Nix gegen Dominik

Eine Zeitung, die konsequent Regionalzeitung sein will, rutscht im Kulturellen sehr rasch in ein sehr großes Problem. Sie ist von etwas abhängig, das sie selbst nicht beeinflussen kann. Selig sind die, in deren Einzugsgebiet ein paar Große starben, eine Weile wohnten, oder, man ahnt es, das Licht der regionalen Welt erblickten. Wenn sich die Talente über diese halbwegs nach Gaußscher Normalverteilung anzunehmenden Personen hinstrecken, hat der Feuilletonverantwortliche ein überschaubar leichtes Spiel. Hie und da fällt ein Krümelchen auch ins Lokale ab, falls es die mächtigen Manager am News Desk nicht mächtig an sich reißen, um den Lokalen den Traumjob der unerwarteten Lückenfüllung zu überlassen.

Wenn nun, was nicht die Ausnahme, eher die Regel ist, sich die großen Dichter, die genialen Komponisten, die virtuosen Musiker und die begnadeten Maler nicht zuhauf im Territorium sagen wir des Gebietes Bad Langensalza entfaltet haben, dann gibt es dort halt nur Blasmusik als Kultur, weil vielleicht außer regelmäßig trinkenden Blasmusikern seit Jahrzehnten kein brauchbares Talent für irgendetwas mehr aufgetreten ist. (Verzeihung, verehrtes Bad Langensalza, ich hätte auch Bad Salzuflen, Winsen an der Luhe oder Kyritz an der Knatter nehmen können).

Immer nur Blasmusik, das mögen zum Ende hin nicht einmal die ausübenden Blasmusiker selbst, schon des Ausgleichs wegen. Was macht nun die lokal-regionale Themenverwaltung auf kulturellem Gebiet, wenn der Versuch, auf der Glatze ein paar Löckchen zu drehen, sich als definitiv aussichtslos erweist? Man greift in die zweite Reihe. Dort fummelt die greifende Hand jedoch meist immer noch vergeblich: Kein Begnadeter weit und breit, die Genialen immer irgendwie auf der Umgehungsstraße außen vorbei gebrettert, von den Großen gibt es ohnehin viel zu wenige. Also zweite Reihe leer, nehmen wir die dritte, die vierte und schon fängt es an, nahtlos in die peinlichen Gefilde überzugehen. Singende Bademeister, holzbeinige Ballettmeister, Dichter mit Lese-Rechtschreib-Schwäche. Es wird heiter.

Verlassen wir die Theorie. Meine TA DER LESER legt mir unter der Überschrift „Liebe und Tod im Bürgerkrieg“ ein Buch ans Herz, das der 37-jährige Autor vier Jahre nach Erscheinen noch einmal komplett überarbeitet hat. Die Literaturgeschichte seit Homer und Hesiod weist wenige Autoren aus, die derartige Übungen an ihren Büchern vollzogen haben. Unter Stalins Knute hat Alexander Fadejew einst sein DIE JUNGE GARDE so lange umgeschrieben, bis es dem Diktator immer noch nicht gefiel, Fadejew brachte sich bald darauf um. Von Bruno Apitz geht bis heute hartnäckig das Gerücht, er habe aus NACKT UNTER WÖLFEN so oft kein brauchbares Buch machen können, bis sich endlich ein Lektor erbarmte. Es ist ein Welterfolg geworden.

Nun also dieser Dominik Bartels. Er ist in und um Helmstedt weltberühmt. Was hat er getan? „Langatmige Erklärungen verschwanden, wodurch die Geschichte straffer und interessanter wird.“ Was denn nun? würde Reich-Ranicki an dieser Stelle sicher entnervt und mit dem Zeigefinger fuchtelnd fragen. Ist das Buch am Ende straff und interessant geworden, idealerweise sogar gut, oder hat sich ein miserables Werk ein wenig gebessert, so dass man es nicht schon nach fünf Seiten, sondern erst nach 45 in die Ecke wirft? Ich weiß es nicht und das Deprimierende ist, ich will es auch nicht erfahren. Und damit kommen wir zur immer wieder gern beschworenen Nutzwertigkeit von Tageszeitungen.

