Shakespeare: Viel Lärm um nichts; Theater Rudolstadt
Als ich mich vor meiner Fahrt gen Coburg zu „Viel Lärm um nichts“ in meine gute alte Baudissin-Übersetzung vertiefte, notierte ich mir: „Es folgen dann die kruden Dialoge mit Schlehwein und Holzapfel, letzterer benutzt viele Fremdwörter, aber keines in dem Sinne, den es eigentlich bedeutet. Der Anmerkungsapparat vermerkt jeweils, was gemeint ist, nur werden leider auf der Bühne keine Anmerkungen mitgespielt, das wird spannend, wie die Coburger das lösen.“ Meine Besprechung der Premiere vom 6. Oktober 2012 ist hier noch nachzulesen. Die Rudolstädter Sommertheater-Inszenierung löst das Problem auf radikalste Weise, sie streicht die beiden Rollen komplett und damit Auftritte, die laut Paul Rilla „zu den größten komischen Paradeszenen des Theaters gehören“. Das bezeugt Mut, zumal auch die Figuren Konrad, Margareta und Ursula komplett gestrichen sind, Margareta dabei diejenige Kammerjungfer, die in der inszenierten Intrige den Part Heros zu spielen hat und auch darüber hinaus nicht ohne Bedeutung bleibt.
Regisseur Alexander Stillmarks Streichmut fußt auf seiner Sicherheit, trotzdem noch genügend Pfeile im Köcher zu halten, wie das Spiel in der Volker-Pfüller-Kulisse dann auch ziemlich mühelos demonstriert. Man kennt den Einsatz von Musik im Gelände der Heidecksburg, Dramaturgin Antje Klahn und Intendant Steffen Mensching bastelten Songtexte unter Berufung auf Shakespeare-Sonette, Udo Hemmann als Musiker fabrizierte den Sound zu den verschiedenen Solo- und Gruppengesängen. Die Darsteller der ersten Aufführung nach der Premiere führten Spiellaune vor, kommunizierten mit dem Publikum auf direkte und dennoch unaufdringliche Weise und wenn dann doch einmal in den amüsierten Reihen ein Handy Laut gab, wurde das professionell schlagfertig zur Belustigung des braven Restes, der seine Telekommunikationsmittel still gelegt hatte, kommentiert. Die theatereigenen Werkstätten freuen sich vermutlich Jahr für Jahr auf die dankbare Aufgabe, für bunte und überdrehte Kostüme zu sorgen, es gibt wie immer wild-verwegene Frisuren, Markus Seidenstickers Leonato etwa agiert als Leningrad Cowboy, der böse, böse Don John (Johannes Arpe) kommt mit kupferroter Haar- und Bartpracht, Anna Oussankina ist mit einem Federhütlein ausgestattet und darf als Beatrice auch immer mal am Röcklein züppeln.
Dass „Viel Lärm um nichts“ als verrückte Komödie zugleich rasant ans Tragische grenzt, überrascht nur den ahnungslosesten Shakespeare-Neuling. Jeder, der es mühelos verkraftet, darf sich für die Dauer der zwei Stunden und zehn Minuten Spielzeit sogar Goethe überlegen fühlen, denn der stand Shakespeares Komödien im allgemeinen, speziell aber seiner Neigung zu Mischungen des angeblich Unmischbaren ratlos und ablehnend gegenüber. Hollywood als in dieser Hinsicht legitime Nachfolge des Groß-Briten schafft es in seinen erfolgreichsten und besten Produkten immer, sein Publikum zum Lachen und zum Weinen an einem Abend zu bringen. Wenn auch das Weinen in Rudolstadt unterblieb, war es doch immerhin ein kleiner Schock, als Amalia Kassai im weißen Hochzeitskleid als Hero wie tot von der Freilichtbühne rollte und dann in den Armen von Beatrice lag wie ein untröstliches Baby. William Shakespeare ist und bleibt der größte dramatische Gemischtwarenladen der Theatergeschichte.
Er hat zwei Geschichten miteinander verwoben, eine, die es schon vorher gab, die Claudio-Hero-Geschichte kann man bei Matteo Bandello nachlesen, und eine, die er nach allem Kenntnisstand der Quellenlage frei erfunden hat, die zwischen Benedict und Beatrice. Verständigen Interpreten ist aufgefallen, dass es sich bei letzteren um zwei Widerspenstige handelt, die gezähmt werden, auch sonst lässt sich sicher das eine oder andere Fädchen zu anderen Shakespeare-Motiven spinnen, für eine Sommertheater-Aufführung ist das so irrelevant wie der unschuldige Sack Reis auf dem Hauptbahnhof von Szechuawong. Da haben zuvörderst die beiden Darsteller die Aufgabe, ihren Text, der ein Dauerfeuer verbalen Schlagabtausches ist, zur Wirkung kommen zu lassen, ohne in puren Klamauk zu kippen. Anna Oussankina und Maximilian Claus machen das außerordentlich wacker. Und die deftigen Sätze der Beatrice über Geschlecht und Geschlechtsteil der Männer erheitern besonders die Zuschauerinnen auf ihren sparkassengestützten Sitzkissen. Dass bei Shakespeare Nothing recht direkt und drastisch No Thing meint als Gegenstück zum genannten Thing der Männer, das übergeht die Spielfassung dann doch ziemlich dezent. www.theater-rudolstadt.de
Die vollständige Kritik ist seit 15. März 2018 nur noch in Buchform zu lesen: Eckhard Ullrich: Wie es mir gefällt. 33 Shakespeare-Kritiken
dictum verlag Ilmenau, ISBN 978-3-95618-138-2, Preis 19,50 Euro.