Schiller: Maria Stuart, Theater Rudolstadt
Schillers „Maria Stuart“ ist unter seinen Tragödien wohl die, die in Strichfassungen am meisten verliert. Der selbst von Gegnern gelobte klassische Bau, seine Symmetrien, bilden ein bei Antastung empfindliches Gleichgewicht. Wenn der Theaterzettel also ausweist, dass außer den beiden Königinnen alle Frauenrollen gestrichen wurden, dass unter den Männerrollen die Franzosen und die Herren aus Marias Umfeld entfallen, dann ist klar, ehe das erste Wort auf der Bühne gesprochen wird: Maria Stuart hat hier wenig Chancen zu sein, was sie bei Schiller sein soll.
Carlos Manuel, der 1968 in Angola geborene Regisseur, hat in München, Chemnitz, Freiburg, Esslingen, Potsdam, Hamburg inszeniert, in Rudolstadt jetzt erstmals. Er ist ein schon erfahrener, wenngleich kein Schiller-erfahrener Mann. Und doch oder vielleicht gerade deswegen gelingt ihm schließlich eine schlüssige Fassung. Von der freilich zu sagen wäre, dass Zuschauer ohne Textkenntnis besser gerüstet sind für diese Tragödie. Sie sparen sich eine durchaus schmerzende Verlustbilanz.
Von den acht Darstellern dagegen sind immerhin sechs derzeit in Rudolstadt auch in „Kabale und Liebe“ zu erleben. Und sie machen ihre Sache, mit Einschränkungen, gut. Anne Kies steht als Maria ganz schwarz gewandet auf einem Stuhl zu Beginn, sie bewegt sich wie die Puppe einer Spieluhr und es erklingt auch Musik aus einer Spieluhr. Ewa Rataj steht am Ende ganz weiß gewandet an der Rampe und streckt den Arm nach vorn mit einem überdimensionalen Ring. Und es gibt natürlich jene Szene zwischen ihnen in der Mitte, die eine der Szenen aller Szenen ist für alle Darstellerinnen, seit das Stück in der Welt ist.
Die Regie hat darauf verzichtet, Brechts von einem Anonymus des Jahres 1800 in Jena geklaute Fisch-Weiber-Deutung für Maria und Elisabeth nachzudeklinieren. Die Idee, während der Auseinandersetzung der Königinnen den „Spiel“-Raum ganz faktisch auf beinahe Null zu reduzieren durch Vorrücken der weißen, mit vielen roten Totenköpfen gezierten Wand fast bis zur vorderen Bühnenkante, signalisiert eher, was diese Regie will. Und die Klage der siegreichen Königin Elisabeth, „O der ist noch nicht König, der der Welt // Gefallen muß! Nur der ist´s, der bei seinem Tun // Nach keines Menschen Beifall braucht zu fragen.“, diese Klage steht im Raum.
Was noch? Man darf fragen, warum die männlichen Darsteller des Hofstaates der Elisabeth so aussehen, wie sie aussehen: Burleigh (Marcus Ostberg) agiert in grauem Ledermantel mit einer schwarzen Armbinde, alle tragen Springerstiefel. Oder sind es nur weniger assoziationsanfällige Normalstiefel des ewigen Militärs? Davison, der Sekretär, den Elisabeth am Ende opfert (Benjamin Griebel), schiebt einen Rollstuhl über die Bühne, in den er sich immer wieder setzt, stumm und schaugierig, denn zu sagen hat er, wie bei Schiller auch, erst am Ende etwas.
Und dann, mit Verlaub, sowohl Markus Seidensticker als Graf Leicester als auch Johannes Arpe als Talbot, sie wollen einfach nicht zu ihren Rollen passen, da können sie spielen, wie immer sie mögen. In solchen Leicester verlieben sich nicht zwei Königinnen, solchem Talbot nimmt man nicht ab, dass es ihm misslang, der Königin edelstes Teil zu retten. Wann hätte er es auch nur glaubhaft versucht? Was kein Vorwurf an die Mimen ist. Man traut einem Würfel kaum zu, dass er eine Kugel sein soll.
Anne Kies ist nicht nur eine eindrucksvolle Luise Millerin, sie ist auch eine Maria Stuart, die Achtung gebietet. Und Simon Keel, dieser Mortimer, der diese Königin an sich reißt, sie schwenkt im wilden Tanz zu immer lauterer (und alberner) Musik, und sich gar auf sie wirft, im Weimar Schillers bemängelte man den festen Griff des Herrn Voß um die eigene Gattin, hier wäre wohl der Herzog schreckensbleich aus der Loge gefallen.
Ritter Paulet Joachim Brunner hat seine Szene, als er die Bühne herrichtet für den kurzen Rausch vermeintlicher Freiheitsbotschaft für Maria vor ihrem Zusammentreffen mit Elisabeth. Er schwenkt einen großen Schmetterling am Stab und ruft „Schmetter, schmetter!“ Und die ewig anstößige Kommunion? Kniend biss Anne Kies ins Brot, kniend trank sie den Wein aus der Flasche. Sie war am Ende nicht freier als zu Beginn auf dem Stuhl. Und so auch Elisabeth.
Regie: Carlos Manuel; Ausstattung: Vinzenz Gertler; Dramaturgie: Matthias Spaniel; mit: Ewa Rataj, Anne Kies, Markus Seidensticker, Johannes Arpe, Marcus Ostberg, Benjamin Griebel, Joachim Brunner, Simon Keel.
Diese Kritik stammt aus dem Jahr 2010