerchfell, Herz oder Darmtrakt. Der Reaktionen sind vielfältige denkbar, die wirklichen Seismographen sind im Vergleich dazu ausdrucksarm: sie zeichnen Striche auf Papier mit unterschiedlichen Ausschlägen, nicht ein Buchstabe dabei. Der Dichter ist, schon wenn er A sagt, um dann sofort B als folgerichtig erscheinen zu lassen, dem Strichel-Gerät überlegen. Aber: Schriftsteller, die angeblich höhere Spezies der Dichter eingeschlossen, sind auch empfindlich. Sie haben, es leise überflüssig zu verdeutlichen, Mimosenhaftes an sich: sind beleidigt auch dort, wo außer ihnen selbst niemand eine Beleidigung erkennen würde. Kurt Guggenheim war 1958 beleidigt. Und er goss sein Beleidigtsein in einen Brief an Werner Weber, der die Beleidigung formuliert und in Druck gegeben hatte: in der Neuen Zürcher Zeitung, für die er als Kritiker arbeitete. Der Anlass: Max Frisch wurde 1958 mit dem Literaturpreis der Stadt Zürich ausgezeichnet, Werner Weber kommentierte in seiner Zeitung.

„Die Verleihung eines Preises kann eine Tat oder eine Verlegenheit sein: Mit Bezug auf Max Frisch wäre vor einigen Jahren die Tat fällig gewesen. Aber die Schweizer Literaturmühle mahlt langsam und fast nie trefflich – weil immer auch einige Brocken Konfessionelles, Politisches und eine ansehnliche Stange Bürgersinn mit hineingeschoben werden. Natürlich kann man, auch davon, die Notwendigkeit erklären; nur macht das Mühle nicht besser.“ Dies las Kurt Guggenheim (14. Januar 1896 – 3. Dezember 1983) als Zweifel an der Berechtigung seiner eigenen Würde als Preisträger der Stadt Zürich im Jahr 1955. Auch wenn in seiner Antwort auf dessen Brief Werner Weber eine solche Lesart als Unterschiebung sah, kann sie keineswegs einfach beiseite gewischt werden. Den Literaturpreis der Stadt Zürich gab es seit 1932. Es bekamen ihn Carl Gustav Jung (1932), Felix Moeschlin (1935), Maria Waser (1938), Hermann Hiltbrunner (1941), Robert Faesi (1945), Traugott Vogel (1948), Fritz Ernst (1951), Kurt Guggenheim (1955) und dann, erst oder schon, Max Frisch. 1948 war der, trotz erster Uraufführungen und Bücher, sicher noch kein Preis-Kandidat. 1951 oder 1955 wären also die Jahre gewesen, in denen Frisch laut Werner Weber den Preis hätte bekommen müssen, den dann folgerichtig Fritz Ernst oder Kurt Guggenheim eben nicht bekommen hätten.

Guggenheim sieht in seinem Brief den Bürgersinn als nicht wegzudenken aus der Schweizer Literatur und schreibt dann: „Die Wurzeln unserer Kraft liegen nicht in der Skizze, dem Fragment, sondern in der unbestreitbaren, unbeirrbaren lebensgroßen Wirklichkeit unseres schweizerischen, staatsbürgerlichen Daseins, das wir unter allen Drohungen, allen Angstmachereien und aller Kritik niemals als maskenhaft, als Larve, als fragwürdig ansehen werden.“ Es ist hilfreich, an dieser Stelle auf die Werkbiographien von Guggenheim und Frisch zu verweisen, die den Hintergrund für eine solche Briefstelle liefern: Kurt Guggenheim hatte zwischen 1952 und 1955 sein umfangreiches, vier Bände umfassendes Roman-Werk „Alles in Allem“ vorgelegt, davor schon die Romane „Entfesselung“, „Sieben Tage“, „Riedland“ (gern als sein Durchbruch gelesen) und „Wir waren unser vier“. Max Frisch war als Dramatiker wie auch als Prosaist hervorgetreten: mit „Tagebuch 1946 -1949“, mit den Romanen „Stiller“ und „Homo Faber“ vor allem, Frühwerke sind hier vernachlässigt. Als kennzeichnendes Merkmal aber hat ein Kritiker wie Marcel Reich-Ranicki seit seiner ersten Hinwendung zum Werk Frischs immer wieder das Skizzenhafte, das Fragmentarische herausgestellt. 1958 konnte Guggenheim das noch nicht kennen, sehr wohl aber es vorwegnehmen.