Denn wenn ich, ich bin weder Dr. Allwissend noch der Cousin von Schweinchen Schlau, das allgegenwärtige Internet zu Hilfe rufe, stoße ich sofort und ohne Pause auf die Homepage des Mannes, der eigene Langatmigkeiten tilgt. Nach den ersten beiden Sätzen der Vita neige ich zum Wegdrücken der Seite. Denn: Ich habe es satt, so satt, so unendlich satt, Texte von Menschen zu lesen, die „durch“ und „wegen“ einfach nicht auseinander halten können. Von dieser Sorte gibt es Millionen. Kein einziger von diesen Millionen stört mich. Denn die alle schreiben Gott sei Dank keine Romane. Hier aber bedroht uns einer mit seinem bereits vierten Buch, aus dem er vielleicht die Langatmigkeiten gleich weglässt, das würde ihm die Überarbeitung vier Jahre später ersparen.

Etwas, was Dominik Bartels wohl für ein Tagebuch oder Blogging hält, macht jedem, der der freilich spießigen, freilich mainstreamigen, freilich unsagbar altmodischen Meinung ist, Literatur habe etwas mit Sprache zu tun, den Verdacht nur schwer abweislich, dass der Verfasser folgerichtig wenig mit Literatur zu tun haben kann, wenn er es auch selbst von sich meint. Es bleibt immerhin der Versuch, nach dem Verlag zu schauen, der überarbeitete Langatmer erneut auf den vermutet saugfähigen Buchmarkt schleudert. Der Verlag heißt Blaulicht-Verlag.

Gleich die erste Seite schreibt Frankfurt ohne R, was der Buchmessestadt wahrscheinlich weitgehend wurscht ist, auch so etwas nervt nur Spießer und altmodische Idioten wie mich, die der albernen Meinung sind, eine Homepage dürfe nicht schon mit ihrer Startseite endgültig abschrecken. Dann die Autoren, ein Schwerverbrecher ist dabei, der in origineller Nachahmung der RAF-Akteure per Überfall den Schweine-Banken Geld für edle Projekte rauben wollte. Ein Autor ist neben seiner Tätigkeit als freier Autor schriftstellerisch tätig. Das muss man sich wahrscheinlich so ähnlich vorstellen wie den VfL Osnabrück im Aufstiegskampf gegen Dynamo Dresden. Die Osnabrücker, so ihr enttäuschter Trainer nach dem Abpfiff, hatten in der zweiten Halbzeit versucht, weiter Fußball zu spielen. Es wäre, hieß so die Botschaft des Trainers an mich, wahrscheinlich besser gewesen, die Elf hätte den Rasen mit Tennisschlägern oder Hochsprungstäben betreten.

Vor knapp vierzig Jahren wohnte ich während meines Grundwehrdienstes als Gefreiter mit vier Unteroffizieren auf einer Stube. Eines Tages brachte mir einer dieser Unteroffiziere, mit dem ich mich wie mit den anderen prächtig verstand, weil er gehört hatte, ich hätte schon einige „echte“ Gedichte veröffentlicht, ein dickes Schreibbuch mit kleinkarierten Seiten, Format A 4, und bat mich, es zu lesen, es sei sein erster Roman. Nach den ersten handgeschriebenen Seiten befiel mich der Schüttelfrost, mir standen die Haare zu Berge, während der Autor es tapfer mied, meinen Blicken zu begegnen. Frag mich bitte nicht nach meiner Meinung, würgte ich heraus. Und bot an, mich ihm als Tischtennisgegner zur Verfügung zu stellen. Ich war ein grauenhaft schlechter Spieler, er auf dem besten Weg, nach viel Training vielleicht vierter bei den Kompaniemeisterschaften zu werden.

Was, so lautet nun die abschließende Frage, bringt eine Zeitung dazu, aus dem Meer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit besserer Bücher ausgerechnet dieses mit einer flachen Kritik, flach meint hier fünfspaltig fünfzig hoch, das geht nur in der BILD schon als kompletter Roman durch, zu würdigen? Wenn diese Jungs schon unter dem Beifall Gleichgesinnter, gleich sprachbegabter Community-Mailer, die ihren Slammer lieben, Werke aus sich würgen, der Eulenspiegelverlag wird mit einem Text bedroht, für den dem Autor im letzten Moment noch etwas eingefallen ist, dann sollen sie doch bitte jeden Morgen Hallelujah singen, sollen die Freiheit loben, die ihnen das alles leicht und problemlos ermöglicht. Aber, bitte, bitte, liebe Zeitung, liebe Zeitungen, verschont uns mit Hinweisen auf diese Wundertäter. Ich möchte als Weintrinker nicht darauf hingewiesen werden, dass die Firma Nierentod & Leberwürger wieder einen prima Primeur im Tetrapack auf den Markt wirft, der für 89 Cent direkt aus dem mazedonischen Eisenbahnwaggon in die Pappen getrichtert wurde.


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