Uwe Grüning im Pfarrhaus
Die Zeiten, da Pfarrhäuser und Kirchen für einen Schriftsteller mitunter die einzige Möglichkeit waren, seinem Publikum öffentlich gegenüberzutreten, sind vorbei. Dass Uwe Grüning ausgerechnet das Geraberger Pfarrhaus zum Ort einer Lesung machte, hat dagegen eher unspektakuläre Gründe. Zum einen hat er sein Christentum nie verborgen, auch nicht, als er noch ein Schriftsteller der DDR war, der in der Wendezeit ausgerechnet deshalb Polemik auf sich zog, weil er bekannt hatte, sich immer als deutscher Schriftsteller gefühlt zu haben. Zum anderen wohnt in Geraberg mit Klaus Bödrich jener Mann, bei dem Grüning sein Diplom erwarb, denn ausgebildet ist er als Diplomingenieur an der Technischen Hochschule Ilmenau und hat später auch als solcher promoviert. Im 1981 erschienenen Nachschlagewerk „Bestandsaufnahme 2“ ist der 1942 geborene Grüning unter den Debütanten verzeichnet mit damals schon drei eigenen Büchern, die alle im Union Verlag, damals Verlag der CDU, erschienen.
In der Wendezeit ist Uwe Grüning selbst CDU-Mitglied geworden, hat in der Volkskammer gesessen und gehört jetzt dem sächsischen Landtag an. Das ist eine für einen Schriftsteller nicht eben übliche Karriere und um dieser Unüblichkeit noch eins aufzusetzen, so scheint es, klammert Grüning, wenn er aus seinen Werken liest, von seinem Leben erzählt und dessen Stationen wie jetzt in Geraberg im Rahmen der Jubiläumstage „250 Jahre Bartholomäuskirche Geraberg“, das Politische vollkommen aus. Und nicht nur das Politische kommt in diesen Texten vordergründig nicht vor. „Beständigkeit neben schrillerem Stimmengewirr“ ist ihm schon am Ende der DDR bescheinigt worden und drei Jahre zuvor nannte sein Werk der gleiche Verfasser „die unauffällige Kunst eines Bescheidenen“. So präsentiert sich Grüning auch in Geraberg, wo er aus seinen Bänden „Innehalten an einem Morgen“, „Der Weg nach Leiningen“ und „Grundlose Wanderschaft“ vorträgt und einige noch unveröffentlichte Texte anfügt.
Was er liest, ist nicht nur unspektakulär, sondern, wenn es das gäbe, geradezu anti-spektakulär. Alle Texte ordnen sich mehr oder minder deutlich dem Gesamtthema des Abends zu, das mit „... in ein Land, das ich dir zeigen werde; verlorene Heimat - gewonnene Fremde“ angekündigt war. Um Heimat kreist dann auch das Gespräch vor allem, Pfarrer Goerl und die anderen Teilnehmer der Runde tauschen eigene Erfahrungen aus, stellen Fragen in den Raum. Tatsächliche und scheinbare Verluste werden thematisiert und beinahe hätte es sogar eine Spur von Kontroverse gegeben, als Uwe Grüning beharrlich das Kulturschöpferische des Reichtums lobte und fast schwärmerisch von Adelssitzen sprach, die von Alt- oder Neueigentümern zu neuem Glanz saniert wurden. Im Miteinanderreden ist es nicht von entscheidender Bedeutung, ob alle Anspielungen und Zitate, alle Symbole und Metaphern, die Uwe Grüning benutzt, im ersten oder auch zweiten Anlauf wirklich ausgenommen worden sind.
Der Autor nennt unter anderem John Milton und Marina Zwetajewa, Hans-Georg Gadamer und Martin Buber, Jan Skacel und Rainer Kunze. Und bekennt verschmitzt, dass ihm inzwischen auch Goethe nahe ist, den er in seinen Ilmenauer Jahren und auch danach in Jena oder Greiz so gar nicht mochte. Dass Uwe Grüning wiederkommen wird hierher, steht außer Zweifel, hier hatte er eine Heimat gefunden.
Zuerst veröffentlicht in FREIES WORT, Ilmenauer Ausgabe vom 10. Oktober 2000, S. 11, unter der Überschrift: „Und auch Goethe rückte näher“