Hier ist vielleicht ein guter Augenblick, auf ein seltsames Phänomen, eine schweizerische Kuriosität hinzuweisen. Als nämlich im Jahr 1991 das große eidgenössische Jubiläum der 700-Jahr-Feier zu begehen war, hatten namhafte Autoren und auch andere Menschen ihre Teilnahme vorsorglich abgesagt. Friedrich Dürrenmatt starb im Dezember 1990 und brauchte keine Fakten mehr zu schaffen, Max Frisch starb im April 1991 unter anderem im Wissen, dass der Staat Schweiz ihn und viele andere über Jahre geheimdienstlich überwacht, Akten angelegt hatte, was gerade in jener Zeit natürlich an das Ministerium für Staatssicherheit der DDR heftig erinnerte. Zum großen Jubiläum aber brachte der Verlag Th. Gut & Co, Stäfa am Zürichsee, einen schweren Folianten heraus mit dem Titel „Große Schweizer und Schweizerinnen. Erbe als Auftrag. Hundert Porträts“. Als Herausgeber fungierten Erwin Jaeckle, der 1974 ebenfalls Träger des Literaturpreises der Stadt Zürich geworden war, und Eduard Stäuble (1924 - 2009). Beider Name ist so für immer mit der lächerlich-kleinlichen Entscheidung verbunden, die zweifelsfrei bedeutendsten beiden Autoren des 20. Jahrhunderts in der Schweiz, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt, nicht in die Porträt-Galerie aufgenommen zu haben, sehr wohl aber Kurt Guggenheim. Den porträtierte Charles Linsmayer.

Womit zugleich der Name genannt ist, der einem auf Schritt und Tritt begegnet, wenn man sich mit Guggenheim befasst. Linsmayer ist im Netz mit einer eigenen, sehr informativen und lesenswerten Seite vertreten, www.linsmayer.ch, im Mai wird er bei hoffentlich guter Gesundheit seinen 76. Geburtstag feiern. Immerhin acht Druckseiten standen in „Große Schweizer und Schweizerinnen“ für Guggenheim zur Verfügung. In seinem eigenen Buch „Literaturszene Schweiz. 157 Kurzporträts von Rousseau bis Gertrud Leutenegger“ (Unionsverlag Zürich 1989) hat Linsmayer natürlich weder Frisch noch Dürrenmatt ausgeklammert, aber ihnen auch nicht mehr Platz als Kurt Guggenheim eingeräumt: zwei Druckseiten. Ich gestehe gern, dass es mir sehr sympathisch ist, wenn ein Autor nicht bei jeder passenden wie unpassenden Gelegenheit seine eigenen Sätze übernimmt. Linsmayer tut es im Fall Guggenheim nicht, wobei ich die Nachworte von seiner Hand in der von ihm nach 1989 betreuten neuen Werkausgabe ausdrücklich ausklammere: ich habe sie bisher nicht gelesen. Dass Kurt Guggenheim am 14. Januar 1896 als Bürger der Stadt Zürich zur Welt, verdankte er einer erst drei Jahrzehnte zurückliegenden Entscheidung. 1862 erhielten Juden im Kanton Zürich das Niederlassungsrecht, Kurts Vater Hermann Guggenheim erwarb 1887 das zürcherische Bürgerrecht.

