125. Geburtstag Hermann Broch

Im dritten Band seiner Lebensgeschichte, betitelt „Das Augenspiel“, widmet Elias Canetti, Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 1981, zwei längere Abschnitte Hermann Broch. „Meine Beziehung zu Hermann Broch war, mehr als es sonst üblich ist, von der Gelegenheit unserer ersten Begegnung bestimmt.“ Diese Gelegenheit war mit einer Privatlesung gegeben, die bei der Wiener Schriftstellerin Maria Lazar (1895 – 1948) stattfand, Canetti trug sein Drama „Hochzeit“ vor. Und beobachtete während des Lesens Broch: „Wenn Augen atmen könnten, sie hätten den Atem angehalten.“ Dann: „Sein Schweigen war eindringlicher als das der anderen.“

Canetti beschreibt die Schwierigkeiten, die  sich daraus ergaben, dass er alles gut finden wollte an und bei Hermann Broch. Er beschreibt die ständige Eile, in der Broch sich befand und seine frappierende Art, nachgiebig zu sein. Fünfeinhalb Jahre ging der eine mit dem anderen um und als Broch am 30. Mai 1951 an den Folgen eines Aorta-Risses verstarb, hatte Canetti noch etliche Lebensjahre und allerhöchste offizielle Anerkennung vor sich. Er bekam den Nobelpreis, für den Thomas Mann vergeblich Hermann Broch vorgeschlagen hatte. Broch starb zu früh, meinte anlässlich seines 100. Geburtstages 1986 der damalige SPIEGEL-Autor Martin Lüdke, der ihm, sieht man von den magazinüblichen Süffisanzen im Untertext ab, ein sehr lesenswertes Porträt widmete. Broch ist, daran hat sich in den vergangenen 25 Jahren bis zum heutigen 125. Geburtstag nichts geändert, immer noch der „klassischste aller Klassiker der Moderne“, weil viel zitiert und wenig gelesen. Das diesbezügliche Phänomen ist spätestens seit Lessings bekannter Formel für Klopstock geschichtsnotorisch, seine Erkenntnis hilft immer noch nichts und niemandem.

Als die erste Sammlung von Briefen Hermanns Brochs 1958 in die Reihe seiner Werkausgaben-Bände eingeordnet wurde, nahm die Öffentlichkeit spätestens wahr, dass hier ein eminenter Briefschreiber gelebt und geschrieben hatte. Und so nimmt es nicht Wunder, dass bis in die jüngste Vergangenheit immer wieder neue Briefbände, Briefwechsel veröffentlicht werden, die immer die große Aufmerksamkeit der wichtigsten deutschsprachigen Feuilletons, nie aber die einer auch nur nennenswerten Zahl von Lesern finden, was mittlerweile längst zusätzlich mit den Preisen zu tun hat, die für derartige Sammlungen verlangt werden. Selbst Bibliotheken verzichten heute großzügig auf entsprechende Bücher, der Leser muss warten, bis sie in den diversen einschlägigen Katalogen als Mängelexemplare erscheinen oder vollends verramscht werden.

Am 1. November 1886 war dem Fabrikantensohn Hermann Broch in Wien ganz sicher nicht in die Wiege gelegt, welchen Weg er nehmen würde. Wenn er nur einer geworden wäre, der erst mit vierzig Jahren ein reguläres Universitätsstudium aufnahm, hätte er schon Aufmerksamkeit verdient. Wenn nur die Hochschätzung von Albert Einstein, James Joyce oder eben Thomas Mann ihn interessant machen würde, wäre ein Blick mehr auf ihn schon bestens gerechtfertigt. Aber er hat eben auch ein Werk hinterlassen, in dem die Romane „Die Schlafwandler“ und „Der Tod des Vergil“ bis heute exemplarische Aufmerksamkeit finden, in dem eine für Schubladendenker unfassliche Gegenstandsbreite verwirrt oder wenigstens irritiert. Da gibt es politische und philosophische Schriften, da gibt es eine umfängliche und dennoch unvollendete „Massenwahntheorie“, es gibt Novellen und Essays und, siehe oben, ein Meer von Briefen.

Hermann Broch hatte die für seine Partner phantastische, für ihn selbst nicht nur im übertragenen Sinne mörderische Gewohnheit, alle Post nicht nur möglichst postwendend, sondern auch ausführlich und intensiv zu beantworten. Und er hatte eine Eigenschaft, die ihm fast in gleichem Maße Schaffensschübe und Resignationswellen eintrug. Hermann Broch war ein vorgängiger Denker. Unvorstellbar, dass er, wie etwa zeitgleich der Amerikaner Thomas Wolfe, eruptiv und ohne jede Selbstkontrolle, Manuskriptmassen hätte ausstoßen können, ohne je die Kraft aufzubringen, an ihnen dann bis zu einer fertigen Fassung zu arbeiten. Er war dagegen ein Mann, der eigentlich nie fertig wurde mit seinen Überarbeitungen, der selbst von kürzeren Novellen drei Fassungen in die Öffentlichkeit entließ, die späteren Herausgebern dann ihre Arbeit diktierten. Und sein vorgängigen Denken machte ihm sein eigenes Tun in einem Maße suspekt, dass er sich mehr als nur bisweilen selbst im Wege stand.

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU, damals noch kein Tabloid mit Image-Totalverlust, gab dem Schriftsteller W. G. Sebald die Chance, den 100. Geburtstag Brochs 1986 gut links-alternativ zu würdigen, durch einen Brachialverriss mit ideologischem Unterfutter, exemplifiziert am „Bergroman“ des Verfassers. Sebald hat gut beobachtet und dennoch das Thema verfehlt, es sei denn, er wollte die wenig überraschende Erkenntnis verbreiten, dass auch ganz Große ganz Kleines verfassen. Oder er wollte auftragsgemäß gegen den Strich bürsten, was schon damals so abgelatscht war wie nur etwas und dennoch bis heute zu den Essentials ambitionierten Schreibens gehört. Ich verweise am heutige Jubiläumstag ganz minimalistisch auf das Wort „sohin“, das Broch bisweilen benutzte und würdig wäre für die wöchentliche ZEIT-Rubrik „Mein Wortschatz“. Und zitiere aus einer ganz alten Novelle mit dem seltsamen Titel „Methodisch konstruiert“ einen halben Satz über deren Helden Zacharias: „... von Ekel weiß er wenig, doch Linoleum dünkt ihn ein günstiger Bodenbelag.“ Broch konnte, wenn er wollte und es sich erlaubte. Das ist ziemlich viel.


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