Shakespeare: Hamlet, Südthür. Staatstheater Meiningen
Das dreizehnte Gebot für Regisseure sollte lauten: Halte dich zurück mit Erklärungen zu deinen Absichten, du könntest daran gemessen werden. Als ich vor Wochen über die Rekrutierung von Statisten für den neuen Meininger „Hamlet“ las, schwante mir wenig Gutes. Als ich gemischten Gefühls von der Premiere nach Hause fuhr, war ich gewillt, Milde walten zu lassen angesichts des inkonsequenten und in sich wenig stimmigen Versuchs, aus Dänemark eine seltsame DDR werden zu lassen. Denn, ich sage es vorab, gespielt war das alles doch mehr als nur leidlich, es hatte sogar ausgemachte Höhepunkte. Dann aber ritt mich der Teufel und ich las im Programmheft den ersten Beitrag „Hamlet - Der deutschen Geschichte den Spiegel vorhalten“, verfasst von Ansgar Haag, beinahe hätte ich: verzapft geschrieben. Wären meine Haare länger, sie hätten bis unter die Deckenbeleuchtung zu Berge gestanden.
Das war tatsächlich nicht so gemeint, wie es schien, das war noch viel schlimmer gemeint. Dieses Regiekonzept wollte nicht irgendwie ein bisschen DDR, ein bisschen totalitäres System auf die Bühne bringen, wie es eben üblich ist, wenn man soziale Konkretheit westlich sozialisiert ausklammert, um dem Anthropologischen, dem Allgemeinmenschlichen, dem Geworfensein oder was es auch immer sei, Hauptsache nichts Fassbares, Raum zu geben. Wäre Ansgar Haag nicht ein gestandener Mann mit viel praktischer Erfahrung, müsste man sagen: So hat sich das kleine Mäxchen die DDR immer vorgestellt. Die Unmöglichkeit einer Liebesbeziehung in Zeiten politischer Unfreiheit ist ein so brüllender Blödsinn, dass man tot vom Barhocker fallen möchte. Es gab sogar Liebesbeziehungen in Konzentrationslagern, es gab sogar Fälle, wo sich ein Stasi-Offizier in sein Beobachtungsobjekt verliebte, es gibt mindestens eine Ehe mit solchen Partnern, die durch die Presse ging.
Shakespeares „Hamlet“ ist seit runden 400 Jahren auf dem Markt, hat mit Einheit und Getrenntsein von Staaten nichts, aber auch gar nichts - null, niente - zu tun. Bei Ophelia an Katharina Witt zu denken, ist wie eine Maultasche aus Schwaben für ein Stück Angusrind zu halten, also definitiv nahe liegend. Was reitet einen klugen Kopf in solche Abwegigkeiten? Ich will, es lässt sich nicht mehr unterdrücken, Peter Hack zitieren, dem man einen gewissen elementaren Theaterverstand nicht absprechen kann. Unter der leicht exaltierten Überschrift „Hamlet ohne Geheimnis“ lobt sich Hacks erst einmal selbst: „Man soll sich überhaupt abgewöhnen, Kenntnisse geringzuschätzen, nur weil man selber sie hat.“ Dann aber: „Je größer ein Dramatiker ist, desto ungenügender ist seine Realisation auf den Bühnen, und je theaterwirksamer er schreibt, desto schlechter wird er gespielt ... Am unbarmherzigsten mißhandelt wird aber das theatralischste unter den Genies, Shakespeare.“ Musste das nun auch in Meiningen zum wiederholten Male und diesmal vom Intendanten selbst, bewiesen werden?
Was fehlt eigentlich dem guten alten Hamlet, dass er immer wieder als vermeintlich nackte und salzlose Pellkartoffel mit neuer Petersilie bestreut werden, mit neuem Dressing überschüttet, in neuen Soßen ersäuft werden muss? Man könnte sich, um letztmals auf Hacks zu kommen, doch mit dessen Auskunft, es handle sich in dieser Tragödie um die Tragödie des bürgerlichen Humanismus, vorerst begnügen. Auch als Vorwegnahme der „Dialektik der Aufklärung“ macht sich „Hamlet“ gar nicht schlecht. Warum aber soll er für die ach so feige Ost-Intelligenzia stehen, die neben den tapferen Westintellektuellen, die seit Jahrzehnten nichts als den Aufstand proben (wenn es nichts kostet und keine Gefahr darstellt und wenn vor allem alles so bleibt, wie es ist), so mächtig abstinkt. Fortinbras schwafelt am Ende von blühenden Landschaften, was ihn zu einer Art Mager-Kohl macht. Was aber waren die anderen? Polonius, der onkelhafte Typ Wohngebietsparteisekretär, der soll allen Ernstes den Chef des allmächtigen Geheimdienstes vorstellen? Rosenkranz und Güldenstern, komische Auguste, das waren die allseits gefürchteten Spitzel? War also die DDR doch eine lustige Sonnenallee zum Mitlachen, ein Tragikömödienstadel mit rotstichigen Farbfilmen, die vergessen wurden? www.das-meininger-theater.de
Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.