Der Fotostammtisch stellt aus
Meine erste Einzahlung auf ein Sparbuch der Sparkasse Ilmenau datiert vom 21. Februar 1962, ich rase also direkt auf ein Jubiläum zu, von dem ich nicht annehme, dass irgendjemand außer mir davon Notiz nimmt. Die nun fast fünzig Jahre erklären freilich eine gewisse Anhänglichkeit. Und wenn der Vorstand mich zu einer Ausstellungseröffnung einlädt, zu der ich nicht kommen kann, dann spüre ich immer ein schlechtes Gewissen. Um so mehr habe ich mir den heutigen Termin vorgemerkt: 20 Jahre Ilmenauer Fotostammtisch waren angekündigt und als ich die Namen der Bildautoren las, war klar, dass nur ein Erdbeben oder die an ein plötzliches Millionenerbe gebundene Verpflichtung, meine Wohnung nur noch an Mittwochvormittagen verlassen zu dürfen, mich hätten hindern können.
So fuhr ich mit der Stadtlinie A von der Kopernikusstraße bis zum Homburger Platz, das tat ich zuletzt, als noch Richard von Weizsäcker Bundespräsident war, mangels Parkplatzproblem konnte ich mir die Bilder der Bildautoren schon überblicksweise anschauen, während die Beteiligten noch ihre Beteiligung vorbereiteten und die Gäste so nach und nach eintrudelten. Ich habe mein kleines rotschwarzes Notizbuch gezückt und mir vorsorglich die Titel der jeweiligen Fotogruppen aufgeschrieben, obwohl ich von mir ja weiß nach fast 59 Jahren Leben, dass ich meine Notizen, wenn ich unmittelbar anschließend an ein Erleben schreibe, selten bis nie benutze. Mein fortgeschrittenes Alter erwähne ich primär nicht, um Mitleid zu erregen, sondern weil auf der Einladung das Geburtsjahr aller Fotografen vermerkt ist. Was mir die Erkenntnis vermittelte, dass der jüngste, Andreas Viohl, der in der Matrikel 81 einmal mein Student war, nur fünf Jahre jünger ist als ich.
Da die schreibende Zunft in fast maximaler Stärke zugegen war, mit eigenem Fotografen oder in Doppelfunktion, gab ich mir rasch Entwarnung, das Protokollarische steht morgen in der Zeitung, sage ich mir, also schreib, was dir einfällt. Und das ist zuerst dies: Noch nie war ich zu einer Ausstellungseröffnung, bei der ich zu allen sechs Ausstellern eine mehr oder minder persönliche Beziehung vorweisen kann. Ich beginne in der Reihenfolge der Geburtsjahre: Horst-J. Schadwinkels Gattin war einmal meine Deutschlehrerin in Gehren. Horst Bradsch war einmal mein UTP-Lehrer in Gehren und ich habe ihm, als das noch in meiner Macht lag, manches Foto für eine der verschiedenen Zeitungen abgenommen, die mich zwischen 1990 und 2003 auf ihrer Gehaltsliste hatten. Reinhard Vogel kenne ich aus Hochschulzeiten, als er in ziemlich tief gelegenen Etagen auf dem Ehrenberg seines Fotoamtes waltete, als Pressefotograf arbeitete er später für die Konkurrenz, was unser gutes Verhältnis nie beeinträchtigte. Wenn er meine Vorträge besucht, mahnt er mich immer, nicht so leise zu sprechen.
Herbert Seidel war fast mein Nachbar auf der Pörlitzer Höhe, unsere Bekanntschaft reicht in Zeiten zurück, da der Kulturbund noch eine Massenorganisation war, deren Mitgliedschaft auch nachträglich niemandem die Schamröte ins Gesicht treiben muss. Ähnliches gilt für Uwe Kohlmann, der einmal beinahe mein Fotograf geworden wäre, wenn die Zeitung, bei der er sich beworben hatte, nicht schon nach drei Monaten ihren frischen Wendegeist letal aufgegeben hätte. Und schließlich, siehe oben, Andreas Viohl, der mich verlegen machte, als er sich erinnerte, welch kühne Sprüche ich im Seminar anno 1981 losließ, und zugleich staunte, dass ich mich noch an die Sektion GT (Gerätetechnik) erinnern konnte, an der er damals zu studieren begonnen hatte.
Unter solchen Voraussetzungen bin ich natürlich befangen, geradezu ein Muster an Befangenheit. Auch fehlt es mir an Dreistigkeit, aus der Tatsache, dass ich selbst etliche Jahre mit meiner Nikon 801, die ich immer noch benutze, relativ leidliche Bilder fabriziert habe, ein Recht auf Urteile abzuleiten. Mir haben sehr viele der Bilder, alle in Farbe, gut und sehr gut gefallen, ich wäre gern der Fotograf des einen oder anderen Motivs gewesen, schon weil ich beispielsweise den Vinschgau liebe und Venedig noch mehr. Da Martin Strauch eine Laudatio sprach, die ich allein deshalb schon lobe, weil die letzte Laudatio zu einer Fotoausstellung in der Sparkasse Ilmenau, die ich erlebte, so grauenhaft war, dass mich der Schüttelfrost schüttelte, zumal ich den Redner, der sich als Türke Ali (a la Wallraff, für alle, die das nicht verstehen) verkleidet hatte, gar nicht erkannte, bis mir jemand sein neues Geheimnis lüftete. Aber auch ohne den Vergleich stehe ich nicht an zu sagen: Gut, Martin, hast du gut gemacht. Die sechs Fotografen hatten keinerlei Einwände, soweit ich das bemerken konnte.
Es gibt ein Gruppenfoto der Stammtischmitglieder, auf dem sieben Männer zu sehen sind, der siebente war auch da, Wolfgang Thiem, der aber stellte nichts aus, weil er, wie er mir sagte, nichts Aktuelles hätte anbieten können. Es lohnt sich, meine ich, ohne für diese Aussage bestochen worden zu sein, sich die Fotos anzuschauen. Und nun nehme ich doch noch mein Notizbuch, um wenigstens von jedem der sechs eine Überschrift genannt zu haben: Sonnenkinder (Herbert Seidel), Venezianische Momente (Andreas Viohl), Abseits großer Wege (Uwe Kohlmann), Gesichter Arabiens (Reinhard Vogel), Porträtvarianten (Horst Bradsch), Andreas-Viertel Erfurt (Horst-J. Schadwinkel). Martin Strauch sprach vom verweilenden Augenblick und von der Eigenschaft guter Fotos, auch das Davor und Danach sichtbar werden zu lassen. Das lasse ich einfach mal so stehen, wie das in Neusprech heißt.