Shakespeare: Othello; Theater Hof

Vermutlich ist es eine alberne Vorstellung: Der künftige Regisseur eines Oberklassikers nimmt sich eine pfiffig-schnelle Dramaturgie-Hospitantin, setzt sie auf die Inszenierungsgeschichte der noch lediglich ins Visier genommenen Aufführung der kommenden Spielzeit an und arbeitet eine Check-Liste ab danach: Faust und Mephisto – hatten wir schon, eins bis vier Fäuste - hatten wird schon, Faust als Frau – hatten wir schon, Faust und Mephisto sind ein Schauspieler – hatten wir schon, Faust ist eins bis zwei Farbige – hatten wir schon, Faust als Handpuppe – hatten wir schon, der wirkliche Hammer wäre „Faust“ ohne Faust. Die Mephisto-Varianten wären durchzuspielen. Nächste Check-Aufgaben: Wen streichen wir mit welchen Folgen? Welche Schlüsse ergeben sich aus dem Fehlen welcher Personen? Seit wir den Männern und den Frauen nach Parteitagsbeschluss auch Diverse beigesellen müssen, könnte Faust natürlich auch von einem Divers-Wesen gespielt werden, das dann allerdings zu Erkennungszwecken ein Schild um den Hals tragen müsste mit Folgen unfreiwilliger Komik. Wir beenden die vermutlich alberne Vorstellung und halten in aller Schlichtheit fest: In Hof ist Othello eine Frau, trotzdem General und hat als Frau eine Frau. Das macht sie zur „Lesbe“, während Desdemona, die andere Frau, kurioserweise nie so genannt wird.

Klingt feindselig meinerseits, ist es aber nicht. Denn ich gehe ins Theater, gute Inszenierungen zu sehen. Eine gute Inszenierung kann auch eine sein, die aus falschen Voraussetzungen ein in sich stimmiges und zu allem sogar noch gut gespieltes Konstrukt auf die Bühne stellt. Nicht die Fehlinterpretation von „Othello“ als Stück gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und (nach Belieben der Checklisten-Regisseure sämtlicher Geschlechter einfügen) ist das Problem, sondern das „Gebäude“ über dem Fundament. In Coburg vorige Woche passte nichts, was mir, Verzeihung, nach der Hofer Inszenierung von Reinhardt Friese, Intendant des Hauses, noch sehr viel deutlicher geworden ist. In Hof passte (fast) alles, wenn ich von der argen Überlautstärke absehe, mit der der Jago (Dominique Bals) und der Roderigo (Jörg Bregenzer) ins Spiel einstiegen. Wer brüllt, findet schwerer zu den leisen Tönen zurück, die es nur in sehr wenigen Rollen gar nicht gibt. Wer brüllt, setzt sich dem Verdacht aus, es mangele ihm an Fähigkeiten, große Leidenschaften, auch die großen bösen sind ja große Leidenschaften, adäquat auszudrücken. Bals tut sich selbst keinen Gefallen, weil seinem Spiel ja sehr viel mehr abverlangt wird als dem Darsteller des Roderigo, der als mehr oder minder komischer August allerorten leidlich über die jeweilige Bühne kommt, findet sich aber.

Wer wie Reinhardt Friese mit seiner Idee, Othello zu einer lesbischen Generalin zu machen, einen ganz anderen Hintergrund aufruft als die üblichen männlichen Othellos, die sich kaum noch einer oder eine schwarz zu zeigen getraut, weil der Dachverband der Wächterräte keinen Klagegrund haben soll, der hat eine Debatte ferngehalten, die in der Ferne gut aufgehoben ist. Ich zitiere zum Thema Rassismus im „Othello“ einen Mann, den wahrscheinlich niemand mit Shakespeare in Verbindung bringt, obwohl er eine sehr gute Shakespeare-Biographie schrieb, Anthony Burgess: „Was für uns besonders interessant – und auch beschämend – ist: Ein schwarzer Mann als ein großer Feldherr mit höchstem sozialem Status wurde zu der Zeit offenbar anstandslos akzeptiert. Othellos Hautfarbe hatte keinen Beigeschmack von Sklaventum und Inferiorität. Schon in jenen Tagen gab es große Neger (oder Mohren – Mohr war der allgemein gebräuchliche Begriff für den dunkelhäutigen Menschen) wie zum Beispiel Antonio Manoel de Vunth, der als Botschafter des Königs von Kongo am Heiligen Stuhl in Rom diente. Ein schwarzer Christ oder auch Heide war der Zeit weit lieber als ein hellhäutiger Moslem, und Othello führt denn seine venezianische Armee auch gegen Moslems, die hellhäutiger sind als er.“ Und, weil es helfen soll, noch einmal Burgess.

