Goldoni: Corallina oder Die beste aller Frauen, Theater Rudolstadt

Ob dieser Goldoni zu den besseren oder zu den weniger tollen Goldonis gehört, entzieht sich meiner Kenntnis, ich sah (in aller Bescheidenheit) einen guten Goldoni. Es hat, entnehme ich dem Flyer zur Rudolstädter Sommertheaterinszenierung (Regie Carl-Hermann Risse), mal eine gleichnamige Corallina in Carlo Goldonis Leben gegeben und weil sie ihm gefiel, hat er ihr ein Stück auf den Leib geschrieben, wie man so sagt. Vielleicht durfte er anschließend ein wenig auf ihrem tatsächlichen Leib herumschreiben mit seinem, nun ja, Gänsekiel, oder wenigstens ein kleines Morsealphabet auf ihre Keulchen klopfen, es sei, wie es gewesen ist. In Rudolstadt hat man eine, sagen wir es vorsichtig, ansehnliche Tradition im Sommertheatermachen. Es gäbe in der einschlägigen Theaterliteratur noch auf Jahre genug gute Stücke, die man nur hernehmen braucht und wenn man es ein wenig macht wie das Münchner Sommertheater, welches seine Geschäftsidee in einer lustspielbezogenen Monokultur fand, die sich bewährt und bewährt und bewährt, dann ist man auf alle Fälle auf einer guten, vielleicht sogar auf der richtigen Seite.

Corallina also, der Langtitel „Corallina oder Die beste aller Frauen“ ist in Rudolstadt sogar eine Uraufführung, eine der Übersetzung von Geraldine Gabor. Ich kenne Frau Gabor nicht und mein Italienisch wäre auch zu miserabel, um nur ansatzweise zu ermitteln, ob sie gut oder supergut übersetzt hat oder vielleicht gar nur mittelgut. Was ich freilich sofort erkenne, ist, dass der als Intendant verkleidete Liedtextautor Steffen Mensching maximal lustige Liedtexte geschrieben hat für seine ihm anvertrauten Mimen und Miminnen. Da ich „Hallo“ zu ihm sagte, als er mich passierte, weil er mir unlängst einen Grußknuff an den Oberarm verpasste im festen Haus, fühle ich mich verpflichtet, dieses Textlob an exponierter Stelle zu platzieren. Diese Lieder waren die halbe Miete des Abends und ich will Heinz heißen, wenn die Mimen und Miminnen, welchen die Aufgabe zuteil wurde, diese Lieder in eine Gurke zu singen, von der man hinten sogar tatsächlich abbeißen konnte, wenn also diese Mimen und Miminnen nicht ihren Mordsspaß dabei hatten. Die Musik stammt von und den Musiker spielte Uwe Steger.

Es würde befremden, wenn in einem „Sterbenden Cato“ der Darsteller angesichts seiner tragischen Lage einen Weinkrampf bekäme, wenn jedoch zu Rudolstadt plötzlich die Darstellerin selbst lachen muss über ihren Text, dann ist das so was von in Ordnung, man möchte gar nicht, dass es schnell weitergeht. Worum ging es eigentlich? Der olle Ottavio (Matthias Winde), noch ziemlich frisch verheiratet mit Beatrice (Miriam Gronau), die einen Sohn Lelio (Benjamin Griebel) hat, dessen Vater nicht Ottavio ist, ist einigermaßen wohlhabend. Sein Sohn Florindo (David Engelmann) ist mit der Dienerin Corallina (Carola Sigg) aus dem Vaterhaus ausgezogen, nicht weil er etwas mit ihr hat, sondern weil sie ihn nicht seinem Schicksal überlassen will. Sie hat schon eine Ehe hinter sich, ist jung genug, sich nicht hübsch genug zu finden und ansonsten ist sie, was das Stück über seine volle Länge vorführt, eben „die beste aller Frauen“. Sie ist klug, schlagfertig, von situationsbezogener Wandlungsfähigkeit, sie kann eben noch säuseln und eine Millisekunde später brüllen wie ein hungriges Löwenmädchen im frühen Raubkatzenalter.

Beatrice möchte ihren Ottavio ausnehmen wie eine Weihnachtsgans, humorfrei könnte man sagen, sich prostituiert sich dafür. Ihr Sohn Lelio ist noch trottliger als der Gatte Ottavio. Überhaupt sind alle Männer in dieser Komödie komische Gestalten. Doch hat der Mann Carlo Goldoni daraus keine feministische Überhebungsstory, no gender chrash, gezaubert, sondern eine Geschichte, in der die Frauen, die allesamt die besseren Menschinnen sind als diese Männchen, trotzdem nicht nahtlos dem eigenen Geschlecht verfallen. Sie lieben in Ermangelung eines besseren Angebotes das, was da ist. Nur so lässt sich erklären und fassen, dass diese Corallina, die wahrscheinlich auch das Zeug zur CEO-Karriere hätte, wenn es die für sie schon gegeben hätte, schließlich nicht etwa diesen Florindo mag und heiraten will, sondern jenen Brighella (Jorres Risse), Diener des Pantalone (Markus Seidensticker). Damals galt vielleicht sogar noch „gleich und gleich gesellt sich gern“, wobei das tatsächlich ja keine Gleichen waren. Brighella jedenfalls, den es auch in Goldonis Leben gab, trägt einen Bauch vor sich her, als hätte er einen Medizinball verschluckt.