Ein Guggenheim war, nachzulesen im „Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur“, der erste staatlich zugelassene Rabbiner in der Schweiz: „Er amtierte Ende des 18. Jahrhunderts in den Surbtaler Gemeinden Endingen und Lengnau. Das Wohl der Schweiz lag ihm dabei ebenso am Herzen wie jenes seiner jüdischen Gemeinde.“ (Nicole Rosenberger) Wenn stimmt, was man über diesen Vater lesen kann – und warum sollte es nicht stimmen – dann war er alles andere als ein Förderer für seinen Sohn Kurt, nicht einmal das Abitur durfte er zunächst machen. „Der Sohn fügte sich zwar dem Vater und ging den vorgezeichneten Weg bis zum bitteren Ende – bis zum Bankrott der Firma in den dreißiger Jahren unter seiner unfähigen Leitung -, aber er empfand die Wendung der Dinge als eine schmachvolle persönliche Niederlage, die sein Verhältnis zum Vater bis ins hohe Alter mit einem unversöhnlichen Hass belasten sollte.“ (Charles Linsmayer). So darf man nicht ganz unberechtigt Guggenheims Drama „Der Vater“, zum Jahreswechsel 1917/18 dem Zürcher Schauspielhaus eingereicht, als Vorläufer von Arnolt Bronnens ungleich berühmter gewordenem Skandal-Drama „Vatermord“, Uraufführung 1922 in Frankfurt am Main, ansehen. Auch wenn er später noch für die Bühne schrieb, blieb Guggenheims deutlich stärkere Seite die erzählende Prosa.

Ohne dass er damit auch in Deutschland größere Bekanntheit erreichte. Joseph Halpern nannte deshalb im November 1959 in der Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT umstandslos Friedrich Glauser und Kurt Guggenheim „Zwei wenig bekannte Schweizer Dichter“. Ohne zu wissen offenbar, dass der eine (Guggenheim) dem andern (Glauser) kräftig zur Verfilmung seines Krimis „Wachtmeister Studer“ verholfen hatte. Es half dabei wenig, dass der Schweizer Linsmayer meinte, Guggenheim habe mit dem Roman „Salz des Meeres, Salz der Tränen“ wie kaum ein anderer in der deutschsprachigen Literatur Frankreich ins Bild gesetzt, das Bild jenes Frankreich, für das Namen wie Balzac, Flaubert, Proust oder auch Cézanne standen (und stehen). Zu den späten Büchern Guggenheims gehört eines, das im Untertitel „Roman um die Freundschaft von Zola und Cézanne“ hieß, Haupttitel „Minute des Lebens“. Um es gleich mit zu erwähnen: Guggenheim wählte auch Goethe und Gottfried Keller zu Gegenständen zweier eigenständiger Bücher. „Der labyrinthische Spazierweg“ ist Goethes auch von anderen in eigenen Büchern behandelter dritter Schweizer Reise gewidmet. „Das Ende von Seldwyla“ ist betont schlicht bezeichnet als „Ein Gottfried-Keller-Buch“.

Man kann, für Nicht-Schweizer, vielleicht sehr einfach sagen: wer Guggenheim liest, versteht mehr von der Schweiz. Ob das dann auch als hinreichend wichtig anzusehen ist, bestritt in schon genanntem Zusammenhang der Kritiker Werner Weber. „Ich halte den Bürgersinn ungefähr so hoch in Ehren wie Sie und andere anständige Leute. Aber ich bin der Meinung, dass Bürgersinn, Konfession, Politik allenfalls zur Begründung eines Bürgerpreises, doch nicht zur Begründung eines Kunstpreises ausreichen.“ Wie viele Literaturpreise, die im Westen vergeben wurden an Dichter, die im Osten als Dissidenten galten, bis heute gilt die Regel für Chinesen, Koreaner, Kubaner, hatten eben gerade den Bürgersinn zur Grundlage und nicht die literarische Qualität? Man möge Begründungen für Preisvergaben systematisch daraufhin absuchen und vergleichen. Weber verteidigte in seiner Antwort natürlich auch die Skizze absichtsvoll mit: „Unsere besten Leute vermochten das Dasein als Skizze zu denken, als Fragment“. Vier Jahre später waren jedenfalls alle Differenzen zwischen Werner Weber und Kurt Guggenheim ausgeräumt. Weber war vom Roman „Die frühen Jahre“ vollkommen begeistert: „Es ist Ihnen etwas so Großes wie Schwieriges gelungen: ganz aus dem Eigenen heraus zu reden und dabei das Leben zu finden, welches nun Sie und Ihren Lebenstag übersteigt und zu uns wie zu Ihnen gehört. … es widerfährt einem so selten.“

