Büchner: Leonce und Lena, Landestheater Coburg

Man möge Gott um Makkaroni und Melone bitten: dies war ein Theaterabend! Hundert rasante Minuten in der ausverkauften Reithalle, während zeitgleich im Großen Haus Oper angesagt war, die platzgedrungen überschaubare Zuschauermenge klatschte heftig und ausdauernd am Ende, zu verbeugen hatten sich neben den sieben Darstellern auch Michael Götz (Regie), Ditteke Waidelich (Bühne) und Imke Paulick (Kostüme). Weil sie, auch wenn dieser Büchner ein dankbarer Job ist, den erst einmal ordentlich zu machen hatten. So ist es durchaus nicht nötig, Textsicherheit eigens zu erwähnen, wäre sie die Norm, wohin man käme. Ich aber notierte zuletzt so viele Versprecher in  Premieren, dass ich ernsthaft überlegte, künftighin erst die dritten Aufführungen zu besuchen. Hier in Coburg saß der Text und es war eine Freude, ihn zu hören.
 
Diese wild verrückte Geschichte aus einem viereckigen Kleinstaat deutschester Prägung hat alles, was das Herz begehren kann: abgedrehte Verrücktheiten, die übergangslos in pure Poesie kippen, Tiefsinn für leise Töne und Anspielungen ohne Ende bis hin zu Goethes „Faust“ und seinem Augenblick, zu dem man nie: Verweile doch! sagen sollte. Auf der Bühne sieben weiße Stühle, die liegen, eine Badewanne ohne Wasser, die steht, eine Säule und eine Bank, ein drehbarer Bau mit zwölf Stufen. Dazu ein roter Teppich, aus Bodenbelag geschnitten, nach Bedarf zu rollen oder umzuklappen. Die größte körperliche Leistung hatte sicher Anna Staab als Lena vom Reiche Pipi zu erbringen, die volle fünfzig Minuten als rotgewandete Säulenheilige auf der nämlichen verharren musste, ehe sie endlich mit Fußgymnastik beginnen konnte.

Zu spielen haben, Büchner sei es gedankt und geklagt, in dieser Komödie jedoch vor allem die Männer, so dass neben Anna Staab auch Kerstin Hänel in Doppelrolle als Rosetta und Gouvernante zu mählicher Blässe verurteilt blieb, ohne größere Chancen, sehr viel mehr zu zeigen. Vivian Frey war ein Prinz Leonce mit allen Farben des Figurenspektrums. Er raste umher wie ein Verrückter, zappelte, wackelte, kasperte, kratzte und juckte, wand sich am Boden, als hätte er eine Kombination von Veitstanz und Hyperaktivität und dann, plötzlich, war er erschrockener Erzmelancholiker, träumender Poet, leisester Töne mächtig und das immer überzeugend. Als Valerio musste Sönke Schnitzer ein wenig wie Eckart von Hirschhausen aussehen, bei dem die Leber mit ihren Aufgaben wächst. Er war ein großer gutmütiger Junge, der gern abbeißt und dazu einen guten Schluck nimmt. Sebastian Pass und Nils Liebscher, heftig geschminkt und vollkommen überzeichnet, was passte in fast jedem Detail, sorgten für Lacher mit Slapstick als Präsident des Staatsrates und als Zeremonienmeister.

Auch der König Peter vom Reiche Popo (Helmut Jakobi),  nach dessen Willen sich Leonce und Lena verheiraten sollen, ohne sich je gesehen zu haben, begann in Unterhose mit Spitzen eher wie eine Knallcharge des puren Klamauks, erhob sich dann aber in seinem zweiten Auftritt zum Ende der drei ohne Pause gespielten Akte zu großer Komik. Dieser König, der sich zum Denken verabschiedet, um sein Reich dem jungen Paar in die Hände zu geben, mit quer über die Platte geklebten Reststrähnen, er ist auch für intime Text-Kenner eine Perle in all seinen süffisanten Philosophemen, mit denen sich einst Büchner von seinen Studien für die Vorlesungen in Zürich erholte, indem er distanzierte, was er selbst vorzutragen beabsichtigte vor Studenten.

Es soll nicht jeder kleine feine Einfall erwähnt werden, die küssenden Masken bei der Hochzeit „in effigie“, Valerio als Luftgitarrenspieler in der plötzlichen Italien-Vision des Prinzen, der ewig hohe Kragen, in den Sebastian Pass seinen Kopf einzog wie eine Schildkröte bei Gefahr, oder die Einübung der Zuschauer als zum Applaus befohlenes Volk von Popo mittels Gebärdensprache. Möge dies alles durchlaufen bis zum Büchnerjahr 2013. Für mich hatte alles auch einen Wermutstropfen: in der Jürgen-Gosch-Inszenierung vor maßlos vielen Jahren in Ostberlin wälzte sich das Publikum vor Lachen, als der Staatsrat mit Blindenbinden und weißen Stöcken die Spielfläche betrat. Die Anspielung auf die Gerontokratie der DDR-Staatsführung hätte jetzt in Coburg niemand ohne Untertitel verstanden. Der Staatsrat wurde gestrichen. Das ist gut so und doch auch ein Bröcklein traurig.
 www.landestheater-coburg.de


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