„Othello ist zweifellos der sympathischste der späten tragischen Charaktere Shakespeares und war dem zeitgenössischen Publikum noch sympathischer, als er es heute sein könnte. Jenes Publikum wird ihn als einen Mann gesehen haben, der in der heißen Leidenschaftlichkeit seiner Rasse bis an den äußersten Rand seiner Leidenschaft getrieben wird – und dies nicht nur durch Jago. Desdemona wird für die Elisabethaner und Jakobäer keineswegs jene süße Unschuld besessen haben wie zum Beispiel Ophelia. Sie war eine Venezianerin und alle Venezianerinnen galten als Kurtisanen, sie handelte kühn, als es darum ging, sich Othello zum Gatten zu machen, und ihr töchterlicher Ungehorsam wird ihr damals kaum so leicht verziehen worden sein wie heute.“ Etwas Hintergrund an Geschichte ist auch für ins Zeitgenössische verschobene Aufführungen nie ganz schädlich. Der Hofer „Othello“ zeigt eines, was er vermutlich gar nicht unbedingt zeigen wollte: Die weibliche Eifersucht unterscheidet sich hinsichtlich ihres Rasens und der wilden Bereitschaft zum Mord aus Leidenschaft schlicht und ergreifend gar nicht von männlicher Eifersucht. Und plötzlich erweist sich eine inszenatorische Setzung (Othello = Frau) als sehr folgenreich: denn, nun endlich muss er fallen, der Name, Antje Hochholdinger = Othello zeigt und spielt weibliche Eifersucht sehr „natürlich“.

Mit der Art, wie Hochholdinger eifersüchtig ist, wäre ein männlicher Othello nicht annähernd so stimmig, nicht umsonst ist manche moderne Inszenierung schon Richtung „Ehrenmord“ abgeglitten. In Hof aber geht, das „fast“ ist erläutert, alles auf. Und, es kommt etwas hinzu, das mir ebenfalls erwähnenswert scheint, weil es seltener ist, als mancher glauben mag. Das recht ausführliche Interview im Programmheft erklärt und erläutert die Ambitionen des Teams, wie es andere auch tun, aber, das große Aber: hier stimmen Wort und Tat, sprich Absicht und Umsetzung der Absicht in frappierender Weise überein. Das geht bis zu den Details des Bühnenbildes (Annette Mahlendorf), zur Sprache der neuen Übersetzung (von Miriam Schwan). Das Bühnenbild ist, je nach Sehweise, eigentlich keines: der Name, der Titel stehen da in leuchtenden Großbuchstaben: OTHELLO. Das ist aber so geschickt gestellt, dass man die beiden O rechts und links einmal ignorierend, THE und HELL erkennt. HELL = Hölle leuchtet zum Ende nur noch allein. Die Hölle sind immer die anderen, hat sehr viel später ein sehr anderer als Shakespeare dem Welt-Zitatenschatz beigefügt. Alles Geschehen des knapp zweistündigen Abends ohne Pause bewegt sich zwischen den Buchstaben und um sie herum. Man kann sogar auf ihnen sitzen, etwas auf sie stellen sowieso.

Gerade weil ich mich bisweilen dem Verdacht aussetzte, mir ginge eine so genannte „Werktreue“ über alles, und ich räume gern ein, dass ich mit der Stupidität einer deutschen Verbraucher-Zentrale darauf bestehe zu bekommen, was auf der Verpackung steht, bekenne ich, nahezu begeistert dem Paartanz von Jago und Emilia (Carolin Waltsgott) gefolgt zu sein. Den es, schon gar nicht mit der Musik von Hof, bei Shakespeare natürlich nicht gibt. Die Choreographie (Barbara Buser) gibt dem Abend zu allem Guten noch einen frei schwebenden Schauwert. Dergleichen verträgt jedes Theater. Emilia überlebt in Hof nicht nur, das tat sie auch in Coburg, sie verlässt gemeinsam mit dem ebenfalls überlebenden Jago das Spielfeld vor dem Schlussbeifall. Regisseur Friese erläutert das im bereits genannten Interview, man möge dort nachlesen. Ich gebe, als einer mit vier Semestern Logik vor mehr als vierzig Jahren, nur zu bedenken, dass das Bestrafen eines einzelnen Bösen keineswegs gleichzusetzen ist mit dem Sieg des Guten als Botschaft eines Theaterabends. Fünfzig verhaftete öffentlich-rechtliche Mörder in Tatort und Polizeiruf bringen uns ja auch nicht auf den albernen Gedanken, die Welt sei deshalb in Ordnung. Ist sie nicht. Wird sie auch nicht in nächster Zeit. Der Hofer „Othello“ benutzt eine Sprache, die nicht ohne vorherige Warnhinweise verwendet wird.

