Schiller/Picard: Der Parasit, Landesbühne Eisleben

Dass eine Geschichte schnell erzählt ist, ist schnell behauptet. Es ist ein Satz fürs Phrasenschwein. In meines habe ich schon investiert. Denn, so müsste die Anschlussfrage nach der eilfertigen Behauptung sofort lauten, wenn die Geschichte schon schnell erzählt ist, warum hat es der Autor dann nicht getan und stattdessen einen ganzen Roman oder fünf lange Akte für die Bühne zu Papier gebracht? Weil eben gar nicht von der Geschichte die Rede ist, wenn von ihr geredet wird, sondern von dem, was man so Plot nennt, der wiederum, übertriebene Trennschärfen beiseite, ein wenig nach der guten alten Fabel schnüffelt, der im Interesse transatlantischer Freundschaft ein kompatibleres Mäntelchen umgehängt wurde. Fünf Aufzüge also sind es bei diesem „Lustspiel nach dem Französischen“, an dessen Ende der Minister höchstselbst von himmlischer Gerechtigkeit redet. Die ist immer noch besser als gar keine Gerechtigkeit und auf die ministerielle Frage: „Sind das unsere Freunde, die unsern Lastern dienen?“, antworten wir brav und im Chor: „Nein, Herr Minister!“ Unsere Freunde dienen unserer Tugend, bis wir Bolde derselben sind, Tugendbolde.

So weit die Einleitung ohne Inszenierung. Mit Inszenierung müsste der Einstieg lauten : Ogottogott, Ogottogott. Danach wäre zügig der Mantel des Schweigens auszubreiten. Was war das denn? War das „Der Parasit oder die Kunst sein Glück zu machen“? Was hat um alles in der Welt  Friedrich Schiller, unser Friedrich, mit diesem Grottenmulm zu tun? War der tatsächlich damals so pleite, dass er einen solchen Mumpitz übersetzen musste? Ist ihm der Goethe so sehr auf den Wecker gegangen mit seinen Wünschen für einen Spielplan, in dem nicht immer nur Iffland und Kotzebue, Kotzebue und Iffland auf dem Weimarer Programmzettel stehen sollten? Nein, keine Rhetorik, natürlich hat Schiller nicht blindlings den erstbesten Mist von der französischen Komödienhalde gezogen. Natürlich zeigt seine Verwandlung der, bitte die Suchmaschinen aktivieren, französischen Alexandriner in deutsche Prosa den Meister Schiller. Er hat nicht nur Sprache, sondern auch moralische Anstalt ins Original diffundieren lassen. Das Stück hat Inszenierungen hinter sich, die sogar mauligste Kritiker begeisterten. In Eisleben aber strich man nicht nur die oben zitierte Ministerfrage. Man hat alles gestrichen.

Nicht im Wortsinn natürlich, denn Text wird viel gesprochen. Es wird sogar überwiegend gesprochen. Damit nicht irgendeiner der acht Darsteller eventuell auf die Idee kommt, sich hyperaktiv auf der Bühne zu bewegen, ist die mit einer Menge Tische und knapp zwanzig Stühlen vollgepfropft (Ausstattung Peer Palmowski). Es handelt sich um eine Art Bistro, weil es ja Frankreich ist und der Kellner (Markus Braun, der auch noch den Robineau vom Dorf spielt) sieht aus wie der Mann aus der Weichkäsewerbung. Er allein darf hin und her und her und hin sausen und damit es was zu lachen gibt, es handelt sich um ein Lustspiel, darf er farbige Getränke austrinken, soweit die Mitspieler und Mitspielerinnen nicht alles schafften oder ein Glas zu viel aufs Tablett geriet. Hinten dreht sich eine Drehtür für Auftritte und Abgänge und wenn es mal wieder lustig werden soll, es handelt sich um ein Lustspiel, dreht einer dort ein paar Runden mehr. Die Kostüme der Männer sind großkariert, Ausnahme: der Parasit. Der geht in Breitnadelstreif. Die beiden Damen sind feuerrot und pinkorange oder orangepink, ich lese zu wenig Fashion-Week-Journale, um das sauber fixieren zu können.

