Kurt Bartsch 80

Zu den gravierendsten Fehlleistungen des Kritischen Lexikons der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (KLG) gehört die Verwechslung von Kurt Bartsch (Jahrgang 1937), um den es hier anlässlich seines heutigen 80. Geburtstages noch einmal gehen soll, und Kurt Bartsch (Jahrgang 1947), der sich als Professor für neuere deutsche Literatur an der Universität Graz diverse Meriten verdiente, unter anderem für die Sammlung Metzler Bände zu Ingeborg Bachmann und Ödön von Horvath verfasste und im Droschl Verlag eine Reihe von Dossiers herausgab, etwa zu Alfred Kolleritsch, Elfriede Jelinek, Barbara Frischmuth, Ilse Aichinger, Gerhard Rühm. Kurt Bartsch (Jahrgang 1937) begann seine Laufbahn als Schriftsteller in Buchform 1968 mit „Zugluft. Gedichte, Sprüche Parodien“ und einem „Poesiealbum 13“. Bartsch belegte damit, es sportlich zu sehen, den sechsten Platz unter den lebenden DDR-Autoren, denen die Herausgeber ein solches Heft gönnten: vor ihm gab es nur Wulf Kirsten (4), Helfried Schreiter (7), Günter Kunert (8), Helmut Preißler (9) und Reiner Kunze (11), die alle älter waren, wenn auch zum Teil nicht sehr viel.

Als Kurt Bartsch am 17. Januar 2010 in Berlin starb, nannte ihn der SPIEGEL in seinem Kurznachruf ein Multitalent: „Er brillierte als Lyriker und Parodist ebenso wie als Dramatiker.“ Das Nachrichtenmagazin bedauerte, dass der Berlin-Roman „Fanny Holzbein“ dagegen nicht die verdiente Aufmerksamkeit fand. Man darf ein wenig boshaft ergänzen, dass das für den SPIEGEL umso bedauerlicher war, als er am 28. Februar 2005 dem Roman Aufmerksamkeit geschenkt hatte, wenn auch nur in zwei kleinen Spalten. Und mit einem (2005 !!) kuriosen Schluss: „Bartsch … trifft wunderbar jenen schnodderigen berlinerischen Ton, wie manche ihn vielleicht noch von Max Liebermann oder Marlene Dietrich kennen – das verleiht seinem Buch einen rauen Charme.“ Wie viele SPIEGEL-Leser mag es 2005 noch gegeben haben, die sich an den Ton (!!!) von Max Liebermann erinnern konnten, der am 8. Februar 1935 starb, also eben seinen 70. Todestag hinter sich hatte? Ich klage nicht: als ich den 75. Geburtstag von Bartsch zum Anlass nahm, über sein Buch „Der Bauch und andere Songspiele“ zu schreiben, meldete postwendend sich das Amt für Richtigstellungen.

Das ist eine in einer ehemaligen Thüringer Kreisstadt zu Füßen einer Burg residierende Ein-Mann-Institution, die immer dann aktiv wird, wenn irgendwer irgendwo irgendwas schreibt, sagt oder singen lässt, was dem DDR-Bild des Institutsdirektors widerspricht, wenn das Geschriebene, Gesagte, Gesungene gar andeutet, dass jemand ein Opfer war oder jemand anderes ein Täter, dann hechtet der Amtmann an die Alarmglocke und läutet wie weiland die stumme Kattrin bei Brecht. Um es kurz zu machen: es gab in der DDR Menschen, deren höchstes Bestreben darin bestand, Bartsch-Texte zu rezitieren oder rezitieren zu lassen, Stücke aufzuführen oder aufgeführte Stücke zu besichtigen, als Bartsch schon der bekannten Schein-Ungnade verfallen war, die darin bestand, am 7. Juni 1979 aus dem Schriftsteller-Verband der DDR ausgeschlossen worden zu sein. (Das war jetzt Satire, liebe Humoristen!). Kurt Bartsch kaufte sich zu Lebzeiten eine Grabstelle auf dem Friedhof Friedenau an der Stubenrauchstraße, das gehört zu jener einstigen Frontstadt Berlin (um den Ost-Nostalgikern verständlich zu bleiben), die als Speerspitze gegen den Sozialismus missbraucht wurde.

Der III. Städtische Friedhof Stubenrauchstraße, so sein offizieller Name, ist auch die letzte Ruhestätte von, einige Beispiele in Todesjahr-Reihenfolge zu nennen: Ferrucio Busoni, Paul Zech, Dinah Nelken, Marlene Dietrich, Helmut Newton und Oskar Pastior. Kurt Bartsch finden die Verfasser der einschlägigen WIKIPEDIA-Seite bis heute nicht wichtig genug, ihn in die Reihe der Prominenten aufzunehmen. Im August 2016 erfuhr ich von Aktivitäten, ihm spätestens zu seinem (heutigen) 80. Geburtstag mehr Würdigung zu organisieren. Irene Böhme, die langjährige Ehefrau und Witwe war von einem meiner Leser auf meinen Beitrag aufmerksam gemacht worden, wenig später stand ich an der Grabstätte und fotografierte sie für mein Archiv und traf sogar auf eine freundliche alte Dame, die Irene Böhme kannte und ihr von mir erzählen wollte. Mehr Eitelkeit will ich mir nicht können, denn sie hätte kein Maß in Relation zu dem, was ich tatsächlich bewirkte. Immerhin bin ich herzlichst gebeten worden, zum Jubiläum doch wieder etwas zu schreiben, was ich hiermit tue. Ich muss mir inzwischen auch nicht mehr einbilden, allein zu stehen mit meinem dezenten Hindeuten.

