Kleist: Prinz Friedrich von Homburg, Nationaltheater Weimar

Gegenüber der im Programmheft angekündigten Spielzeit hat die tatsächliche noch einmal eine Viertelstunde verloren. Ohne Pause erreicht „Prinz Friedrich von Homburg“ am Nationaltheater Weimar jetzt gerade so Spielfilmlänge. Das spart Besuchern von auswärts Parkgebühren, bringt Kleist-Kenner aber womöglich doch eher in Verlegenheit. Denn jeder, der auch nur einmal im Leben davon gehört hat, wie hoch Heinrich Heine oder Friedrich Hebbel gerade dieses Kleist-Stück schätzten, wird sich wundern. Sind die größten Dramen der deutschen Literaturgeschichte, ist das größte Drama, als das manche dieses eine gern sehen möchten, tatsächlich dadurch gekennzeichnet, dass die Hälfte und mehr davon überflüssig oder unwesentlich ist und also gestrichen werden kann?

Lisa Nielebock (Jahrgang 1978) hat sich für diese Radikalkur entschieden, sieben Rollen sind geblieben, der Rest ist weg. Es gibt weder Offiziere noch Korporale, weder Hofdamen noch Hofkavaliere, Volk jeden Alters und Geschlechts schon gar nicht. Die bei Kleist namentlich benannten kleineren Rollen sind auch samt und sonders gestrichen. Es gibt eine schwarze Bühne und schwarze Kostüme (Sascha Gross). Vorn liegen zu Beginn die Schuhe, die der zunächst barfüßige Prinz (Nico Delpy, Jahrgang 1976) anziehen wird, der Handschuh Nataliens, der eine Überlebenschance erhielt. Alle sieben Darsteller sind mit wenigen definierten Ausnahmen permanent auf der Bühne, sie drehen dem Geschehen, besser dem Nicht-Geschehen, entweder den Rücken zu oder sie kommentieren es mimisch-gestisch, wenn sie selbst gerade keinen Text haben.

Es gibt weder einen Garten noch ein Schloss, es gibt kein ausgehobenes Grab und auch keinen Kranz, unvorstellbar dieser Regie, wie etwa die Meininger, die vor mehr als hundert Jahren diesen Kleist hoffähig machten, mittels Prospekt und Kanonendonner versuchten, sogar die Botenberichte nicht nur Botenberichte sein zu lassen. Lediglich Papier kommt hier zum Einsatz, die Traumszene, die beim besten Willen nicht zu streichen war, besteht in Weimar darin, dass der Prinz heftig schreibt und dabei beobachtet wird. Auch später schreibt der Prinz, als er vorn am Spielflächenrand im „Kerker“ sitzt und seiner Erschießung wegen Verletzung des Kriegsgesetzes harrt.

Eingesprochener Text zeigt, was diese Regie beabsichtigt, sie schiebt die Bühnenfigur Homburg und die Figur ihres Schöpfers ineinander. Die hektischen Zeilen, die vorgelesen werden, sind Zeilen an Kleists Sterbensgefährtin Henriette Vogel und haben genau die Funktion. Sechs Jahre, bevor Regisseurin Nielebock geboren wurde, hat sich Peter Stein in die Inszenierungsgeschichte des „Prinz Friedrich von Homburg“ mit einer solchen identifikatorischen Lesart eingeschrieben, sein Dramaturg hieß damals immerhin Botho Strauß. Auch damals gab es neben größter Begeisterung  heftigste Kritik. Immerhin: dieser Vorwurf ist der Weimarer Regie nicht zu machen, sie hätte eine alte Idee wieder aufgewärmt. Die übrigens auch bei Peter Stein wohl auf die Deutungen zurückging, die der österreichische, später abtrünnige, Altkommunist Ernst Fischer 1961 in seinem großen Kleist-Essay öffentlich gemacht hatte.

Damals wie heute war der Homburg, ist Kleist mit Ausnahmen nicht einfach zu spielen. Allen Darstellern, die mit und an der Sprache Kleists scheitern (in Weimar habe ich fast nichts Kleistisches an Kleist gehört, leider, oder erwartungsgemäß), hat ein ganz Großer immer währenden Trost formuliert: „Einem Menschenmund schlechthin ist es unmöglich, Verse von Kleist wie Verse von Kleist zu sprechen. ... daß Kleist Ungeheuerliches von einem Schauspieler verlangt, ist sicher der Grund, weshalb in der Regel der Schauspieler über Kleistrollen die Achsel zuckt.“ Robert Walser schrieb das 1907 in seinem Kleintext „Was braucht es zu einem Kleist-Darsteller“. Und er endete dann noch etwas heftiger: „Wie wir doch da schwatzen. Ist´s nicht dumm zu sagen, wir können nichts?“