Vor allem weibliche Premierenbesucher gaben durch Laute an den einschlägigen Stellen zu erkennen, warum diese Art Gossen-Drastik, die bei Shakespeare ja tatsächlich in den Dialogen und Monologen ist, noch immer von echter oder geheuchelter Pikiertheit begleitet wird. Man kann dagegen allenfalls einwenden, dass nicht alles, was es an sprachlichen Möglichkeiten gibt, Dinge auszudrücken, die mit Sexualität zu tun haben, auch zwingend in Kunst einfließen muss. Ich erwarte auch nicht von jedem zweiten Spielfilm eine Szene mit braunem Finger, nur weil im wirklichen Leben jedes zweite einlagige Klopapier reißt und das wesentlich öfter geschieht als etwa ein Ereignis in Erfurt. Reinhardt Friese folgt Shakespeare sehr getreu, steht im Programmheft, und trotzdem sehr modern. Ich überlege mir, ob nicht dieses trotzdem die Hürde ist, die zu überspringen wäre. Wenn einer/ eine Shakespeare sehr getreu folgte und DESHALB sehr modern! Schließt sich das aus? Was sich in Hof ausschloss, war die Art des männlichen Würgens am Ende: Othello würgt anders, wäre eine passende Überschrift für eine Boulevard-Kritik. Antje Hochholdinger tötete ihre Desdemona (Alrun Herbing) mit Druck des Handballens gegen die Nase, es dauerte etwas länger als das übliche Würgen. Es ist klar, warum Frauen Erhängen als Selbstmord-Technik nicht mögen.

Bei Shakespeare argwöhnt Brabantio (Volker Ringe), der Vater von Desdemona, es sei Zauberei im Spiel, weil er sich nicht vorstellen kann, dass seine Tochter sich in den „Mohren“ verliebt. In Hof argwöhnt der Vater (in Coburg gab es ihn gar nicht), es seien Drogen oder Gehirnwäsche im Spiel, wenn sich Desdemona in die „Lesbe“ verliebe. In Coburg war der Doge ein seniler Trottel, dem vorgesagt werden musste, in Hof setzt Ralf Hocke mit Espresso-Tässchen in der Hand einen netten Akzent, wenn er nach der Geschichte der Generalin Othello nur anmerkt: „Mit der Geschichte könnten Sie auch bei meiner Tochter landen“ – Lacher im Publikum. Hocke gibt zudem onkelhafte Weisheiten von sich, was der Tragödie erst einmal Vergnüglich-Gemütliches beifügt. In Zypern erscheinen Desdemona und Emilia mit Rollkoffer, den hat viel später auch Bianca (Anja Stange knapp und präzise situationskomisch). Was nicht sehr stimmig ist, sind die Phantasie-Uniformen der Militärs auf der Bühne: Der General Othello und der Fähnrich Jago tragen in keiner Armee der Welt gleiche Schaftstiefel und gleiche Reithosen, während der Leutnant im Kunstledermantel eher aussieht wie die Figuren in Heiner Müllers „Schlacht“ anno 1977. Der Generation Zivildienst kann dergleichen gar nicht erst auffallen, es ist also in Ordnung, wenn es in dezenter Unordnung ist.

Im Schlussbild liegen drei Tote auf der Bühne: Cassio (Jannik Rodenwaldt), Roderigo und Desdemona. Dass die Szene in Zypern ist, spielt keine Rolle mehr. So darf es nicht verwundern, wenn alle drei mit weißen Laken bedeckt werden, wenn plötzlich der Doge da ist und dem Senator Brabantio sein Beileid ausspricht. Othello hat sich erschossen, das Leben geht weiter. Montano (Sebastian Stielke) ist auch zugegen. Das Taschentuch hat seine Schuldigkeit getan, nicht der Mohr, wie es bei Schiller steht. Und Emilia betont Othello gegenüber zwar nachdrücklich, es habe nicht den geringsten Grund für irgendeine Eifersucht gegeben, hält aber alle Beweise zurück, die ihr bei Shakespeare das Leben kosten. Auch die Hofer Desdemona offenbarte nicht, wo ihre spielerische Vertrautheit mit Cassio tatsächlich wurzelt. Sehr wohl zeigte sie aber ihr äußerstes Erstaunen, als sie den Verdacht gegen sich wenigstens zu ahnen begann. Im Interview gesteht Regisseur Reinhardt Friese, „Othello“ sei für ihn „ein Stück über jemanden, der es nicht erträgt, dass ein Außenseiter in diese hochgestellte Position kommt.“ Eigentlich, mag das bedeuten, müsste das Stück dann „Jago“ heißen. Nur der Wahrheit wegen zum Schluss: Es gab schon eine lesbische Generalin Othello: Susanne Wolff am Deutschen Theater Berlin, Meike Droste als Desdemona, Regie Jette Steckel.
www.theater-hof.de


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