Geitenkaas in der Wallonie
Wer genau in dem Moment in Givet ankommt, da die allerletzten Händler ihre Marktstände demontieren, während die eine oder andere der einen oder anderen Hand entwichene Plastiktüte vom Wind, der von der Meuse bläst, übers Pflaster getrieben wird, der muss umplanen, wenn er noch einen Tag haben will, den er nicht gleich wieder vergessen möchte. Die Grenze ist nah, nur Minuten dauert es und man ist wieder dort, wo die Wallonen wohnen. Schon während des Erinnerungsfotos am Ufer dieses seltsamen Flusses, der immer schon da ist, wohin man auch kommt in dieser Gegend, fällt das Stichwort Maredsous. Sagt die Zunge da nicht sofort zum Gaumen: Abteibier in kelchigen Gläsern mit mühsam unterdrückter Tendenz zum Sirup, kalt zu trinken wie all diese belgischen Biere, die den Fundamentalisten des deutschen Reinheitsgebotes ein Graus sind und keineswegs gepichelt werden sollten wie die Henkeleimer zu München, weil einem sonst die Ohrläppchen dick anlaufen?
Maredsous also, es ist nicht weit, es ist theoretisch auch ohne Navigation rasch gefunden und es hat in der Nähe dieser Kirchen Parkplätze, als würden hier gelegentlich geordnete Größtereignisse stattfinden wie Krönungen, Endspiele oder Shakira-Live-Konzerte. Es ist aber nur eine touristisch gut erschlossene Ecke, man könnte vor das Wort touristisch ohne Sinnverfälschung das Wort Massen setzen, die aber durch Abwesenheit glänzen, als wir anrücken. Unsere wahrhaft genialen Kenntnisse der französischen Sprache, die von den Wallonen als einziges Verständigungsmittel genutzt wird, obwohl innerhalb der Landesgrenzen hör- und lesbar ja noch wenigstens zwei andere Sprachen nicht nur heimlich geflüstert werden, verleiten uns zu der Annahme, man könnte den Abtei-Angestellten dabei zuschauen, während sie aus Milch Käse machen. Schaukäserei gewissermaßen, wie man das aus den Ländern mit Alpenanteil kennt und schätzt.
Ist aber nichts mit Schaukäserei, alle vermeintlichen Eingänge sind entweder verschlossen oder nur fürs Personal gedacht, zu dem wir je nach Sicht der Dinge leider oder zum Glück nicht gehören. Während unsere Experten für gebrochenes Französisch die offenbare Sachlage weiter zu peilen versuchen durch Dialoge mit freundlichen und zugleich verständnisarmen Wallonen, bestaune ich ein Verkehrsschild an einigen Parkflächen, auf dem einige symbolisierte Menschlein zu sehen sind. Mir will nicht sofort einleuchten, dass dies ein Menschenparkplatz sein könnte für kleine Gruppen, die nicht einfach ungeordnet herumstehen sollen, denn ich traue den Wallonen zwar allerlei zu, nicht aber eine solche splendide Seltsamkeit. Dann aber klärt sich alles auf, weil natürlich auch in Belgien nach mehr als 500 Tagen ohne gewählte Regierung nicht Anarchie herrscht, sondern, nun ja, Ordnung. Hier sollen sich, falls diese oder jene kleinere Katastrophe ausbricht, die Menschen versammeln, ehe sie panisch weiter flüchten. In stehenden Heeren und ihren Vorschriften heißt dergleichen Sammelraum.
Nach der zweiten vergeblichen Umrundung des Käsereigebäudes entschließen wir uns, jenes Zugangs uns zu bedienen, hinter dem wir Menschen sehen, die an Tischen etwas kauen und sich aus Gefäßen etwas in die Kehlen rinnen lassen. Es ist erstaunlich, wie viele hier drinnen wuseln, obwohl draußen die Parkplätze durchaus noch nicht überfüllt sind. Bald sitzen wir mit leckeren Abteibieren in Keramikkrüglein vor allerlei Käse, haben Brot selbst geschnitten an einer für solche Zwecke installierten Maschine, die das komplette Brot auf einen Streich wie ein tapferes Botschneiderlein in lauter gleich dicke Scheiben teilt. Wir futtern Terrine und Pastete, schauen den Nachbarn neidisch auf die Teller, die Terrine, Pastete und Käse essen, während diese Nachbarn uns ebenfalls neidisch auf die Teller schauen. Gesamteuropäischer Austauschneid gewissermaßen bewegt unsere Herzen nebst Seelen.
Dann machen wir es wie die russischen Einkäuferbataillone in Dresden, die mit einer ununterbrochenen Fliegerstaffelkette in Klotzsche landen: wir kaufen wie lebende Schleppnetze, was es so gibt und so eine Abtei hat ja auch noch Würste und sie hat Honig und sie hat neben dem Käse, den wir schon aßen, noch Smerkaas met Ham oder Geitenkaas, was wir hier auf flämisch benennen, um unseren Beitrag gegen das Auseinanderbrechen des netten Königreichs Belgien gleich noch mit zu leisten. Geitenkaas, das wird niemanden wirklich überraschen, kommt von Geiten und das sind die Mütter jener sieben kleinen Dingelchen, die sich vorm Wolf seinerzeit im Uhrkasten versteckten und dennoch gefressen wurden. Auch wir werden den Geitenkaas fressen wie die Wölfe, gestrichen auf Brotscheiben, die wir freilich zu Hause wieder nach Bedarf schneiden und nicht mit einem Ruck alle auf einmal. Au revoir, Maredsous.