Goldoni: Ein Diener zweier Herren, Münchner Sommertheater
Knapp vier Jahre ist es her, seit ich Ulrike Dissmanns Münchner Sommertheater erstmals in Arnstadt sah, damals gab es George Bernard Shaws „Helden“, damals schrieb ich mir auf: „Ich war angenehm überrascht vom hochprofessionellen Spiel, von jungen, vielseitigen Schauspielern, die auch sangen und Instrumente spielten, weil die Leiterin des Hauses, ULRIKE DISSMANN, es nicht nur gut gefunden hatte, eine eigene Übertragung zur Textgrundlage zu nehmen, sie verfasste auch eine Reihe von Liedern neu zum Text, die bei Shaw nicht vorkommen.“ Folgerichtig war ich jetzt nicht mehr überrascht, eine hauseigene Textfassung zu sehen und Lieder zu hören, die, diesmal bei Carlo Goldoni, nicht im Komödientext vorkommen.
Das Faszinierende an den Liedern ist auch diesmal, dass sie gut passen, dass sie hervorragend passen. Beim „Lied vom leeren Magen“ animierte Truffaldino-Darsteller Ramon Bessel, er spielte 2008 den Hauptmann Bluntschli, das angenehm zahlreiche Arnstädter Publikum sogar zum Mitsingen des Refrains. Herz, was willst du mehr, darf sich jeder Theatergänger fragen, dem nicht das höchste Bühnenideal darin besteht, nach drei quälenden Stunden von Problemlösungsangeboten erschlagen aus dem Foyer zu schleichen. Das Münchner Sommertheater hat sich seit zwanzig Jahren der klassischen Komödie verschrieben (den „Diener“ gab es 1993 schon einmal), im Internet lässt sich zeitgemäß alles nachsehen und nachlesen und es gibt zweifellos schlechtere Grundideen der Selbstverschreibung.
Mit diesem frühen Goldoni kann man, die leichte Vordergründigkeit der Assoziation billigend in Kauf zu nehmen, auch des Verfassers eigene Situation in Venedig und Italien in Verbindung bringen. Auch Goldoni (1707 bis 1793) war, sozusagen, ein Diener zweier Herren. Er diente zunächst noch und schon etwas halbherzig, der Tradition. Die hieß dazumal Commedia dell' Arte. Er diente zugleich schon dem Aufbrechen dieser Tradition und das hieß, er diente sich selbst. Selbst kluge Kritiker haben, als in den Fünfzigern Giorgio Strehler mit seinem Mailänder Piccolo-Theater diesen Goldoni epochemachend durch Europa trug, Rückfälligkeiten vermutet, die gar keine waren. Denn, noch einmal, das Frühwerk „Ein Diener zweier Herren“ war noch kein Produkt jener Bühnenrevolution, mit der Carlo Goldoni spätestens seit 1870 (de Sanctis) von der nationalen Literaturgeschichte Italiens in Verbindung gebracht wird.
„Ein Diener zweier Herren“ ist einfach nur eine grandiose Komödie. Und sie ist fast noch mehr ein grandioses Rollenangebot. 1924, als Max Reinhardt diesen Goldoni inszenierte, erinnerte sich die Kritik angesichts des jungen Thimig wehmütig an den alten Thimig (alles Burgtheater) und heute muss man wahrscheinlich selbst Reinhardt googeln lassen, wenn man verstanden werden möchte.
Ulrike Dissmann, die laut Programmheft für Textbearbeitung, Lieder, Kostümentwürfe und Titelzeichnung verantwortlich ist (und Regie führte), hat saubere Arbeit abgeliefert. Sie lässt mit dem Publikum spielen und es wirkt nie anbiedernd. Sie verzichtet auf jegliche Zeitgenösserei und ist mit Zeitlosigkeit zeitnah. Es macht Spaß, dem Treiben auf der Bühne zuzuschauen, auch wenn man in Kenntnis des Stücktextes den Freuden des Überraschtseins vieler Zuschauer enthoben ist.
In solch klassischen Komödien darf dicker aufgetragen werden. Am dicksten bringen es Isabelle Scheiber als Clarice und Mathis Manz in gleich drei Rollen, als Dottore Lombardi, als Silvio, sein Sohn und schließlich noch als trippelnder Aufwärter, der dem zeitgleich beide Herren bedienenden Truffaldino die Bälle (sprich Speisefolge) zuspielt. Schwerer habe es von ihren Rollen her zweifellos und schon von Stück her irreparabel Carolin Schubert als Beatrice in Männerkleidern (später dann sehr weiblich) und Kasimir von Dall'Armi in seinen beiden Rollen als Florindo Aretusi und als Wirt Brighella. Christoph Hirschauer ist Pantalone, der Vater von Clarice, ein Kaufmann, er spielt, wenn es an die Lieder geht, den Kontrabass und singt auch. Aus nicht ganz erfindlichen Gründen assoziiert er Russisches, aber Venedig war einst ja eine weltoffene Stadt schon, als andernorts der Fremde noch beglotzt wurde wie ein Fabelwesen.
Ramon Bessel ist Truffaldino, er ist der „Diener zweier Herren“, er hat die Pracht- und Paraderolle auszufüllen und er macht es großartig. (Von ihm sind, siehe Programmheft, auch die Arrangements und bei ihm liegt die musikalische Leitung). Nicht die hektische Szenerie des Bedienens beider Herren zu Tisch macht er unvergesslich, die macht er hochsolide und komödiantisch genug. Sein Höhepunkt ist das Versiegeln des Briefes mit gekautem Brot. Er macht das nah an der Rampe, die Inszenierung insgesamt läuft sicher programmatisch nah an der Rampe und er macht es zum hellsten Vergnügen seines Publikums. Manchmal erinnert die eine oder andere seiner Bewegungen an Otto Waalkes. Auch das ist nie die schlechteste Reminiszenz, die man einbauen kann. Einzig das Spiel mit den Koffern ist von den großen Verwechslungsgags des Originals weitestgehend gestrichen.
Dass in einer solchen Komödie am Ende alles gut ausgeht, versteht sich. Es finden sich drei Paare: Clarice und Silvio, Beatrice und Florindo und natürlich Smeraldina (Maria Asghari) und Truffaldino. Beide machen die zarteste Passage des Spiels, in der Truffaldino für sich selbst wirbt, als seine Werbung eigentlich schon erhört ist, ehe er beginnt, sie vorzutragen, zu einem Spielchen im Spiel. Und das führt in den zweieinhalb Stunden Spielzeit eben nicht nur bei den Liedern zu Szenenapplaus. Der besonders ausgelassen ausfällt, als Ramon Bessel, sich aus dem Sichtfeld seiner Herren verdrückend, bekundet, er gehe mal eben nur zu dem Feuerwehrmann da (der natürlich pflichtgemäß und versicherungsbasiert hinter der Bühne steht, und aufpasst, ob was anbrennt). Auch die fortgesetzte Hinwendung zur ersten Reihe, die er entscheiden ließ, welches Kästchen zu welchem Herrn gehört, wird zum running gag mit Zwischenbeifall-Garantie.
Während drinnen noch der Beifall erscholl für ein Sommertheater mit höchstem Unterhaltungswert, stimmte draußen der erste Schneefall auf Wintertheater ein. Die nächste Neuinszenierung der Münchner wird „Don Gil von den grünen Hosen“ sein. Siehe auch
www.muenchner-sommertheater.de