1931 veröffentlichte der „Schweizer Spiegel“ in seiner Februar-Ausgabe eine Erzählung von Kurt Guggenheim mit dem unspektakulären Titel „Ergänzung zum Protokoll“. Es handelt sich um den Brief eines 22 Jahre alten Büroangestellten namens F. Rueff, der Vorname ist nicht benannt, in dem der junge Mann die Hintergründe einer Tat erläutert, die er in seinem Büro verübte, indem er den ihm gegenüber sitzenden Herrn Scheuler mit dem schweren Hauptbuch auf den Schädel schlägt, diesen schwer, aber nicht tödlich verletzend. Alles, was Rueff zu Protokoll gibt, beschreibt eine Tat, die scheinbar aus heiterem Himmel, scheinbar ohne jedes Motiv begangen wurde. Man muss wenig Scharfsinn aufwenden, um in der Erzählung des Porträt von Entfremdung im klassischen philosophischen Sinne zu erkennen. Ein Mann, dessen Leben in entfremdeter Arbeit besteht, der nur außerhalb der Arbeit bei sich ist und in diesem speziellen Falle sein Außerhalb doppelt verlor: erst Eva, später die Hoffnung auf einen Gedichtband, schlägt urplötzlich zu. In Kulturen mit mehr umlaufenden Schusswaffen führt dergleichen zu Amokläufen, in der Schweizer Literaturgeschichte mündet es in eine von Max Frisch geschriebene „Moritat in zwölf Bildern“, Titel „Graf Öderland“. Dort entwickelt ein Staatsanwalt Verständnis für den motivlosen Mord eines geständigen Täters.

„Jeden Morgen habe ich etwa fünf Minuten lang damit zu tun, die würgende Abneigung, die mich beim Anblick all dieser Gegenstände befällt, zu überwinden.“ Die Rede ist von den Gegenständen auf dem Arbeitspult des Täters. „Ich hatte das Gefühl, der zu sein, der am Schluss des Rennens auf der Strecke zurückbleibt, ganz allein.“ Fast aberwitzig seine Sicht auf seine gesammelten Gedichte: „Dieses Bändchen war eine jener Hoffnungen, die wir zum Leben nötig haben, weil sie uns eine Existenzberechtigung vorspiegeln. Alle Menschen haben ja solche Erwartungen, solche Entschuldigungen. Wenn sie keine haben, erfinden sie welche.“ Natürlich lehnt der Verlag die Veröffentlichung der Gedichte ab, natürlich hat der Verlag eine wohlklingende Begründung dafür. Nur Herr Scheuler ahnt nicht, dass es ihn eines Tages von hinten treffen wird. Ein anderer Held Guggenheims trägt den Namen Glanzmann. Er erzählt im Roman „Wir waren unser vier“ von 1949 von einer Erschießung nach Kriegsrecht in der schweizerischen Armee: er habe, sagt er seinen Zuhörern, einer heißt Vincenz, in die Luft geschossen. Und sei damit schuldig geworden. Ist in der Schweizer Armee in bestimmten Fälle die kriegsrechtliche Todesstrafe vergeben und vollstreckt worden? Man möchte es kaum glauben, müsste mindestens den Zusammenhang im Roman kennen.

