Shakespeare: Ein Sommernachtstraum; Theater Rudolstadt
Schwer vorstellbar, dass noch vor gar nicht langer Zeit „Ein Sommernachtstraum“ einen mittleren Kulturkampf auslösen konnte, 1961 nämlich, als der Intendant der Bad Hersfelder Festspiele, der weithin bekannte Regisseur William Dieterle, die ewig junge und ewig herrliche Komödie in seinen Spielplan nahm. Komödie in einer Stiftsruine? Es klang, als hätte jemand einen Strip-Club im Kloster-Refektorium installieren wollen. Schwer vorstellbar, wie die einschlägigen Wutbürger christlichen Glaubens reagiert hätten, hätte ihnen Dieterle dann noch obendrein zwei ziemlich nackte junge Damen vor Augen gestellt, Lampenschirme über den Köpfen, auf dass sie demnächst im Beichtstuhl nicht erkennbar wären, dafür aber schönbrüstig und ein Häppchen lasziv dazu. Mehr Nacktheit und Direktheit sah ich, es gleich zu sagen, in Rudolstadt noch nie, aber ich bin ja dort auch nicht aller dreizehn Tage. Direktheit: also eine Hermia weiblichen Geschlechts sowie mindestens drei Elfen männlichen Geschlechts zeigen, was wir hier mit Rubbeln umschreiben wollen, Hermia verbindet es mit den dazu haargenau passenden orgastischen Tonfolgen.
Trieb und Trieb-Unterdrückung, den Exkurs in die Küchen- und Keller-Psychologie unterlassen wir an dieser Stelle und wenden uns den Bierkästen zu. In Rudolstadt haben Bierkästen auf der Bühne eine gewisse Tradition, aktuell waren es nur drei, es gab aber auch schon einen halben Getränkemarkt dort oben (oder unten aus Sicht des Publikums). Diesmal dienten die Bierkästen als Sitzplatz für die Handwerker, die etwas wie einen Prolog vor dem Vorhang spielten. Matthias Winde war Peter Squenz, Inszenator des Spiels von Pyramus und Thisbe, Markus Seidensticker Zettel und Pyramus, Marcus Ostberg Flaut und Thisbe, Rayk Gaida Schnock und Löwe und Jochen Ganser Schnauz, Wand und Mond. Alle außer Seidensticker auch noch Elfen in weißem Tütü, tuntig mit Käptn-Iglo-Bärten. Das überwiegend sehr junge Publikum fand das ziemlich amüsant. Erwartungsgemäß und dennoch keineswegs selbstverständlich: Pyramus und Thisbe sind die Glanz- und Paraderollen, wer die verhaut, sollte dann vielleicht doch in der Agentur für Arbeit vorstellig werden. Seidensticker und Ostberg aber glänzten und paradierten. Und steigerten sich.
Hier wäre Regisseur Jens Schmidl ein gutes Führungs-Zeugnis auszustellen, beherrschte er doch eine Ökonomie des Spielens, die man erst einmal beherrschen muss. Das Gegenteil hieße vorzeitiges und vollständiges Verschießen allen Pulvers. Man kennt es vom Fußball: Stürmisches Anrennen, Gegenpressing an der Grundlinie des Gegners und schon vier Minuten nach der Pause pumpt die Mannschaft, wehe, wenn da nicht schon Tore gefallen sind. In Rudolstadt baut sich die Folge der Handwerker-Rüpel-Szenen in aufsteigender Linie. Das tatsächliche Spiel vor den Augen von Theseus (Johannes Geißer) und Hippolyta (Carola Sigg) sowie der beiden Paare Lysander und Hermia (Günther Sturmlechner und Lisa Klabunde) und Demetrius und Helena ((Tino Kühn und Anna Oussankina) hatte noch hinreichend Pfeile im Köcher, um der Bogenschützen-Innung eine Referenz zu erweisen. Shakespeare hat das ziemlich sicher genau so gewollt. Und den Plüschhund am Bein des Mondes, den hätte er ziemlich sicher lustig gefunden. Die Wechselreden der Mimen und des Spielleiters Squenz haben, las man, in Betriebsnudelkreisen Sonderbeifall gefunden. www.theater-rudolstadt.de
Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.