Aus dem Vorraum

Scheinheilig, die Frage: Ist dieses Jahr tatsächlich schon wieder um? Es ist. Und das ist gut so. Rainer Maria Rilke hat die Tage bis zum alljährlichen Geböller einmal „jenen kleinen irgendwie ausgesparten Vorraum eines neuen Jahrs, der jedesmal zwischen Weihnachten und dem Wechsel der Jahreszahl sich zu bilden scheint“ genannt. Rilke, ach ja, den muss man freilich nicht zwingend gelesen haben, wenn man auf dem Thema BESINNUNG herumkauen will.

Als ich meine sechs Forellen abholen fuhr am Montag, war die Stadt Ilmenau beinahe lahm gelegt von Verkehr, die Politessen hätten, wenn sie denn unterwegs gewesen wären, an einem Tag das halbe Jahresplanbudget hereinholen können. Man stand quer auf Bürgersteigen, bog ab, wo das Abbiegen verboten war, stand in Ausfahrten, blockierte Einfahrten, gab der Warnblinkanlage die Chance, einmal im Jahr Ersatzparkberechtigung zu spielen, es war eine Wonne.
 
Zahnarztgatten schleppten wie die Zahnärztin selbst riesige eingewickelte Pakete, die schmucke Gestaltung des Einwickelpapiers deutete unmissverständlich auf den Geschenkcharakter des noch verborgenen Inhaltes, es war alles in allem wie der Angriff der Killerbienen auf die Horte des Handels. Das sah nicht wie Konsumverhaltung aus, eher wie Kontoinkontinenz. Meine Forellen versenkte ich im Kofferraum, um nicht mit toten Fischen die freundliche Frau zu irritieren, die mir bisweilen Zeitungen besorgt, die der Ilmenauer Markt nicht hergibt, obwohl sie erscheinen.
 
So geht es in seine Endphase, das Jahr, es verhält sich konform bis zur Widerlichkeit, vorhersehbar bis zum Abtörnpegel. Dem Winterdienst hat es noch keine unlösbaren Aufgaben gestellt, ab und an sah ich bereits Fahrzeuge mit hochgeklapptem Schieber auf Probetour, wahrscheinlich müssen die wie Pferde bisweilen bewegt werden, auch wenn kein echtes Rennen anliegt. Die Meisenvölker unter meinem Fenster scheinen noch nicht auf Entwicklungshilfe angewiesen.
 
Rilkes kleiner ausgesparter Vorraum hat die wunderbare Eigenschaft, nahezu beliebige Füllungen aufnehmen zu können. Rilke selbst sang das Hohelied der Einsamkeit in ihm besonders tönend. Er sang es vor allem in Briefen, denn die Einsamkeit war ihm so etwas wie eine Briefpumpe, in der eine direkte Abhängigkeit des spezifischen Briefdrucks von der gefühlten Einsamkeitstiefe herrscht. Diverse Damen empfingen davon. Bevorzugt adlige Damen.
 
Ich selbst befinde mich heute in der Nähe eines Domes, der Deutschlands einzige Dombaumeisterin an sich bindet, muss mich nicht in GEDANKEN ZUR WOCHE versenken wie ein Schlicktaucher in trübe Brühe, meine Korken werden in den Eifelhimmel knallen, ehe ich mich wieder in diese Heimat zurückverfüge, die sich nun einmal daran gewöhnt hat, mich bei sich zu wissen. Was ich mir vornehme für das Jahr 2008, weiß ich noch nicht, wen ich mir nahezu unvermeidlich vornehmen muss, ahne ich bereits. Damit will ich es für heute bewenden lassen.   

Zuerst veröffentlicht: 29. Dezember 2007 in Ullrichs Ecke

 


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