Dario Fo: Bezahlt wird nicht!, Bühnen der Stadt Gera

Eigentlich könnte ich sogleich mit der reinen Freude beginnen, die diese Inszenierung macht. Randsalat habe ich hier bereits anlässlich der Meininger Inszenierung hinlänglich auf den Teller gelegt, auch einige Spritzer Dressing drüber, weil es Dario Fo ist, der noch lebt und alt ist, und, siehe Meiningen (Geheimnisverrat: Das war über Wochen mein meistgelesener Text mit rasanten täglichen Klickzuwächsen, erst kürzlich von UPDIKE LIEST HEMINGWAY überholt), aus diversen Gründen nicht einfach nur erwähnt werden sollte. Gera respektive Altenburg, wo die erste Premiere am 24. November lief, am 15. Februar dann die in der Reußischen Residenz, bestätigen die enorme Lebendigkeit der italienischen Vorlage. Selbst die Nachfrage nach den Programmheften muss so lebendig gewesen sein, dass unsereiner nur nach einer schäbigen Schwarzweiß-Drucker-Kopie des äußeren Deckblattes greifen durfte, die wenigstens die Besetzungsliste enthielt und ein Textstück ohne Anfang. Neue Grunderfahrung: Es gibt einen Verein Theaterfreunde Assamstadt, dessen Mitglieder fränkisch sprechen, aber zu Baden-Württemberg gehören. Die haben dunkle Jacken an, auf denen der Verein steht, wenngleich nicht alle eine solche Signaljacke tragen. Von diesen Mundartlern waren etliche in die einstige ostthüringische Bezirksstadt mit dem hohen Proletarieranteil gereist, um maximal abzulachen. Und die Bühnen der Stadt Gera, Spielort Bühne am Park, ließen sich nicht lumpen.

Bernhard Stengele hat inszeniert, Bühne und Kostüme lieferte Gesine Spitzer, Souffleur ist Klaus Wandschneider ( „Was sag ich jetzt, Klaus?“). Unter Stengele war Anne Diemer eben erst eine starke Karoline, Vanessa Rose beeindruckte als Juanita, die singende Frau mit dem Bart. Bruno Beeke, jetzt der Mann, der alle anderen Rollen spielt, gab im Horvath den Schürzinger. Dergleichen darf als eingespieltes Team gelten, man kennt, wie es sportdeutsch heißt, die Laufwege. Also die Pässe, die in die Tiefe des Raumes gespielt werden, kommen punktgenau auf den Fuß und rumms, Pointe. Die Zuschauer sehen zuerst zwei Fotowände von Plattenbauten, die man beiseite schieben kann, dahinter ist die Wohnküche (oder was immer) von Antonia und Giovanni. Das Entré stolpernd und purzelnd mit einer gewaltigen Menge von NETTO-Tüten, Antonia und Margherita beginnen auf italienisch zu spielen. Das Publikum ist schon voll dabei, ehe es recht losgegangen ist, die Vorlacherin aus Assamstadt wird bis zum Ende kaum zur Ruhe kommen.

Es wird berlinert, es wird ungarisches Kauderwelsch parliert, schweizerisch gesprochen und, schwer vermeidlich, wenn es heute für Deutsche richtig lustig werden muss, Kanak-Sprak kommt zum Einsatz, das Türkengermanisch für Standup-Comedians. Und dann rollt die vierzig Jahre alte Geschichte ab wie ein perfekt geöltes Spielwerk. Also die im Supermarkt weggefundenen Waren in den Plastikbeuteln, die Vorgeschichte dazu, natürlich brilliert Vanessa Rose dabei und Anne Diemer, die die begriffsstutzig doof-naive Margherita (mit original Karoline-Zitaten) ist, brilliert gleich mit. Die Verwicklungen mit dem Gatten, den die Parteiehrlichkeit beutelt, obwohl in seiner Kantine sich Parallelgeschehen ereignete zum Supermarkt. Rasch die Razzien bei den potentiell diebischen Hausfrauen, Bruno Beeke mit und ohne Bart, man kennt diesen schlenkrigen Polizisten aus unzähligen Fernsehabenden mit Uniformspaß-Comedy, was solls, es wirkt. Die Assamstädter Hardcore-Lacherin in Reihe 5 steckte auch die an, die sonst nur ins Kopfkissen kichern, wenn's mal irgend lustig wird.

Es gibt ein paar Modernisierungen des Textes natürlich, zum Ende etwas Streichung, was den direkteren Klassenkampfgestus des Uraltkommunisten Fo betrifft, der natürlich den Namen Zschäpe nicht kannte in den frühen siebziger Jahren und Oskar, die Lafonaine, gab dazumal noch den Saarlandonkel der alte Dame Juve, pardon, der alten Dame SPD, der Mutterpartei des deutschen Vereinswesens, die sogar ihre Grundgliederung Verein nennt. Wegen des Kaffes, den man dort, laut Tucholsky, kochen kann. Also, das alles und noch viel mehr, wenn ich der König von Deutschland wär, hat die Geraer Fassung des Farcen-Neuklassikers implantiert und es hört sich nie wie Fremdkörper an. Gespielt wird auch mit Verfremdungsgags, neben dem Klaus, der einspringen muss, sind das wiederholt die Rufe aus dem Off: Ich bin noch nicht so weit! Und dann bei Einsatz einer niedlichen kleinen Nebelmaschine die Auskunft, dass die eigentlich benötigte Regenmaschine eben nicht direkt einsatzfähig oder unauffindbar war, ich hab es schon wieder vergessen.

In Meiningen war mehr Weißkraut, fast hätte ich Lametta geschrieben. Dazu lief dort echtes Wasser, während zu Gera Giovanni (Jochen Paletschek) das Fließplätschern oral zu erzeugen hatte. Die Olive im Fruchtwasser, das nach Essig und Öl roch, die fraß auch in Gera der Luigi (Manuel Kressin) auf, während der sektiererische Bartlospolizist tapfer zuvor die unsichtbare Vogelhirsesuppe löffelte. Wohl den Darstellern, die eine Sau in sich bergen, sie rauszulassen, Gera hat welche bei der Hand. Gespielt wird mit Pause zugunsten des Ausschanks, es gibt davor und danach keine Hänger, die Programmheft-Ruine zitiert den mit dem Nobelpreis gewürdigten Dario Fo: „Ich bin nicht mit der Idee zum Theater gegangen, Hamlet zu spielen, sondern mit der Absicht, ein Clown zu sein, ein Hanswurst.“ Das ist preiswürdige Ehrlichkeit verglichen mit den nicht ganz seltenen Hanswürsten, die den Hamlet sogar inszenieren wollen nach einer seltenen indigenen Sprachfassung mit den Mitteln westafrikanischer Regentänze. Hut ab, alter Fo. Nun haben nur noch zwei Thüringer Theater die Chance, es auch einmal zu versuchen mit den tiefgefrorenen Kaninchenköpfen, mit dem erblindenden Landesgrenzschützer, mit Frühgeborenen-Verpflanzung. Dass sich dann immer noch niemand langweilen wird dabei, steht fest.
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