Joachim Jahns: Erwin Strittmatter und der böse Krieg

Buch lässt sich beim besten Willen nicht nennen, was Autor und Verlag (Dingsda-Verlag Querfurt, Leipzig) selbst als Sonderausgabe bezeichnen. „Biografische Nachträge“ hat Verleger-Autor Jahns unter den Titel setzen lassen, mehr ist es nicht, weniger allerdings auch nicht. Die beiden separaten Texte innen heißen „Erwin Strittmatter am Attersee“ und „Josef Heller und Erwin Strittmatter oder Der besondere Schutz des Führers“. Jahns bezieht sich natürlich eingangs auf sein Buch, meine Besprechung steht seit gestern im Netz, und benennt noch einmal dessen Verdienste: „... in dem ich erstmals den Nachweis führte, das sich Erwin Strittmatter freiwillig zur nationalsozialistischen Schutzpolizei gemeldet und als Revier-Oberwachtmeister einen Feldwebeldienstgrad erworben hat.“

Ein Brief vom 27. Mai 1940, gerichtet an Strittmatters Bruder Heinrich, liefert Joachim Jahns den Anstoß für seinen ersten Nachtrag. Strittmatter meldete sich aus einer luxuriösen Villa am oberösterreichischen Attersee, in die ihn Dr. Walther Schieber, der große Chef der Zellwolle Schwarza, der neben vielem auch SS-Standartenführer war, auf einen dreiwöchigen Urlaub ohne Frau und Söhne geschickt hatte. Der Betriebsführer und SS-Mann, so macht es Jahns glaubhaft, wollte Strittmatter mit dem Angebot ködern, einen ersten Gedichtband von ihm in tausenden Exemplaren für die Belegschaft drucken zu lassen, falls der Jung-Dichter im Gegenzug bereit wäre, seine zunächst erfolgte und dann wieder rückgängig gemachte freiwillige Meldung zur Waffen-SS abermals rückgängig zu machen. Die freiwillige Meldung ist im genannten Brief ausdrücklich erwähnt, also jeder weitere durchsichtige Zweifel daran endgültig hinfällig.

Wichtig ist jedoch das Fazit Jahns im ersten Nachtrag: Strittmatter habe der Verlockung widerstanden, habe sich damit bewusst GEGEN die Waffen-SS entschieden, wahrscheinlich aber als Argument dabei vor allem die erfolgte freiwillige Meldung zur Schutzpolizei benutzt. „Nicht zu bezweifeln ist: Strittmatter steht dicht davor, den schwerwiegendsten Fehler seines Lebens zu begehen. Und erst im letzten Moment gelingt es ihm, die Reißleine zu ziehen.“ Verglichen mit dem ersten Nachtrag ist der zweite eher marginal. Jahns geht noch einmal auf den Kriegskameraden Strittmatters, auf Josef Heller, ein. Wäre der nicht wegen „staatsfeindlicher Hetze“ 1969 in der DDR verhaftet und verurteilt worden, gäbe es möglicherweise den dabei beschlagnahmten Polizeidienstpass nicht mehr, aus dem auch die Stationen des Strittmatterschen Dienstweges exakt nachvollzogen werden können.

Jahns geht auf eine frühe Erzählung Strittmatters ein, sie trägt den Titel „Der entminte Acker“, wurde zuerst 1951 in der Anthologie „Neue deutsche Erzähler“, später in Strittmatters eigenem ersten Erzählband „Eine Mauer fällt“ veröffentlicht. (Dieser Band ist zum Zeitpunkt, da ich dies schreibe, im Antiquariatsnetzwerk ZVAB zweimal zu kaufen, für 70 und für 75 Euro !!) Der Autor hat Nachauflagen des aus seiner späteren Sicht misslungenen Buches nicht gewünscht. Ich las es im Mai 1968, kann mich jedoch an keinerlei Einzelheiten mehr erinnern. In der Geschichte „Der entminte Acker“ gibt es den Unteroffizier Hilm, der aus dem Krieg nach Hause kommt und für einen Moment denkt, seinem Heimatdorf könnte es ergangen sein, wie es Dörfern erging, in denen er als Unteroffizier war: „Er hatte es doch selbst erlebt, wie das gemacht wird: Dörfer einfach ausradieren.“ Im Sinne von Joachim Jahns eigener Hoffnung auf Seite 53 seines Buches, ich will das erst gestern benutzte Zitat nicht wiederholen, ist der Hinweis auf genau solch eine Stelle hilfreich. Man muss nicht sehr viele Semester Psychologie studiert haben, um begründet zu vermuten, hier sprach eine literarische Figur pro domo für ihren Schöpfer Erwin Strittmatter.

Der Sonderausgabe ist eine Grafik von Juliane Jahns beigelegt, die im Ganzen ein wenig an Chagall erinnert, Strittmatter als Kentaur zeigt mit einer blauen Nachtigall auf dem Pferdehintern. Oben fliegt ein roter Hai, unten umschleicht ein Fuchs die Fesseln des Kentauren, vor dem ein aufgeklapptes Laptop liegt mit einer echten Maus auf der Tastatur. Das alles ist noch rechtzeitig zum 100. Geburtstag von Strittmatter erschienen.


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