Der Konflikt der Komödie, wenn man denn einen suchen mag, ist der zwischen Beatrice und Corallina. Letztere durchschaut erstere und erstere mag deshalb letztere nicht leiden. Florindo ist, freundlich gesehen, liebenswürdig lebensuntüchtig, er bekommt am Ende Rosaura (Laura Göttner), die die Tochter von Pantalone ist und ihrer Liebe, was nicht wenige Frauen ja durchaus mögen, ihre Mütterlichkeit beimischen kann, wenn alles in trocknen Tüchern ist. Gespielt wird in richtig schönen bunten Kostümen mit richtig wilden venezianischen Perücken, Hüten, einer Rollgondola im Gras vor dem Bühnenpodest, vor einem Baumel-Schifflein vor Wasser-Prospekt (Bühne und Kostüme Mathias Werner). Ein Sofa auf Rädern kommt zum Einsatz und vor allem die Gurke. Sie sieht aus, nun ja, wie eben Gurken aussehen, die nebenher noch an ein Mikrophon erinnern sollen und dabei fast unvermeidlich eine phallische Anmutung gewinnen. Es beginnt mit den Schluss und endet mit dem Ende. Wer das nicht versteht, sollte rasch noch eine der restlichen Aufführungen besuchen. Es gibt heißen Tee, Glühwein und sogar Grog, weil es eben Sommertheater ist.

Wenn man von Johannes Arpe absieht, dem mit dem Notar Ser Agapito erst nach der Pause eine kleine Rolle zufiel, in der er mangels Rollensubstanz kaum Glanz entfalten konnte, hatten alle anderen genug Szenen, aus denen sie etwas machen konnten. Und sie machten. Wenn sie sangen, sowieso, und wenn sie nicht sangen, auch. Beiß mich der Fuchs, aber Miriam Gronau ist Miriam Gronau, ob sie die Beatrice spielt oder die Dona Fedra, die Gattin des Polizeihauptmanns oder den Diener Ossip, die Souhaun oder die Desdemona. Immer passt es, nur bei der Desdemona eben nicht. Als Beatrice aber, wir sind bei Goldoni, war sie gut. Allein, wie sie ihren Sohn Lelio bemutterte, den sie lieben muss, weil er ihr einziger ist! Immer wieder gab es Szenenapplaus, es reichte bisweilen die inszenierte Improvisation, die echte übertraf es trotzdem, sobald sie nötig war wie unmittelbar nach der Pause. Sie haben in Rudolstadt komödiantische Talente, die so komödiantisch sind, dass sie in anderen Rollen nicht selten wie Fehlbesetzungen wirken.

Wie wunderbar ist Markus Seidensticker, wenn er Pantalone sein darf, Benjamin Griebel bekommt schon Beifall, wenn er nur seine Lelio-Perücke gerade auf dem Kopf hält, Jörg Schlüter als venezianischer Bajuware Arlecchino, Matthias Winde liegt flach und scheintot auf dem Sofa nachdem er zuvor mit der Souffleuse gescherzt hat und von den jungen Frauen sang, die sein Verhängnis sind. Und so weiter und so fort. Bleibt Corallina, bleibt Carola Sigg. Sie hat eine Traumrolle erwischt, wie sie nur von wirklich großen Bühnenschreibern geschaffen werden, eben von Goldoni beispielsweise. Und sie hat den Abend getragen inmitten ihrer Mitspieler, die sie den Abend tragen ließen. Wo es eins draufzusetzen galt, da setzte sie eins, wo der Bogen zu halten war, da hielt sie ihn. Und bekam am Ende den dicken Brighella, dem sie so überaus gekonnt über seine Begriffsstutzigkeit hinweg half, wie sie überhaupt in ihrer Welt der Begriffsstutzigkeit die Lichter aufsetzte, die Missverständnisse klärte, kuppelte, Intrigen spann, Brücken baute. Ich will das gern einen siggreichen Abend nennen, um nicht durch die Kombination des Namens mit einem altrömischen Unwort die falschen Empörten aus ihrem Schlaf der Ungerechten zu wecken. Ich freue mich auf nächsten Sommer an der Heidecksburg. Auch wenn der wieder ein Winter sein sollte.
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