Die Namen der Darsteller stehen auf der Programmkarte, sie sind damit öffentliches Gut und dürfen genannt werden. Da wäre Yvonne Döring als Madame Belmont, das ist die Mutter des frischen Ministers Narbonne. Die hat den ganzen langen Abend über die Bühne zu krauchen mit verstellter Stimme wie die Hexe Babajaga und krumm am Schirm, als wäre ihr der Ischiasnerv eingeklemmt. Falls das der Einfall von Martina Bode (Regie) für diese ja keineswegs undankbare Rolle war, dann war der Einfall eine Schnapsidee. Noch dämlicher nur der frei erfundene Sprachfehler des Parasiten Selicour (Mathias Kusche), der immer beim Wort „Minister“ das Stottern, Schnauben und Zucken kriegte. Das allein reichte, aus einer feinen Komödie mit Rollenangeboten auch über die beiden hinaus, die Schiller bewogen hatten, das Stück für tauglich zu befinden, eine rundum grauenhafte Klamotte zu machen. Wenn alles aber Klamotte ist, unterste Schublade, Gruselkabinett, wie soll da jemand spielend darüber hinaus gelangen? So stöckelt denn Michaela Dazian als Tochter Charlotte auf ihren Absätzen, als hätte sie bis dahin nur Pantoffelerfahrung. Und ständig fummelt sie an ihrer Nase und zuckt mit dem Mund. Gut, dass sie wenigstens zu singen hatte. Sie sang passend schlecht.

Timothy Nicolai pingelte als Firmin. Dass einer, der permanent seine Aktentasche unterm Arm zusammenklemmt, permanent das Keksdöschen zückt, sich beschmutzt fühlt, wenn ihn der Parasit da oder dort berührt und das Spraydöschen sprayen lässt, eher er sein Beamtenärschlein auf eine Sitzfläche platziert, dass der ausgerechnet die Fähigkeiten zu einer großen Denkschrift oder für das Amt eines Gesandten haben sollte, glaubt wahrscheinlich nicht einmal die Regie. Seine Musterhaftigkeit und Vorbildlichkeit sind espritfrei und sein Sohn ähnelt ihm sehr. In solche Backpfeifengesichter verlieben sich bestenfalls Trullas. Da soll mal was gewesen sein? Liebe, große Liebe, die den Dichter im Firmin-Junior beflügelt? Patrick Oliver Schulz war sich offenbar nicht sicher, ob er ganz und gar aus dem Gestus der Inszenierung heraus fallen sollte oder nicht. So sprach er wie Michaela Dazian: halb herausfallend. Markus Lingstädt als Minister Narbonne, Vater Charlottes, Sohn der krummen Madame, deren saufrivoler Lieblings-Longdrink sautreffend „Sex in the Beach“ heißt, also einen urfranzösischen Namen trägt, muss es mit dem Kakao halten.

Während alle, Schiller sei Dank, deutsch reden, bestellen sie aus unerfindlichen Gründen ihre Getränke in der Sprache des Originals. Das passt ungefähr so gut wie der erste Satz des Programms: „Der Orts des Geschehens ist Paris, das Vorzimmer des Ministers Narbonne.“ Aber vielleicht haben ja in Frankreich zu Schillers Zeiten Minister Vorzimmer gehabt, in denen ihre Diener gleichzeitig Kellner waren und Barhocker zum Studium von Akten dienten. Markus Lingstädt jedenfalls schwankt zwischen komischer Figur und dem, was er im Text eigentlich sein soll. Somit bleiben die beiden Rollen, die allein den Abend tragen, selbst wenn alle anderen nach einem Kreuzbandriss noch nicht wieder richtig trainieren konnten. Mathias Kusche als Selicour spielt weitgehend körperlos, wie denn alle darunter leiden, dass sie keinen Spielplatz haben. Sie sagen ihre Texte fast durchweg im Sitzen oder im Stillstehen, damit liegt alles oder nichts im Sprechakt. Meist mehr nichts. Ausnahme war, was wenig bedeuten will, Christopher Wartig als La Roche. Wenn einer eine Rollenauffassung erkennen ließ innerhalb dieser extrem missratenen Inszenierung, dann er. Man darf aber keinen anderen in dieser Rolle gesehen haben.

Dass der Text Tiefen hat, die den Schiller im Picard anzeigen – die Regie tat alles, damit das niemandem auffiel. Die Zuordnung von Wiedererkennungsgesten, die in anderen Umfeldern Running Gags geworden wären, sie verpuffte. Alles zusammen ein Theaterabend wie DDR. Also nicht alles schlecht. Wie zum Beispiel zum Schluss alle Darsteller/innen rückwärts laufend ihre Anfangspositionen wieder einnahmen, die Zeitungen wieder vor ihre Nasen hielten, das will ich gern Idee nennen, die den Namen verdient. Die musikalischen Zwischenspiele nahebei. Viel mehr Pralinen aber waren nicht in der Schachtel. Einige Zuschauer gingen bereits in der Pause. Eine Zuschauerin gähnte mehrfach so herzlich laut, dass es fast den Abend rettete. Ein Zuschauer sagte zu seiner Nachbarin, bevor es noch losging, : „Es ist von Schiller, aber soll nicht schlecht sein.“ Was er danach sagte, hörte ich leider nicht.
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