„Geistige Landesverteidigung“ hat der DDR-Herausgeber einer Anthologie mit Erzählungen aus der Schweiz („Ich kehr zurück im Morgengrauen“, Evangelische Verlagsanstalt Berlin 1984) einen Auszug aus Guggenheims Roman „Alles in Allem“ überschrieben, das Quellenverzeichnis nennt die Jahreszahl 1955, das könnte auf den vierten der Bände deuten, ist aber nicht eindeutig erkennbar. In diesem Abschnitt kommt es zur Begegnung einer ehemaligen Wahrsagerin mit einem Prediger in Zürich und man kann 65 Jahre nach der Erstveröffentlichung Sätze über in die Schweiz kommende Emigranten aus Deutschland und neuerdings auch aus Wien lesen, die sehr merkwürdig berühren. Etwa: „Aus einer Liquidation, einer Auflösung eines Haushaltes erworben, Israeliten, die geflohen, nach Südamerika ausgewandert seien. Das käme nun öfters vor, nickte er.“ Oder: „Vor nichts schreckten sie zurück, diese Ausländerinnen, überall wüssten sie sich einzuschmuggeln, … es sei eine ganze Invasion, mit der die dummen Kuhschweizer überschwemmt würden.“ Oder: „Diese Gefahr sei genau so groß wie die von den Nazis. … Heidentum aus der Sowjetunion, wo sie die Kirche verbieten, Heidentum aus Deutschland, wo sie die Juden und die Christen verfolgen …
Die Seele unserer Stadt ist eine christliche Seele, denken Sie nur an Zwingli, an Pestalozzi!“

Auch das einst in der DDR höchst gefragte Lesebuch „Schweiz heute“, 1976 im Verlag Volk und Welt erschienen, begnügte sich mit einem Auszug aus einem Guggenheim-Roman, in diesem Falle war es „Der goldene Würfel“, dem „Mit dem Bahnhof hat es seine eigene Bewandtnis“ entnommen wurde. Da lässt einer die ewige Anziehungskraft von Bahnhöfen auf sich wirken, sieht, beobachtet, deutet und landet bei einem merkwürdigen Menschen. Der Kondukteur, was für ein schönes altmodisches Wort, erklärt dem Erzähler: „Nach Lugano, nach Genf fährt er jede Nacht. Er schläft im Zug. … Das Abteil ist seine Wohnung. Es heißt, die Armenpflege zahle ihm das Generalabonnement.“ Wieder überraschende Schweiz! Der ewig Reisende, der am Ziel nur einen Kaffee trinkt, ist auf seltsamste Weise kein Obdachloser, weil er ja eine rollende Wohnung hat. Und der Erzähler beobachtet auch sich selbst: „Diese Eigenschaft, wo immer möglich einen Menschen darzustellen, der ein Ziel im Auge, der etwas vorhat, gewöhnt man sich in einem geschäftlichen Betrieb, insbesondere in den modernen Schalterhallen, wo man schutzlos den Blicken des Publikums ausgesetzt ist, unwillkürlich an.“ Der Erzähler schleppt einen unsichtbaren Beobachter hinter sich her, mit dessen Augen er sich selbst sieht: aufregende Perspektive, falls man das mag.

Eine ganz kleine Schrift, die auf einen Vortrag zurückgeht, den Guggenheim am 22. Juni 1961 im Rahmen einer Veranstaltungsreihe des schweizerischen Instituts für Auslandsforschung hielt, bekam den Titel „Heimat oder Domizil? Die Stellung des deutschschweizerischen Schriftstellers in der Gegenwart“. Sie enthält, ohne dass die Namen fallen, Attacken gegen Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt, das ist so interessant, dass es eine eigenständige Betrachtung verdient, die hier auch nicht einmal im Ansatz versucht werden soll. Das Büchlein schließt mit einem Gedicht von Heinrich Leuthold (9. August 1827 – 1. Juli 1879). Es heißt „Späte Entschuldigung“. Es endet mit den Versen „Nun, da mit meiner Kindheit auch der Traum, / der schöne Traum entwich, / O Genius meines Vaterlands, nun tret ich / huldigend vor dich.“ Solch exemplarisches Bekennen war es wohl, das Dieter Fringeli die fragende Unterzeile zu seiner Kritik „Zum Lob der Schweiz“ eingab: „Kurt Guggenheim – der letzte Dichter der Nation?“ Fringeli bejaht seine eigene Frage: „Ja, ich bin versucht, ihn als den letzten großen Schweizer Autor auszurufen.“ Das „Schweizer“ ist kursiv gedruckt. Seine letzte Ruhestätte fand Kurt Guggenheim, wer mag das Zufall nennen, auf dem Friedhof Rehalp just an der Seite von Heinrich Leuthold. Es ist ein Ehrengrab der Stadt Zürich.


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