Kleist: Amphitryon, Südthür. Staatstheater Meiningen
Bediene ich zuerst einmal das einfachste Klischee, das der puren Voreingenommenheit: ein Regisseur des Jahrgangs 1953 ist mir näher als einer aus beliebigen anderen Jahrgängen. Da darf er auch an der Saar geboren sein wie Matthias Kniesbeck. Ein Regisseur des Jahrgangs 1953, der die Bühne betritt und sich nach der Premiere verbeugt im über der Hose getragenen karierten Hemd, hat noch einen Zusatzpunkt, weil unter dem karierten Hemd der Bauch ein ausgesprochen guter Bauch ist. Ob das selbst ernannte Urmeter der Theaterkritik im Netz, Nachtkritik.de, in solcher Einleitung nicht schon wieder den schlimmsten Typus erkennt, den es aus den Tiefen der eigenen Toleranz heraus möglichst kalt zu stellen gilt, weiß ich nicht. Ich bin aus den Kammerspielen des Meininger Theaters geschritten mit gutem Gefühl.
Gesehen habe ich „Amphitryon“, diese vertrackte Komödie des Selbstmörders Heinrich von Kleist, deren Schicksal darin liegt, ausgerechnet von Thomas Mann so gelobt worden zu sein: „Das ist das witzig-anmutvollste, das geistreichste, das tiefste und schönste Theaterspielwerk der Welt!“ Nimmt man hinzu, was seit Generationen über das abschließende „Ach!“ der Alkmene, über die Schwierigkeiten, diesen Jupiter auf die Bühne zu bringen und die Gefahr, den Plautus und den Moliere zu kräftig durch den Kleist schimmern zu lassen, geschrieben wurde, dann gibt es für Regie und Darsteller nur zwei Möglichkeiten: vor der Herausforderung zu verzagen, oder sie anzunehmen, als hätte sie noch niemand vorher wirklich angenommen.
Zunächst einmal beweist Renatus Scheibe glanzvoll, dass man mit Kleists Anfang immer wieder das Naheliegendste machen kann. Sein Sosias ist, wie die besten Sosiasse immer waren, nämlich in großer Gefahr, den Rest der Mimen des Abends an die Wand zu spielen. Weil er in Meiningen auch den Gottschalk gibt im „Käthchen von Heilbronn“, fällt mir ein anderer Gottschalk sofort ein, der des Christian Friedel im Dresdner Staatsschauspiel, der phasenweise allein auf der Bühne zu sein scheint. Und den nämlichen Effekt erzielt. Nach solchem Beginn kann ein Abend nie mehr ganz und gar daneben gehen.
Monika Gora hat eine Bühne im schwarz-weißen Marmor-Look entworfen, der Palast des thebanischen Feldherrn Amphitryon ist nicht mehr als der gerahmte transparente Vorhang in Bühnenbreite mit einem Wassergraben davor. Ihre Kostüme sind unauffällig-passend, Grelles ist vermieden. Vorn steht eine Büste des Feldherrn, die von seinem Mantel verdeckt werden kann und das Schwert hält, das auch wie ein Schwert aussieht. Gleich drei Akteure sind neu in Meiningen: Natascha Clasing als Charis (nur für diese Inszenierung), Anja Lenßen als Alkmene und Ingo Brosch als Jupiter. Über Anja Lenßen steht in meinen Aufzeichnungen zum Coburger „Don Carlos“: „Die Überraschungen des Abends waren für mich die beiden sprechenden Frauenrollen, Simone Ascher als Elisabeth und Anja Lenßen als Eboli. Anja Lenßen war vor der Pause geradezu grandios, sie holte alles aus dieser Rolle heraus und vermittelte die Eboli glaubhaft, nicht zuletzt auch vom Äußeren her, was ich schon anders erlebte.“
Nun, nach dem etwas leisen „Ach!“ bin ich sicher, dass Meiningen froh sein darf, diese junge Dame im Ensemble zu haben. Sie spielt das ganze Spektrum der Figur von größtem Erschrecken und tiefster Verstörung bis hin zum Überschwang der Liebenden. Sie ist auch in aller Getroffenheit glaubhaft. Neben ihr haben es die beiden Amphitryone schwer, der echte noch etwas weniger als der unechte, der ja der oberste Gott des Griechenhimmels sein muss. Der echte Amphitryon, Benjamin Krüger, der aus der Schlacht heimkehrt und feststellen muss, dass er eben erst ging, obwohl er noch gar nicht kam, darf menschliche Eifersucht spielen, Rage und Beherrschung. Bisweilen übertreibt er die Artikulation. Den Wunsch, Vater eines Herkules zu werden, den er an seinen Doppelgänger noch fast liegend richtet, nimmt man ihm nicht ab. Was aber an Kleist liegt.
Ingo Brosch hat für seinen Jupiter die Entscheidung getroffen, das Marmorhaft-Steife dominieren zu lassen, so klingen seine Texte bisweilen hergesagt, die Ödnis des Olymps ohne Liebe beklagt er nahezu übergangslos. Da lässt sich für die weiteren Abende sicher noch feilen, dann werden auch die Texte sicherer sitzen, jetzt hat jeder Darsteller mindestens einen Versprecher, alle meistern das jedoch souverän. Matthias Herolds Merkur schwingt bisweilen ins Tuntige, Natascha Clasings Charis wächst aus der Statik des Anfangs in eine beschwingte Spiellaune hinein, der man jede Lust auf einen beliebigen Gott abnimmt und die Enttäuschung auch über diesen Sosias, dem Wurst und aufgewärmter Kohl über alles gehen. Ulrich Kunze Urgestein war am Ende kurz Feldherr Argatiphontidas. Und wir alle im Parkett das Volk der Thebaner.
Es gibt viele feine kleine Einfälle in dieser Inszenierung: das auf Fingerschnips von oben fallende Frottiertuch, der Göttervater, der von der Stange gerutscht kommt und zwar wie vom Fernsehen mit Werbepause gewohnt, einmal vorher und, zur Anknüpfung, einmal nachher. Auch Sosias führt ein Handtuch mit sich und ein dickes Stück Seife für seinen Doppelgänger Merkur. Der Wassergraben dient dem Liebesspiel, er ist nervenkühlendes Kneipp-Tret-Becken für Alkmene, Fußbad für den Götterboten. Der, Sonderlob für diesen Gag, seinem Chef Jupiter den Namen des Helden Herkules soufflieren muss und dann auf die Uhr tippt, als der Abgang nach oben fällig wird. Und die alte Aluminium-Brotbüchse des Dieners, der darin ein angeknabbertes Pausenbrot findet. All das verträgt Kleist sehr gut.
Man muss Meiningen kein besonderes Verhältnis zu gerade diesem Bühnendichter mehr bescheinigen, die Sonderausstellungen diesen Jahres haben es hinreichend und gut dokumentiert. Man darf nach dem „Zerbrochnen Krug“, nach dem noch laufenden „Käthchen“ nur sagen: Dranbleiben, nun Mut, nun auch einmal eine „Penthesilea“ oder, Coburg hat das weit und breit allein versucht zuletzt, auch einmal eine „Familie Schroffenstein“. Es gab viel Beifall, es wurde getrampelt und „Bravo“gerufen. Wenn in den nächsten Aufführungen immer da, wo zur Premiere die lautesten Stellen waren, etwas gedämpft wird, bliebe mir kein Wunsch mehr offen. Achtbare zweieinhalb Stunden. Dicker Daumen hoch, um nicht „Chapeau!“ sagen zu müssen, was als staubig gilt in Zeiten des Internets.
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