Geändert hat sich gegenüber früher nichts an der Schwierigkeit der Rollen. Vielleicht aber ist der Respekt ausgestorben, den das bei möglichen Darstellern auslöst. Sie spielen dann eben so vor sich hin, wie sie es können oder wollen oder beides. Der stärkste Vorwurf trifft deshalb den Darsteller der Titelrolle, der alles Mögliche spielte, nur nicht den Prinzen von Homburg. Er spielte, bestenfalls, eine seiner Seiten, das permanente Außerhalb-der Welt-Stehen. Ist es bei Kleist schon schwer, sich diesen Traumtänzer, diesen Nachtwandler, diesen Ruhmsüchtigen und Selbstverliebten als Reiter-General vorzustellen, er gebe allenfalls einen hemdsärmeligen Fähnrich oder Sekonde-Leutnant, so ist es bei Nico Delpy vollends unmöglich.

Er macht, was er macht, durchaus ansehnlich, aber mit Kleist hat es kaum zutun. Mit Kleist hat auch das seltsame Ende wenig zu tun. Oder doch auf eine besonders vertrackte Weise. Denn neben der immer wieder gern aufgewärmten Lesart, preußische Obrigkeit habe das Stück nicht gemocht, weil es einen Offizier vorführt, der Angst hat, gibt es eine längst viel bessere. Und die besagt, dass es die kollektive Insubordination war, die König und Hof mehr als nur beunruhigte, wenn sie auf eine Bühne gekommen wäre. Lisa Nielebock hat diese kollektive Insubordination bildhaft gemacht und hörbar. Bildhaft rücken alle dem Kurfürsten (Johannes Schmidt in seinem zweiten Weimarer Jahr) regelrecht auf die Pelle, der gewöhnliche Obrist Kottwitz (Thomas Büchel, neu in Weimar) legt seinem Fürsten gar den Arm fast gönnerhaft um die Schultern. Das wäre weder zur Handlungszeit des Stückes noch zu Lebzeiten Kleists auch nur denkbar gewesen.

Caroline Dietrich (Jahrgang 1983) hat mit der Natalie ihr Weimarer Debüt. Das ist mehr als nur achtbar geraten. Diese wie andere Kleist-Frauen haben ein Potential, das Männer wie diesen Prinzen nicht wirklich gut aussehen lässt neben ihnen, das ist und bleibt für jede Darstellerin eine Herausforderung, wie sie besser kaum wünschbar ist. Elke Wieditz, die die Kurfürstin zu geben hatte und dabei angelegentlich dem Gatten die Schuppen vom Kragen pusselt, war schon im Weimarer Ensemble, als die Hälfte ihrer jetzigen Mitspieler noch nicht einmal geboren war. Sie machte eine Stelle zu einer echt Kleistschen, als sie den Preis verfluchte, den der Sieg gekostet hatte. Dem seltsamen Ansturm des Prinzen in dessen Pseudo-Todesangst war auch sie nicht gewachsen. Nico Delpy spielte einen jungen Mann, der irreversibel beleidigt ist, weil die Welt nicht so ist, wie er sie haben möchte. Einen General aber, der seiner Fürstin den Vogel zeigt, den gibt es wohl in keiner Armee der Welt seit König Arthur.

Die Betroffenheit der Männer (Tobias Schormann als Feldmarschall, dem der Name gestrichen wurde, Christian Klischat als Graf Hohenzollern, Thomas Büchel als Obrist Kottwitz) über die unfassbare Weltfremdheit des Prinzen war gut, auch der Kurfürst hatte bei solchen Betroffenheiten seine stärksten Momente. Warum aber, warum um alles in der Welt, singen Natalie und der Prinz auf einmal die Marseillaise? Warum trägt Natalie eine Art von Mao-Jacke, nachdem sie im Hintergrund geraucht hat? Der Revolutionstext übrigens, wie man bei großen Sportereignissen im Videotext immer wieder nachlesen kann, reicht dem angeblich so chauvinistischen Kleist-Schluss mit dem Staub und den Feinden durchaus das Wasser. Und neuere Lesarten haben ziemlich  überzeugend klar gemacht, dass eigentlich eher eine Huldigungsgeste gemeint ist bei Kleist als ein aktiver Wurf der Feinde Brandenburgs in den nämlichen Staub.

Nach dem gebrüllten Schluss wollte das Publikum nicht sofort klatschen.
  www.nationaltheater-weimar.de


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