Anfang Juni konnte man in Synergie-Effekt-Blättern wie MITTELDEUTSCHE ZEITUNG und BERLINER ZEITUNG textidentische Beiträge zu einem Buch lesen, das gerade im Mitteldeutschen Verlag erschien. Es trägt den Titel „In all dem herrlichen Chaos“, ist 320 Seiten stark. Ich zitiere den Kritiker Christian Eger: „Bartsch, 1937 in Berlin geboren, gehört zu den gewitzten, anarchischen, nicht auf Linie zu bringenden Autoren des Ostens. Kein Großschriftsteller, der Prosa-Tapeten entrollt, sondern ein Mann der kleinen Form, misstrauisch gegen die große künstlerische und politische Geste.“ Vor fünf Jahren wies ich bereits darauf hin, dass im Tribunal des Berliner Schriftstellerverbandes 1979 Bartsch verbal keinerlei Rolle spielte, der Prokollband hat fünfmal seinen Namen, wenn ich damals richtig zählte, immer nur als alphabetisch Erster der inkriminierten Renitenzfälle. Den Band hat Irene Böhme, selbst Autorin so lesenswerter Bücher wie „Die da drüben“ und „Die Buchhändlerin“, gemeinsam mit Wasja Götze herausgegeben, der Bartsch 1972 nach einer Theaterprobe kennenlernte. Und schon die Bilder zu „Die da drüben“ beisteuerte.

Christian Egers Fazit lautet: „Das Buch zeigt: Die deutsche Vor-89er-Kulturgeschichte ist nur als eine Ost-West-Geschichte zu begreifen – kommerziell und personell vielfach verbunden; im Westen hörte die DDR nicht auf.“ Im Osten hat sie bis heute nicht aufgehört, möchte man ergänzen, bei Pawlows Hund wird der Speichel schon tropfen. Einmal, am 19. September 1983, gönnte der SPIEGEL Kurt Bartsch vier Seiten Platz, indem er, nicht eben oft geübte Praxis, aus dem eben neu-frischen Buch „Die Hölderlinie“, im Rotbuch-Verlag erschienen und 120 Seiten stark, Parodien einfach nachdruckte. Man ahnt noch heute die genießende Schadenfreude der Hamburger Redaktion angesichts der Kakaotunke für Hans Magnus Enzensberger, Gabriele Wohmann, Botho Strauß, Martin Walser, Ulla Hahn, Peter Schneider, Erich Fried und Reiner Kunze. Mit solchen, mit Verlaub, herrlichen Parodien rangiert Kurt Bartsch ganz oben im Parodisten-Olymp, der leider nicht übervölkert ist. „Sein Glied stand groß und lästig unter der Bettdecke. Er begann es zu streicheln, ließ aber davon ab, als er merkte, dass seine Gedanken unaufhörlich um die Studentenbewegung kreisten.“

Das zielt auf Peter Schneider (Jahrgang 1940), der immer, wenn es irgendwo um 68 geht, in die Zeitzeugen-Jacke schlüpft. Hermann Kant, wurde ich seinerzeit mahnend vom Amt für Richtigstellung belehrt, soll über die Kant-Parodie gelacht haben. Leider hat anders als bei Schiller das niemand dramatisch gestaltet: zwar hat dessen König geweint, aber der lachende Verbandskönig, der ist (mittlerweile: war) auf solche Ämter angewiesen. Um noch einmal auf „Fanny Holzbein“ zurückzukommen: Es ist verblüffend, wie unterschiedlich der Roman referiert wird bei Yaak Karsunke in der FRANKFURTER RUNDSCHAU, bei Sabine Brandt in der FAZ und eben im SPIEGEL. Die „sexuellen Exzesse der russischen Soldateska“ gibt es nur bei Karsunke. Im Lyrik-Kalender des Deutschlandfunks, den ich einige Jahr aufmerksam beobachtete (und bisweilen mit einem Leser-Brief belästigte), sind Bartsch-Gedichte mehrfach vorgetragen worden: aus dem Band „Weihnacht ist und Wotan reitet“, aus „Kaderakte. Gedichte und Prosa“, aus „Jahrbuch der Lyrik 1984“. Ich grüße in die Detmolder Straße zu Berlin, vielleicht wird es ja doch noch mit der größeren Publizität.


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